Beatles-Remixer Giles Martin: „Die Beatles waren eine fremde Band für mich“

Ein Glückskind unter Glückskindern: Giles Martin, hier bei der Premiere des Films „Rocketman“ über Elton John, legt am Freitag, 27. September, seinen Remix des Beatles-Albums „Abbey Road“ vor. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland gab er sein einziges Deutschland-Interview.

Ein Glückskind unter Glückskindern: Giles Martin, hier bei der Premiere des Films „Rocketman“ über Elton John, legt am Freitag, 27. September, seinen Remix des Beatles-Albums „Abbey Road“ vor. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland gab er sein einziges Deutschland-Interview.

„Ich sitze hier in den Studios, in meinen Studios an der Abbey Road in London …“, sagt der Musikproduzent Giles Martin durchs Telefon. Er befindet sich also bei seinem einzigen Deutschland-Interview quasi an seinem Arbeitsplatz, wo er nach „Sergeant Pepper“ und dem „Weißen Album“ auch die am 27. September erscheinende Jubiläumsausgabe des Beatles-Albums „Abbey Road“ gemischt und am Soundtrack zum Elton-John-Biopic „Rocketman“ gearbeitet hat. „Was könnte man Ihren Lesern dazu noch Interessantes sagen?“, sinniert der Sohn des legendären, 2016 verstorbenen Beatles-Produzenten George Martin kurz. „Ich habe keine Kleider an“, sagt er dann plötzlich. „Ich sitze nackt in den Abbey Road Studios.“ Dass er dabei nicht mal lacht, ist fester Bestandteil des britischen Humors. Nur so kann das auch jemand glauben.

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Mr. Martin, könnten Sie sich eine Welt ohne Beatles-Lieder vorstellen, wie das der Regisseur Danny Boyle kürzlich in seinem Film „Yesterday“ tat?

Wenn man sich diese fürchterliche Welt so anschaut mit Donald Trump, dem Brexit und all dem, was sonst noch so darin passiert, dann leben wir vielleicht schon in einer Welt ohne Beatles-Lieder. Na ja, und dann ist das irgendwie auch der Grund, warum wir die Beatles-Alben jetzt soundmäßig auf Vordermann bringen: Für viele junge Leute ist es ja eine Welt ohne Beatles-Songs – sie kennen sie nicht, hören andere Musik. Das sollten sie ändern, denn Beatles-Lieder sind voll von Liebe. Lassen Sie es mich so sagen: Deine Welt ist ein viel besserer Ort, wenn Beatles-Lieder darin vorkommen.

War die Arbeit an dem Album „Abbey Road“ etwas Besonderes für Sie? 14 Tage nach seinem Erscheinen kamen Sie damals zur Welt.

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Deswegen kann ich mich also nicht an den Tag erinnern, an dem das Album herauskam. Meine Geburt fiel damals übrigens mit John Lennons Geburtstag zusammen. Und der sagte meinem Vater einen ziemlich derben, undruckbaren Spruch, sinngemäß fragte er sich und ihn, was wohl mal aus mir werden würde. Und zu „Abbey Road“: Das war die Beatles-Platte, die mir als Kind am präsentesten war. Es war die Platte, die wir zu Hause hatten. Meine Schwester und ich hatten jeder ein Exemplar, und wir hörten es oft auf unserem Plattenspieler. Also: Ja, es gibt da eine besondere Zuneigung.

Gab es bei den Martins zu Hause nicht alle Beatles-Platten?

Oh nein. Das „Weiße Album“ hörte ich zum ersten Mal, als ich 18 Jahre alt war. Die Beatles waren eine fremde Band für mich, als ich aufwuchs. Sie waren damals auch lange nicht so populär wie in ihrer Zeit oder wie sie es heute sind. Das wuchs erst mit der Zeit.

Ihr Vater hat Ihnen keine Beatles-Musik eingeflößt?

