Aus Liebe zur Musik: Bob Dylan wird 80
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Als der junge Folkgott die E-Gitarre einstöpselte, schrien die Puristen „Judas“: Bob Dylan, der heute (24. Mai) 80 Jahre alt wird, und Joan Baez im Jahr 1965 in London.
© Quelle: UPI
Bob Dylan. Steht für die gewundene Straße der Musik. Immerzu unterwegs – Hobo mit Gitarre auf Neverending Tour. War der rangerste Kämpfer des Pop für das Gute. Marschierte 1963 neben Martin Luther King, sang „When the Ship Comes in“ in Washington für die Bürgerrechte der Schwarzen, wurde Idol einer Generation. Sah gut aus, kam cool rüber, flunkerte sich eine aufregende Hobobiografie zurecht, änderte seinen jüdischen Namen Robert Zimmerman und hatte schon als ganz Junger diese extrem alte Stimme. Verwandelte seinen Folk mit der E-Gitarre in Rock ’n’ Roll und erntete in Konzerten dafür die „Judas“-Rufe der Puristen.
Bob Dylan entzog sich früh den Erwartungen
Dylan entzog sich alsbald allen Vereinnahmungen, allen Bitten um Erleuchtung. Machte, was er wollte: christliche Songs, ein Weihnachtsalbum, Sinatra-Platten. Bekam als bislang einziger Musiker den Nobelpreis für Literatur. Einer medialen Ausleuchtung verweigert er sich – er spricht durch Musik: „It’s all in the songs“, versicherte Dylan, der am 24. Mai 80 Jahre alt wird.
Die Journalisten Stefan Aust und Martin Scholz nähern sich ihm zum Geburtstag in ihrem nach der Dylan-Ballade „Forever Young“ benannten Buch (Hoffmann & Campe, 286 Seiten, 22 Euro) von außen. Um den enigmatischen Jubilar kreisen Interviews von 18 Bewunderern und Bewunderinnen – aus dem eigenen Berufsfeld, aber auch aus fremden Metiers. Hätte man in Ursula von der Leyen einen Dylan-Fan vermutet? Eher nicht. Aber die Politikerin fuhr als junge Frau in ihrem Fiat 500 mit dem Kassettenrekorder auf dem Beifahrersitz und einem selbst aufgenommenen Dylan-Mixtape darin durch die Lande.
Von der Leyen liebt Dylan und „Blowin’ in The Wind“
Und von der Leyen sang jüngst auch „I Shall Be Released“ auf dem 60. Geburtstag eines Freundes. Auf die Frage nach ihrem Bob-Dylan-Lieblingslied antwortet die Präsidentin der Europäischen Kommission und frühere deutsche Verteidigungsministerin mit Dylans Übersong „Blowin’ in the Wind“, in dem der Protestsänger 1962 fragte: „Wie lange müssen die Kanonenkugeln noch fliegen / bevor sie für immer verbannt werden.“ Ja, so von der Leyen sinngemäß, Frieden sei doch auch ihre Maxime und natürlich auch die der Bundeswehr.
Reinhold Messner dreht Dylan aufs Bergsteigen
Reinhold Messner bricht, auf Dylan befragt, notorisch einfach alles aufs Bergsteigen runter. Sogar die zu vielen Toten in „Blowin’ in The Wind“ bezieht er, den Blick strikt unterhalb des Tellerrands, auf die zu hohe Zahl verunglückter Alpinisten. Und die große Folkheroine Joan Baez, die Dylan Anfang der Sechzigerjahre zum Durchbruch verhalf und eine Zeit lang seine Lebensgefährtin war, die uns Dylans Persönlichkeit also entschlüsseln könnte wie kaum jemand sonst, verlegt sich auf Woodstock, die Sixties, ihre Abschiedstour, umschippert das Thema. Trotz aller Verletzungen durch die Trennung damals bekennt sie jedoch: „Es gibt für mich keine ausdrucksstärkeren, mächtigeren Songtexte als die von Dylan.“
Hardrocker und Elektromusiker – alle sind Fans von Bob Dylan
Gene Simmons, für Bass und Gesang bei der maskierten Hardrockband Kiss zuständig, erklärt diesbezüglich den Unterschied: Dylan-Texte lese man „wie klassische Literatur. Vor Bob Dylan war Popmusik einfach nur Popmusik.“ Dylan habe die Musiker ab 1962 inspiriert, „über andere Dinge zu schreiben als nur über Mädchen und wie man ihnen hinterherläuft“.
