Vaters Post kehrt nach 48 Jahren zurück

Wolfgang Stindt (53) befällt immer wieder Gänsehaut, wenn er die außergewöhnliche Geschichte erzählt. Am 11. Juli fand der Wolgaster in seinem Briefkasten lang erwartete Post. Das Kuvert, abgeschickt in Las Vegas (USA), barg eine alte Postkarte. Diese ist zwar unscheinbar und im Laufe der Jahre vergilbt. In der Familie Stindt jedoch sorgt das Kärtchen seit Wochen für Aufregung. Und das im positiven Sinn. Denn: Erinnerungen an den 1982 verstorbenen Vater Erich Stindt wurden wach. Er war es, der die Postkarte mit dem Konterfei des damaligen DDR-Staatschefs Walter Ulbricht vor knapp 48 Jahren in die USA schickte. Erich Stindt, der im Bereich Lohnbuchhaltung auf der Peene-Werft arbeitete, war ein vielseitig interessierter Mensch und unter anderem begeisterter Philatelist. Auf der Jagd nach seltenen Poststempeln sandte der Peenestädter am 31. August 1967 über alle Ländergrenzen hinweg die erwähnte Postkarte in die Vereinigten Staaten. Adressiert war die ursprünglich zweiteilige Antwort-Karte an den Purser, sprich den Zahl- und Proviantmeister, des Ozean-Dampfers TS „United States“ der United States Lines in New York. In seinem Anschreiben bat ihn der Wolgaster Sammler, doch so freundlich zu sein, ihm auf dem Antwortteil der Karte zwei Schiffspost-Stempel zurück zu schicken. Die Postille aus dem fernen Ostdeutschland galt wiederum in Amerika als begehrtes Sammelobjekt. „Die Karte von unserem Vater gelangte auf Umwegen, die wir heute kaum noch nachvollziehen können, zu einem Auktionator, der vor fünf bis sechs Jahren verstorben ist“, erzählt Wolfgang Stindt. Er beruft sich dabei auf die Mitteilung eines Mannes aus Las Vegas. Dieser hatte Teile des Nachlasses von einem britischen Auktionshaus ins Internet stellen lassen. Auch die erwähnte Karte stand dort meistbietend zum Verkauf. Dort entdeckte sie Heiko Bendrich. Der 51-Jährige, der seit etwa 15 Jahren im nordrhein-westfälischen Eitorf bei Bonn wohnt und aus Wolgast stammt, denkt gern an seine Heimatstadt. „Mich interessiert die Wolgaster Geschichte und ich gucke mich viel im Internet um“, sagt Bendrig, der irgendwann auf der Homepage der englischen Auktionsbörse auf die Karte Erich Stindts stieß. „Stindts wohnten früher in der Heinrich-Beckmann-Straße in Wolgast und waren unsere Nachbarn“, erklärt Heiko Bendrig, der zum Telefonhörer griff und kurz darauf Wolfgang Stindt an der Strippe hatte. Dieser hatte nun eine Idee: „Meine Mutter feierte vor wenigen Tagen ihren 93. Geburtstag, da wollte ich ihr mit der Postkarte eine Freude machen.“ Der Wolgaster und seine Schwester Dagmar Stindt (59) traten mit der Online-Plattform in Kontakt, ersteigerten die Karte, befragten deren Eigentümer aus Las Vegas nach der Herkunft des Postguts und trugen alle möglichen Informationen über die TS „United States“ zusammen (Siehe: Info-Kasten). „Ich hab‘ die ganze Nacht über gesessen und recherchiert, was mir einen Riesenspaß gemacht hat“, sagt Wolfgang Stindt. Eine von ihm mit viel Liebe kreierte Collage zeichnet den Weg nach, den die Karte nahm, bis sie nach fast fünf Jahrzehnten jetzt an ihren Ausgangsort zurückkehrte. Die Mühe hat sich gelohnt: „Ein wunderschönes Geschenk“, freut sich Mutter und Ehefrau Anneliese Stindt. „Mein Mann war leidenschaftlicher Sammler und hat an nationalen und internationalen Ausstellungen zum Beispiel in Danzig teilgenommen“, berichtet die Jubilarin. Motivsammlungen gehörten zu seinen Markenzeichen, etwa eine Kollektion „Das Eisenbahnwesen auf der Briefmarke“, die er in Vitrinen im Klubhaus der Peene- Werft in Wolgast zeigte. Gern erinnerte sich Anneliese Stindt wieder an ihren Mann und sein Hobby zurück — angeregt durch ein unscheinbares, weitgereistes Kärtchen. TS „United States“ Das Turbinenschiff „United States“ wurde 1950/1951 auf der Newport News Shipbuilding gebaut. Sie ist 301,80 Meter lang und 31 Meter breit. Die Passagierkapazität beträgt 2000 Fahrgäste und 1000 Besatzungsmitglieder. Als Truppentransporter kann sie 15000 Soldaten an Bord nehmen. Mit etwa 250000 PS Leistung ist die „United States“ das bis heute leistungsstärkste Handelsschiff aller Zeiten. Die „United States“ hält bis heute das Blaue Band des Atlantiks für die schnellste Atlantikquerung eines Passagierschiffs. Drei Tage, zehn Stunden und 40 Minuten benötigte sie für die Strecke von Amerika nach England. Tom Schröter

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