Nein, er tat genau das Gegenteil. Kreative Leute wollen ja immer weg von dem, was sie gemacht haben, denn sie sind ja längst an der nächsten Sache dran. Mein Vater produzierte Jeff Beck und die Band America. America waren viel mehr Teil meiner Welt, die kannte ich als Kind, zu denen flogen wir nach Los Angeles. Die Beatles waren „old-fashioned“. Heute gilt das mehr für America.

Welche Popstars waren Ihre Idole als Teenager?

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Ich war ein Gitarrist, also wollte ich Stevie Ray Vaughan sein, der Bluesmann. Und ich liebte Andy Fraser und Paul Kosoff von Free. Obwohl ich ein Kind der Achtzigerjahre bin, hat die Popmusik der Achtzigerjahre, die jetzt wieder cool ist, mein Herz damals nicht berührt. Anders als bei meiner Frau, die ein riesiger Madonna-Fan ist. Ich hing mehr in den Siebzigerjahren fest. Halt, ich vergaß: In den Achtzigern gab es natürlich Talk Talk, ihr „The Colour of Spring“ war ein fantastisches Album. Und ich liebte wirklich Lloyd Cole & the Commotions und ihr Album „Rattlesnakes“.

War es schon früh klar, dass der Sohn des Beatles-Produzenten George Martin in die Fußstapfen seines Vaters treten würde?

Mein Vater war sehr dagegen, dass ich ins Musikgeschäft gehe. Da war er sogar echt grausam. Ich erinnere mich, als ich mit 14 mit der Familie Skifahren war, in Oberlech, wo ich heute noch Urlaub mache. Mein Vater arbeitete am Hotelpiano am Arrangement einer Filmmusik und fragte mich plötzlich, was ich eigentlich mal werden wolle. Und ich sagte, ich wolle in die Musik. Da sagte er: „Das kannst du nicht?“ Ich so: „Wieso nicht?“ Und er so: „Weil du nicht gut genug bist.“ Das saß. Aber ich war einer von der „Ich zeig’s dir, du Bastard“-Sorte.

Und Sie haben es ihm tatsächlich gezeigt.

Was passierte war, dass sein Gehör nachließ. Und er wollte nicht, dass irgendwer das mitbekam. Die einzige Person, der er diesbezüglich traute, war ich – sein Sohn. So wurde ich zu seinen Ohren. Ich war damals 19 Jahre alt. Der Who-Gitarrist Pete Townshend hat mich in seinem Buch erwähnt – ich war der „versteckte Mensch“ der Studios. Aber für mich war das die Gelegenheit: Ich lernte von ihm, und weil er immer mehr ertaubte, bin ich bis heute gut im Hören von Frequenzen. Ich helfe sogar beim Designen von Lautsprechersystemen.

Wie vertrauensvoll sind Paul McCartney, Ringo Starr und die Beatles-Witwen Yoko Ono und Olivia Harrison bezüglich Ihrer Remixes? Wird Ihnen viel reingeredet, oder lässt man Sie walten?

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Da muss ich ausholen: Mein erstes Beatles-Projekt war 2006 der Soundtrack für die Cirque-du-Soleil-Show „Love“. Mein Vater hatte damals Krebs, und der Vertrag stand auf der Kippe. Ich hatte mein erstes Beatles-Meeting und schlug vor, eine Show zu erschaffen, die die Beatles nie gespielt hatten – indem ich ihre Bänder zerhackte und neu zusammensetzte – Mash-ups waren das große Ding damals. Mein Vater sagte zu mir: „Du hast drei Monate, und ich bezahle dich nicht.“ Und so mischte ich los, mischte sogar die psychedelische Ballade „Tomorrow Never Knows“ mit dem Sitarstück „Within You, Wihout You“ zusammen. Mein Vater sagte: „Jetzt bist du zu weit gegangen.“ Ich spielte es Paul vor, und Paul liebte es, und so begann auch mein Vater es zu mögen, bis er am Ende sagte, er liebe es. So begann meine persönliche Beziehung zu den Beatles.

Die bis heute gedeiht.