Jean-Michel Jarre, Pionier der von Dylan stilistisch ähnlich weit entfernten Elektromusik, schwärmt vom Sehnsuchtsvollen und Schwermütigen: „Diese Lieder dringen in deinen Geist und in dein Herz ein, und du wirst sie nicht mehr los.“ Er lobt den „Klang der Wörter bei Dylan“ und die „Lebenserfahrung in der Stimme“. Die Dylan 1985 im „Time Magazine“ selbst eher abschätzig beurteilte: „Ich habe keine besonders gute Stimme“, sagte er damals, „ich glaube, sie klingt verdammt nach einem Kojoten oder so was.“
„Give the people what they want?“ – nicht Bob Dylans Livemaxime
Die für Novizen wohl befremdlichste Eigenheit Dylans: Seine Songs leben, sind nie fertig, sind an jedem Konzertabend anders drauf, mal lieblicher, mal mürrischer – oftmals die gleichen Lyrics zu scheinbar neuer Melodie. So dass man Klassiker wie „Like a Rolling Stone“, „Chimes of Freedom“ oder „Visions of Johanna“ nur anhand von Textfetzen erkennt. Dylan steht quer zum Liveprinzip „Give the people what they want“ der meisten Bands und Popstars. Von der Leyen war davon auf ihrem späten ersten Dylan-Konzert 2019 zunächst irritiert, überwand aber ihre Nostalgie und fand den Vortrag im Rückblick „grandios“. Politkollege Otto Schily schätzt das „ungefällige“ an Dylans Auftritten. Und die Schauspielerin Martina Gedeck weist jede Kritik an seiner Performance als unverständlich zurück: „Das ist so, als würde man sich darüber beklagen, dass das Meer Wellen hat.“
Die Studioversion eines Songs kann jedenfalls keine Herrschaft über die Liveversionen beanspruchen: „Ich höre mir mein altes Zeug nie an“, gestand Dylan 1997 dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Ich möchte nicht an mich selbst erinnert werden oder einen Einfluss auf mich ausüben. Ich will weiter und zwar immerzu.“ Und in diesem steten Vorwärts gelangte er 2016 zum größten Triumph eines Songwriters – zum Nobelpreis für Literatur.
In „Murder Most Foul“ beschwört er das unheimliche Amerika von Greil Marcus
Und er landete 2020, im letzten Jahr des Unpräsidenten Donald Trump, mit dem Album „Rough and Rowdy Ways“ seine erste Nummer eins in Deutschland, beschrieb in den 152 Versen des Songs „Murder Most Foul“ die Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy 1963 als heftigen ersten Axthieb der aktuellen amerikanischen Spaltung und beschwor damit das alte, gewaltbereite, „unheimliche Amerika“ herauf, von dem Greil Marcus 1997 in seinem Dylan-Buch „Basement Blues“ sprach. Der einstige Studentenführer Daniel Cohn-Bendit hört auf dem Album Lieder, die „wie ein Testament klingen“. Und: Dylans extrem alte Stimme passt endlich zu ihrem Herrn.
Was den Interviewten als Vollendung des Satzes „Eine Welt ohne Bob Dylan wäre …“ einfällt, geht zu oft in die uninspirierte „… ärmer“-Richtung. Nur der iranischstämmige Schriftsteller Navid Kermani findet Tröstliches: „Eine Welt ohne Bob Dylan wird es zum Glück nicht mehr geben, weil wir ja seine Platten haben. Wir können ihn immer hören.“
Dylan: „Forever Young“ und trotzdem 80 Jahre alt
Am Ende ist einem die Person Bob Dylan nicht unbedingt vertrauter geworden als vor der Lektüre. Aber man hat Gene Simmons besser kennengelernt und sogar die sonst stets als zu kühl empfundene Frau von der Leyen hat einen für sich erwärmt. Und das ist das Verdienst von Dylan, der zwar „forever young“ ist, aber trotzdem 80 wird. Man wünscht ihm noch viele gute Jahre, viele gute Konzerte. „Er sollte weitermachen, bis er 100 ist“ findet der Thrillerautor Dan Brown.
Dass der Gefeierte Austs und Scholz’ 300-Seiten-Laudatio in Gesprächen zur Kenntnis nehmen wird, darf man wohl ausschließen: „Ich lese doch kein Buch über mich“, äußerte sich Dylan 1997 gegenüber „USA Today“. „Warum sollte ich das tun? Ich bin doch ständig mit mir selbst zusammen.“
Stefan Aust/Martin Scholz: „Forever Young – Unsere Geschichte mit Bob Dylan“, Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 22 Euro.