Beatles-Abschied: Vor 51 Jahren erschien „Let It Be“, jetzt kommt die Jubiläumsbox
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Die Jahrhundertband: Schon vor Veröffentlichung des Albums „Let It Be“ am 8. Mai 1970 trennten sich die Beatles (von links: Paul McCartney, Ringo Starr, George Harrison, John Lennon). Danach begann der Mythos der Liverpooler Popgruppe.
© Quelle: dpa
Die Rückkehr zum Einfachen, die Abwendung vom Verschnörkelten, Komplexen, das war es, was die Beatles, die Anführer der Popmusik der Sechzigerjahre, vorhatten, als sie am 2. Januar 1969, kurz nach Erscheinen des „Weißen Albums“ wieder ins Studio gingen. Bob Dylan hatte sich in die Grube des alten US-Folk begeben, die Rolling Stones hatten mit „Beggar’s Banquet“ das Psychedelische abgestreift, sich wieder dem Blues verschrieben. Warum sollten nicht auch die Beatles „back to the roots“, zurück zur Einfachheit?
Das Album sollte „Get Back“ heißen – zurück zum schlichten Rock ’n’ Roll
Schon das gut einen Monat zuvor veröffentlichte Doppelalbum hatte folkige Stücke wie „Blackbird“ und „I Will“ aufgewiesen, Rock ’n’ Roll wie „Birthday“ und „Back in the U.S.S.R.“ und simplen Pop wie „Don’t Pass Me By“ oder „Ob-la-di, Ob-la-da“ – alles Stücke, die man auch gut live spielen konnte. „Get Back“ sollte das nächste Album entsprechend heißen – „Geh zurück“ –, und es sollte im Frühjahr 1969 erscheinen.
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Es kam dann doch erst am 8. Mai 1970 in die Läden, knapp einen Monat nachdem Paul McCartney das Ende der Beatles verkündet hatte, und hieß nun „Let It Be“, nach McCartneys Klavierballade über seine Mutter, die ihm im Traum erschienen war. Statt Neubeginn war das Album jetzt der Schlussstrich. Heute (15. Oktober) erscheint in diversen Formaten – die luxuriöseste ein Fünf-CD+Bluray-Ziegel – eine Jubiläumsausgabe. Wie das Original kommt sie mit einem Jahr Verspätung.
Die Rückkehr zum Schlichten hatte ihnen der amerikanische Produzent Phil Spector verhagelt, der das verlorene Beatles-Album mit dem Pomp-Pop seiner „Wall of Sound“ verkleisterte. Orchester, Chöre, großes Gedöns. Dem Beatles-Produzenten George Martin wäre solcher Kitsch nie passiert. Wie reduziert alles eigentlich hätte klingen sollen, zeigt der Rekonstruktionsversuch „Let It Be … Naked“ von 2003. Oder der in der neuen Box enthaltene Glyn-Johns-Mix von 1969.
Die Kinodoku „Let It Be“ zeichnete ein allzu deprimierendes Bild
Wer den im Lauf der Siebzigerjahre regelmäßig in den Sommermatineen kursierenden Film „Let It Be“, der nur fünf Tage nach dem Albumrelease Premiere hatte, im Kino sah, glaubte, einer zerbrochenen Band zusehen zu können, die den Kitt für die Scherben nicht fand. Die Sessions erscheinen darin zäh, die Musiker gereizt und ratlos, John Lennons Freundin Yoko Ono wirkt im Studio wie ein permanenter Störsender.
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Wer indes die auf dem Schwarzmarkt gehandelten „Let It Be“-Studiobootlegs besitzt, wundert sich, mit welchen Songs die Beatles hier alles Zeit totschlugen. Und man hört sie lachen, angeregt plaudern, vier Freunde sein wie früher. Die lustigen Bootlegs passen nicht zur Depri-Doku von Michael Lindsay-Hogg, der inzwischen auch im Beatles-Giftschrank verschwunden ist.
Auf die „Let It Be“-Sessions folgte das Meisterwerk „Abbey Road“
„Let It Be“ bedeutete denn auch „Lass es sein“, aber nicht im Sinn von „Lass es bleiben“, sondern von „Lass es zu“. Auch wenn viele Fans das Schwarz des Albumcovers wie den Beatles-Grabstein anschauten, auch wenn es während der Aufnahmen tatsächlich Streitigkeiten und kurzzeitige Bandausstiege gab, den Wunsch nach Ausruhen, Privatleben der seit 1963 unentwegt emsigen Fab Four, so schwangen sich die vier nach dem vorläufigen Scheitern des „Get Back“-Projekts schon im April 1969 noch einmal zu der musikalischen Großtat „Abbey Road“ auf und skizzierten sogar ein Nachfolgealbum dazu.