Total. Und ich bin da oft das größte Problem, weil ich oft mit irgendetwas nicht zufrieden bin. Dann helfen Paul und Ringo mit ihrem Zuspruch. Ich habe einen Dolby-Atmos-Mix von „Sergeant Pepper“ gemacht, und Paul kam Anfang dieses Jahres vorbei, um sich ihn mit mir anzuhören. Und danach sagte er: „Weißt du, wir waren solche Glückskinder, deinen Vater gehabt zu haben. Und wir sind immer noch Glückskinder, weil wir dich haben.“ Ich sagte ihm: „Paul, ich bin so froh, dass ihr mich gebeten habt, diese Arbeiten zu machen.“ Da grinste er und sagte: „So sind wir alle Glückskinder.“

Haben Sie sich bei der Arbeit an den ganzen Jubiläumsausgaben manchmal gewünscht, die ziemlich fleißigen Beatles hätten mehr Zeit zwischen ihren Alben verstreichen lassen?

Gute Frage, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Vielmehr ist es so, dass ich zwischendurch auch andere Sachen machen muss wie den Soundtrack zum Elton-John-Film „Rocketman“. Es bleibt immer noch Raum – ansonsten würde ich komplett durchdrehen.

Wie sieht ein Beatles-Mix von Giles Martin aus? Verbessern Sie die bekannte Aufnahme mit Teilen anderer Takes des Songs?

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Die beste Art, es zu erklären, geht so. Musik wird in vielen verschiedenen Stücken und Stückchen aufgenommen. Das ist wie einen Kuchen zu machen mit all seinen Ingredienzen. Um den Sound zu verbessern oder die Hörer sich der Musik näher fühlen zu lassen, brechen wir das Ganze in seine Ingredienzen auf und fügen sie wieder zusammen, sodass sie sich alle besser entfalten können. Das ist der Remix. Aber wir tauschen nichts an den Takes aus. Du hörst dir am Ende genau dieselbe Aufnahme an wie zuvor.

Und wenn Ihnen ein Beatles-Fan sagt: Ich will die Lieder so behalten, wie ich sie kenne. Bitte nichts ändern!

Dem sage ich: Das ist großartig! Denn er ist leidenschaftlich bei der Musik und das in einer Welt, wo zu viele Leute Musik hören ohne ihr zuzuhören. Die meisten Beatles-Fans sind zwar glücklicherweise sehr angetan und wollen noch weitere Remixe, aber was ich sage, ist: Liebt Musik! Und nicht: Liebt meine Remixe!

Was war anders an der Arbeit bei „Abbey Road“?

„Abbey Road“ klang viel besser, viel moderner als „Sergeant Pepper“, war am meisten Hi-fi von allen Beatles-Alben. Es war eine harte Nuss, schwere Arbeit – nicht ganz so schwer wie ganz unten in einem Bergwerk, aber schon hart, es richtig hinzukriegen.

Wird „Abbey Road“ bei Ihnen zu Hause gespielt? Gehören Ihre Töchter zur nächsten Generation von Beatles-Fans?

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Sie sind jetzt zehn und zwölf Jahre alt und zurückhaltender in Sachen Beatles – sehr zur Freude meiner Frau, denn dann laufen die Songs nicht den ganzen Tag bei uns. Aber ihre besten Freunde stehen total auf die Beatles und finden sie cool – und so müssen die beiden zumindest so tun, als würden sie sie mögen.

Wie populär werden die Beatles Ihrer Meinung nach sein, wenn 2069 der 100. Geburtstag von „Abbey Road“ gefeiert wird?

Ich glaube, die Beatles haben den Punkt erreicht, dass ihre Musik länger in der Welt sein wird als Sie oder ich. Wie die Komponisten der klassischen Musik. Mozart war nicht der einzige Komponist seiner Zeit, aber er ist der berühmteste, seine Musik hat die Zeiten überdauert. Die Beatles werden lange in Erinnerung bleiben – wie Cole Porter, George Gershwin oder Mozart.

