Urteil zur Sterbehilfe: Herr Feldmann darf sein Ende selbst bestimmen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZS5U65M47NBE3DRAKXSLOOPOZQ.jpg)
“Endlich ein Schritt nach vorn”: Helmut Feldmann hat bereits im Jahr 2015 eine Verfassungsbeschwerde zur Sterbehilfe eingereicht.
© Quelle: Stefan Arend
Marl/Berlin. Helmut Feldmann kennt den Tod, der ihm droht. Er hat ihn beobachten können, wie er seine Schwester und seinen Vater dahinraffte, über Monate, in denen sie immer schlechter Luft bekamen und ihre Angst sich steigerte in nackte Panik. Beide litten an einer besonders schweren Form der Lungenkrankheit COPD. “Regelrecht verreckt sind sie”, sagt Helmut Feldmann. “So möchte ich nicht enden.”
Als die Krankheit dann auch bei ihm diagnostiziert wurde, war das für den 73-jährigen früheren Elektrotechniker aus Marl der Grund, sich vorsorglich beim Verein Sterbehilfe Deutschland anzumelden. Es gehe ihm zwar noch vergleichsweise gut, doch als eine Mehrheit im deutschen Bundestag Ende 2015 den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs neu fasste und die Sterbehilfe damit weitgehend verbot, schloss er sich der Beschwerde des Vereins beim Bundesverfassungsgericht an. “Ich möchte mir von der Politik nicht diktieren lassen, wie ich zu sterben habe”, sagt er.
Sterbehilfevereine und Palliativmediziner haben geklagt
An diesem Mittwoch hat Helmut Feldmann erfahren, dass die höchsten deutschen Richter seine Sicht teilen – denn an diesem Tag, nach mehr als vier Jahren, hat der Zweite Senat in Karlsruhe entscheiden, dass das Sterbehilfeverbot mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.
Mehrere Sterbehilfeorganisationen, Palliativmediziner und Einzelpersonen hatten gegen das Gesetz geklagt, das laut Wortlaut die “geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung” unter Strafe stellt – aber faktisch ein Ende der Sterbehilfe insgesamt in Deutschland bedeutete.
Dabei ging es der Mehrheit der Abgeordneten, die 2015 für die neue Regelung stimmte, vor allem darum, als professionell angesehenen Sterbehelfern wie dem früheren Hamburger Innensenator Roger Kusch und seinem Verein Sterbehilfe Deutschland das Handwerk zu legen.
Doch das neue Gesetz traf nicht nur sie. Die Tücke lag in dem Begriff “geschäftsmäßig”, der nicht allein “gewinnorientiert” bedeutet, sondern in der juristischen Auslegung alles erfasst, was “auf Wiederholung angelegt” ist – und das betrifft in der Praxis alle jene, die täglich mit Todkranken und ihren Wünschen und Ängsten zu tun haben.
“Große Verunsicherung bei Medizinern”
Seit der Einführung vor gut vier Jahren hätten sich nun alle Befürchtungen bewahrheitet, beklagen Kritiker. Was ist noch erlaubte Schmerzlinderung – und was schon die wiederholte Hilfe zum Tod? “Die Gesetzesänderung hat bei Medizinern sehr große Verunsicherung ausgelöst und Angst, von der Justiz verfolgt zu werden”, klagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). “Die Ärzte haben sich daher weitestgehend zurückgezogen. Schwerstkranke Patienten sind alleingelassen.”
Indirekte Kritik an dem neuen Gesetz kam schon einmal von hoher juristischer Warte: Im Jahr 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Staat unheilbar Kranken “im extremen Einzelfall” den Kauf eines Mittels erlauben muss, “das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht”. Auf Weisung des Bundesgesundheitsministeriums hatte das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte jedoch bislang alle Anträge von Betroffenen abgelehnt. Man wollte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten, hieß es aus dem Gesundheitsministerium.
Herr Feldmann darf nun selbst entscheiden
Aus den Fragen und Anmerkungen der Richter bei der mündlichen Anhörung im Vorfeld der Entscheidung schlossen viele Beobachter darauf, dass das Gericht den neuen Paragrafen als zu weitgehend kritisieren könnte. “Die Richter sehen ja auch, was die Neufassung angerichtet hat”, sagt Karl Lauterbach, der dafür plädiert hatte, dass Ärzte unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben müssten, bei der Selbsttötung zu helfen.
Und auch Helmut Feldmann zeigte sich vor der Urteilsverkündung zuversichtlich: “Ich bin zu 80 Prozent überzeugt, dass das Gesetz keinen Bestand hat”, sagt er. Heute gaben ihm die Richter Recht.