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Ein Liveauftritt am 30. Januar 1969 auf dem Dach ihres Hauptquartiers in der Londoner Savile Row hatte den Beatles überdies gezeigt, wie gut sie nach mehr als zwei Jahren Konzertpause noch immer auf der Bühne waren. Alle vier waren begeistert am Konzerttag des 30. Januar 1969, sogar der dem Plan von neuen Beatles-Tourneen strikt abgeneigte George Harrison.
Beatles forever – Es hätte auch endlos weitergehen können
Aber Harrison wollte nicht mehr Juniorpartner und Sidekick von Lennon und McCartney sein, John Lennon hatte seine Plastic Ono Band, Ringo Starr hatte den Film und die Schauspielerei für sich entdeckt, und das Schicksal des verlorenen und verschandelten „Let It Be“ zeigte Paul McCartney das bislang Unvorstellbare – den kreativen Kontrollverlust über ein Beatles-Album. Aus dieser Erkenntnis der Ohnmacht heraus verabschiedete er sich am 10. April 1970 von den Beatles. Der Neubeginn „Let It Be“ wurde zum Schwanengesang. Heute sagt er zum Beatles-Split: „Unser Johnny war schuld.“
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Ende November wird eine neue Doku über die „Let It Be“-Sessions ins Kino kommen. „Herr der Ringe“-Regisseur Peter Jackson wird in seiner dreiteiligen Doku „Get Back“, das deutet sich an, aus dem alten Bild- und Tonmaterial ein freundlicheres Bild der von Harrison „Winter des Unmuts“ genannten Phase zeichnen als Lindsay-Hogg – das Bild einer Band, deren Geschichte genauso gut hätte weitergehen können wie die der Stones, der Kinks, der Who, der drei anderen großen Mitbewerber aus den Jahren der British Invasion. Trennung war eine Option, nicht aber eine Zwangsläufigkeit.
Aufhören war die Antwort für die Beatles
Wichtig war sie trotzdem, und Aufhören war die Antwort für die Beatles auf die Frage, was nach dem Meisterwerk „Abbey Road“ noch kommen konnte. Statt noch viele Alben aufzunehmen und über die Jahrzehnte ins Mittelmaß abzurutschen wie so viele andere, sind die Beatles stattdessen zur einflussreichsten Band aller Zeiten geworden. Vielleicht hat McCartney ja auch seine Beatles gemeint, wenn er im Song „Let It Be“ von den „broken hearted people“ sang: „Denn wenn sie auch getrennt sein mögen, ist da immer noch die Chance, dass sie erkennen, dass darin eine Antwort liegt.“
Die „Let It Be“-Box hat noch Luft nach oben
Schade, möchte man nun meinen, während man den neuesten, kostbaren Beatles-Ziegel in den Händen wiegt. Schade, dass man dieser üppigen Jubiläumsausgabe (wohl aus rechtlichen Gründen) die Filme über die „Let It Be“ Sessions nicht beigefügt hat – den Traurige-Beatles-Endzeit-Streifen „Let It Be“ Lindsay-Hogg von 1969 und den aktuellen Fröhliche-Endzeit-Dreiteiler von Jackson. Schade auch, dass man keine eigene CD dem „Geklimpere“ widmete, der Inspirationssuche der Fab Four, die beim Work-in-Progress zahllose bekannte Weisen spielten – sogar das Zitherthema aus dem Nachkriegsthriller „Der dritte Mann“ von Anton Karas. Wahre Beatlemaniacs haben diesen Stoff seit Jahrzehnten auf klangtechnisch entsetzlichen Bootlegs und hätten viel mehr von diesen Highlights und Obskuritäten gerne mal in etwas besserer Qualität besessen.
Die Jubelausgabe hätte gern auch auch das komplette „Dachkonzert“ enthalten dürfen, mit dem sich die Beatles am 30. Januar 1969 oben vom Gebäude ihrer Firma Apple als Liveband zurückmeldeten, stattdessen ist nur „Don‘t Let Me Down“ eingebunden. So ist diese Festausgabe von „Let It Be“ auch ein Denkmal einiger verpassten Gelegenheiten.
Enthalten sind auf den fünf CDs außer Phil Spectors remastertem offiziellen Album und Glyn Johns unter dem Titel „Get Back“ fertiggestellter, verworfener Version aus dem Frühjahr 1969 noch Alternativversionen der Songs von „Let It Be“, frühe Varianten einiger Stücke, die dann auf „Abbey Road“ landeten („Octopus‘s Garden“, „Polythene Pam“) oder auf frühen Soloalben (“McCartneys „Teddy Boy“, Lennons „Gimme Some Truth“ oder Harrisons „All Things Must Pass“).
„Save The Last Dance for Me“ von den Drifters spielen die Beatles auch an auf diesem Album. Nachgerade wurde es ihr letzter Tanz. Das letzte Wort zu „Let It Be“ ist mit dieser Box freilich noch immer nicht gesprochen.
The Beatles – „Let It Be – 50th Anniversary Super Deluxe Special Edition“ (Apple/Universal)