Was werden Sie in 14 Tagen an ihrem eigenen 50. Geburtstag machen – eine Beatles-Party?

In der Tat habe ich meine 50-Party schon vor anderthalb Wochen gefeiert – eine Perückenparty (lacht). Und ich habe Bass in einer Band mit Taron Egerton, dem Elton John aus dem „Rocketman“-Film, gespielt, und mein Freund Rick Astley hat getrommelt und gesungen. Wir haben viel getrunken und keinen einzigen Beatles-Song gespielt.

Werden Sie zum Jubiläum 2020 auch das letzte Beatles-Album „Let It Be“ remixen, das Einzige, das nicht von Ihrem Vater produziert wurde?

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Viele Leute vermuten das, aber ich arbeite ja nicht für meinen Vater, sondern für die Beatles. Und ich werde nicht gebeten, mit dem Material zu arbeiten, nur weil ich meines Vaters Sohn bin. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Pläne für solch ein Album. Aber ich arbeite mit dem Regisseur Peter Jackson an einer neuen Version des Films „Let It Be“. Es geht also weiter. Und ich muss jetzt leider los.

Vergessen Sie nicht, sich was anzuziehen. Draußen ist es kalt.

Hier drinnen auch. Deswegen musste ich vorhin auch so niesen.

Giles Martin (49) ist Musikproduzent, Remixer, Musiker und Head of Sound bei der Plattenfirma Universal Music. Der Sohn des legendären, 2016 verstorbenen Beatles-Produzenten George Martin hat seit 2006 an diversen Beatles-Projekten gearbeitet, zuletzt an den aufwendigen 50-Jahre-Ausgaben der Alben „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, „The White Album“ und dem am 27. September erscheinenden „Abbey Road“. Martin ist verheiratet und hat zwei Töchter.

„Abbey Road“ ist das am 26. September 1969 erschienene elfte (unter Einberechnung der später zur LP ausgebauten EP „Magical Mystery Tour“ zwölfte) Album der Liverpooler Band The Beatles. Es enthält die Songklassiker „Come Together“, „Here Comes The Sun“, „Something“ und „Octopus’s Garden“. Es war das letzte Album, das John Lennon, Paul McCartney George Harrison und Ringo Starr zusammen aufnahmen. Danach erschien im Mai 1970 noch das dreizehnte Album „Let It Be“, das aber vor den „Abbey Road“-Sessions eingespielt wurde.

„Abbey Road“ – Die Jubiläumsausgaben: Das dickste Paket, das zum Jubiläum geschnürt wird, ist die Super Deluxe Edition von „Abbey Road“. Sie enthält drei CDs, dazu eine Audio BluRay mit dem Album in Dolby Atmos. Auf der ersten CD befindet sich das Originalalbum im neuen Mix, auf den zusätzlichen CDs sind 23 (chronologisch sortierte) Aufnahmen aus den „Abbey Road“-Sessions versammelt. Die großformatige Box enthält ein 100-Seiten-Hardcoverbuch, in dem Beatles-Biograf Kevin Howlett ausführlich von den Aufnahmen des Albums erzählt. Das Vorwort hat Paul McCartney verfasst, die Einleitung stammt von Giles Martin. Eine Drei-LP-Edition wird in einer Box die komplette Musik der drei CDs auf 180-Gramm-Vinyl-Scheiben versammeln. Eine 2-CD-Version enthält neben dem neuen „Abbey Road“-Mix Demoversionen der Albumsongs in der Originalreihenfolge. Für Otto-Normal-Beatles-Fan, der nicht auf musikarchäologischen Pfaden wandeln möchte, gibt es das klangtechnisch aufgebrezelte Originalalbum als einfache CD oder LP sowie als limitiere Picture-Disc. Die Super Deluxe Digital Audio Version enthält alle 40 Tracks als Download und Stream in Standard- und MFiT-Format sowie in High Resolution Audio (96kHz/24 Bit) als Download.

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