Wolgast Bürgermeister in Interview: Stadt kann Gästemagnet werden

Für die neue Ortsumgehung gibt es endlich Baurecht, aber sonst herrscht Stillstand in der Stadt. Das denken viele Wolgaster. Warum das nicht stimmt, warum Wolgast bei Häuslebauern begehrt ist, was es mit dem Usedom-Haus auf sich hat und wie die Verwaltung die Sorgen der Händler in Coronazeiten ernst nimmt, darüber sprach die OZ mit Bürgermeister Stefan Weigler (CDU). Angesichts der hohen Inzidenz im Landkreis Vorpommern-Greifswald fragen sich die Wolgaster, ob die Stadt genug dafür tut, die Bürger zu schützen. So gibt es Kritik, dass beispielsweise auf dem Wochenmarkt am Donnerstag die Maskenpflicht bei Kunden und Händlern nicht eingehalten werde und niemand kontrolliere. Erfolgt tatsächlich keine Kontrolle? Stefan Weigler: Das stimmt definitiv nicht. Der donnerstags stattfindende Wochenmarkt wird durch Kräfte des Ordnungsamtes regelmäßig bestreift. Der Marktmeister wird stets auf die Einhaltung der Masken- und Abstandspflicht hingewiesen, ebenso auf die Hygieneregeln. Auch Bürger, die ohne Mund-Nasen-Schutz auf dem Markt unterwegs sind, werden darauf hingewiesen. Aber unsere Mitarbeiter können den Markt nicht rund um die Uhr überwachen. Mündige Bürger – egal, ob Händler oder Käufer – haben auch eine Eigenverantwortung. Sollten wir aber gezielte Hinweise bekommen über die Verletzung der geltenden Regelungen, gehen wir dem nach. Der Corona-Ausbruch auf der Peene-Werft mit 31 Fällen seit Mitte Januar treibt auch für die Stadt und das Amt am Peenestrom den Inzidenzwert nach oben. Zahlreiche Bürger der Stadt Wolgast sehen das mit Sorge. Sie fordern eine Massentestung für die Werft und dass die Stadt darauf einwirkt. Das kann die Stadt schon rein rechtlich gar nicht verfügen, denn die Peene-Werft, die zur Lürssen-Gruppe Bremen gehört, ist ein Privatunternehmen. Einen Massentest könnte höchstens das Gesundheitsamt des Kreises verfügen, aber es sind ja nicht aktuell 31 Fälle. Die ersten positiv getesteten Mitarbeiter von Mitte Januar sind ja schon längst wieder aus der Quarantäne zurück und arbeiten. Dennoch sehen wir mit Sorge, dass sich das Virus nach wie vor unter der Belegschaft ausbreitet. Aber die Werft stehe in engem Kontakt mit dem Gesundheitsamt, versichert die Geschäftsführung. Und es gibt keinen Grund, nicht darauf zu vertrauen. Corona macht die ohnehin schon triste Innenstadt noch leerer. Was sagen Sie Händlern, die verzweifelt um ihre Existenz ringen? Ja, für die Wolgaster Innenstadt ist es durch Corona besonders schwierig. Nicht alle Geschäfte haben die Hilfe bekommen, die notwendig gewesen wäre. Und auch ein Darlehen aufzunehmen, ist nicht immer eine Lösung, denn es muss zurückgezahlt werden. Auch Gutscheine passen nicht bei jedem. Es gibt keinen goldenen Mittelweg. Ich hoffe dennoch, dass viele Corona überstehen. Ich habe das Glück, durch den Städte- und Gemeindetag und auch den Deutschen Städtetag, in dem ich mitarbeite, ganz dicht dran zu sein an Leuten, die das entscheiden. Deshalb bitte unbedingt melden, wenn der Schuh drückt, damit wir es immer wieder mitgeben können. Ob es immer gehört wird, weiß ich nicht, aber wer nichts sagt, wird gar nicht gehört. Und wenn Corona vorbei ist, dann ist die Stadt immer noch leer ... Perspektivisch wollen wir, die Stadtvertretung in Zusammenarbeit mit der Verwaltung, mit drei großen Dingen die Stadtentwicklung vorantreiben, die dann auch Leute näher an die Innenstadt bringen: Das ist die neue Ortsumfahrung, die kommt, das ist sicher. Und es sind die Bebauung der Schlossinsel und die Entwicklung des Stadthafens. Für beides sind die B-Pläne vor wenigen Wochen rechtskräftig geworden. Wenn alles gut läuft, könnte Ende des Jahres Baustart auf der Schlossinsel sein. Wir wollen ja mit allem fertig sein, wenn in fünf oder sechs Jahren die Ortsumgehung fertig ist. An der Schlossinsel wird seit vielen Jahren mit Hochdruck gearbeitet. 2008, als ich als Bürgermeister noch ganz neu im Amt war, war eine meiner ersten Baumaßnahmen die archäologische Erkundungsgrabung auf der Schlossinsel. Einer der damaligen Bodendenkmalpfleger, Stefan Rahde, ist heute unser Museumschef. Die jetzige Entwicklungsgesellschaft wurde über eine Ausschreibung gefunden. Weil nun endlich der B-Plan fertig ist, kann jetzt der Investor tätig werden. Dass das alles in Deutschland so lange dauert mit dem Planungsrecht, habe ich mir nicht ausgedacht. Wir haben jetzt mit der Planerin der Entwicklungsgesellschaft aus Hannover für die Schlossinsel zusammengesessen. Vor der Sommerpause soll den Stadtvertretern der Erschließungs-/Gestaltungsplan vorgelegt werden, damit es im Spätherbst mit dem Bauen losgeht. Entstehen sollen Eigentumswohnungen und ein Hotel samt Parkhaus und Schwimmbad. Das ist ein Investitionsvolumen von 40 bis 50 Millionen Euro. Lesen Sie auch Tourismus: Anne Sturzwage wird Modellmanagerin für Wolgast und Usedom Usedom: Schnelltests an polnischer Grenze in Ahlbeck ab Ende Februar Datenpanne: Ist Vorpommern-Greifswald doch kein Hochrisikogebiet? Und was passiert im Stadthafen? Die Firma, die das Gelände erworben hat, ist der Entwickler des Areals, nicht der Betreiber der Vorhaben, die dort entstehen. Es sollen touristische Highlights gebaut werden, zum Beispiel ein Usedom-Haus als Welcome-Center für Touristen, vergleichbar mit dem Müritzeum in Waren. Das Usedom-Haus soll auf der Fläche des abgebrannten Speichers im Stadthafen entstehen. Wir wollen gern noch das Nachbargelände dazunehmen, auch wegen der erforderlichen Parkplätze. Da sind wir gerade in Gesprächen. Dort kann man die Geschichte, Geografie, Geologie, und Biologie der Region darstellen. Es muss ein bisschen zum Anfassen, was Echtes, was zum Spielen und viel Virtuelles sein – zum Beispiel die versunkene Stadt Vineta oder das Anlanden der Schwedenschiffe hier seinerzeit. Auf alle Fälle müssen wir da auch in sechs, sieben Jahren fertig sein. Die Gesellschaft hat auch noch ein fehlendes Grundstück gekauft, sodass nun das vor fast zehn Jahren erstellte Konzept aktualisiert werden kann. Und dann müssen wir Gas geben. Herr Weigler, sie sind also hundertprozentig davon überzeugt, dass Wolgast ein Gästemagnet werden kann? Ja, das bin ich. Zwei Millionen Urlauber kommen in normalen Zeiten pro Jahr auf die Insel Usedom. Wenn wir nur zehn Prozent der Gäste der Insel, also 200 000 als Tages- oder Halbtagestouristen herbekommen, wenn Ortsumgehung, Schlossinsel und Usedom-Haus fertig sind, bedeutet das einen enormen Kaufkraftzuwachs. Der Tagesbesucher gibt im Durchschnitt laut Statistik 57 Euro aus. Halbtagesbesucher etwa 30 Euro. Rechnen sie selbst, das wären sechs Millionen Umsatz in Gastronomie und Handel. Damit wären wir wieder beim Leerstand in der Innenstadt und dem wenig einladenden Umfeld in der Langen Straße. Was ist damit? Ja, es gibt viel Leerstand in der Langen Straße, dennoch täuscht es auch ein bisschen. Denn gerade passiert ganz viel. Das Haus an der Ecke, wo früher der Asiate drin war, und das daneben liegende Haus, wo Frau Zornows Laden war, sind beide verkauft. Die Käufer, sie sind keine Wolgaster, haben ein gutes Konzept vorgelegt und wollen die Gebäude nicht abreißen, sondern sanieren. Im Untergeschoss bleiben Laden- und Gewerbeflächen. Dann wird zum Sommer das Haus in der Baulücke des früheren „Peenestroms“ fertig. Dort sind dann u. a. das Servicecenter der Energie Vorpommern und ein Sanitätshaus zu finden. Bleibt noch der Schandfleck Kirchplatzschule ... Wir haben jetzt beim 7. Anlauf für die Kirchplatzschule erneut Städtebauförderung beantragt und diesmal hoffentlich Glück, denn die Schule wird dringend gebraucht von der evangelischen Schulstiftung. Klar verschlingt der Baukörper viel Geld. Aber die Aussage des Energieministeriums „Wir finden eine gute Lösung für Wolgast“ stimmt mich als Bürgermeister hoffnungsfroh. Und wenn die beiden großen Schandflecke beseitigt sind – Peenestrom und Schule – sieht die Stadt ganz anders aus. Dann kommen die Wohnungen dazu, die schnell vermietet sind, denn es gibt genug Klientel, die sich etwas teurere Wohnungen leisten können. Woran hapert es noch in der Stadt? Am fehlenden Bauland. Die Interessenten stehen Schlange. Und wenn das Pflegeheim in der Hufelandstraße kommt, reden wir auch über 120 Arbeitsplätze. Das sind nicht alles Wolgaster, aber wer hier arbeitet, will hierher ziehen. Zudem müssen in den nächsten zehn Jahren 2000 versicherungspflichtige Arbeitsplätze in Wolgast neu besetzt werden, weil die jetzigen Arbeitnehmer in Rente gehen. Von denen, die dann hier arbeiten, will auch der eine oder andere ein Haus bauen. Ich nenne mal zwei Beispiele: In der Baustraße hat die Stadt ein altes marodes Haus abgerissen. Jetzt gibt es dort 1700 Quadratmeter, also zwei schöne Bauplätze. Ohne dass es irgendwo stand, haben wir weit über zehn Bewerber dafür. Oder hinter der Kapelle St. Jürgen in Breiten Straße gibt es großes städtisches Grundstück hoch zum Familienzentrum. Das kann man erschließen. Seit wir überprüft haben, ob es bebaubar ist (ja, das ist es), gibt es jede Menge Interessenten. Wo kann noch Bauland entstehen? In der Wilhelmstraße geht es nicht, wie die Untersuchungen gezeigt haben. Denkbar ist es im Tannenkamp, Am Poppelberg und als Erweiterung des Wohngebietes Am Katharinenberg. Und ein paar kleine Flächen gibt es noch im Tannenkamp, wo einige wenige Häuser entstehen könnten. Aber manche Flächen, die sich anbieten, können wir durch die Nähe zum Schützenplatz nicht nutzen. Von Cornelia Meerkatz