Paul McCartney: „Ich konnte nicht sagen: ‚Ich liebe dich, John!‘“
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„Oh no no no, so machen wir das aber nicht“: In London erzählte Paul McCartney, wie sich die Beatles der Rassentrennung bei US-Konzerten verweigerten. (Archivfoto)
© Quelle: Richard Wainwright/AAP/dpa
„Ich mag Busse“, bekennt Paul McCartney. Immerhin – John Lennon habe er zuerst in einem Bus getroffen. Busse hätten überhaupt eine Rolle gespielt im täglichen Leben im Liverpool seiner Kindertage, und so hielten und fuhren sie später auch in den Songs der Beatles. Man sei, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, die erste Generation gewesen, die von dem öffentlichen Transportsystem profitierte. McCartney zitiert die Buszeile aus „A Day in the Life“ von „Sergeant Pepper“: „Made the bus in seconds flat.“ Viel Vergangenheit wird lebendig im Southampton Centre im Herzen Londons. Paul McCartney stellt hier sein soeben erschienenes zweibändiges Werk „The Lyrics“ vor. Einen wuchtigen Ziegel von Schuber, worin er – ausgehend von 154 Texten seiner Beatles-, Wings- und Solojahre – sein Leben ausbreitet.
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Und wie in einem Bus, wird der Zuschauer im Theatersaal und im Stream am Freitagabend von Station zu Station getragen – dominiert naturgemäß von McCartney selbst, dem immerwährend charmanten, humorvollen, plauderfreudigen Busfahrer der Popmusik, assistiert von dem nordirischen Dichter Paul Muldoon, dem er für dieses Buchprojekt fünf Jahre Gesprächspartner war, moderiert von der BBC-Sprecherin Samira Ahmed.
Der neben Bob Dylan wohl einflussreichste lebende Popmusiker sitzt mit redenden Augen und Händen in seinem blauen Sessel. Alle drei haben sie auf der Bühne eine Botschaft am Revers – den Papiermohn für eine friedfertige Zukunft, Solidaritätsblümchen für die, die in Krieg und Terror ihr Leben ließen. Eine spezielle Art von „All You Need Is Love“.
Dass es vornehmlich bis ausschließlich über die Beatles-Jahre geht, obwohl die beiden neuen Bücher ja sein ganzes Leben überspannen, ist die inzwischen mit Verständnis geschulterte Tragik McCartneys, der bewegende Songs bis heute schreibt und erst im letzten Winter mit dem Lockdownwerk „McCartney III“ eines seiner besten Alben überhaupt veröffentlichte. Egal, er steht Rede und Antwort, und das Liverpool der Fünfzigerjahre ersteht in der Royal Festival Hall.
McCartney wollte mit John Lennon ein Drama schreiben
Mit dem „Miller‘s Tale“ aus Chaucers Canterbury Tales habe sein Literaturlehrer das Interesse an Literatur in ihm geweckt. „Die Geschichte war schmutzig, das sprach einen 16-jährigen Jungen an“, grinst McCartney. Noch bevor es mit den Beatles richtig losging, habe er dann mit John Lennon ein Theaterstück schreiben wollen. Nur vier Seiten weit sei man gekommen, und tatsächlich hätten die Angestellten in seinem Archiv diese Papiere ausfindig gemacht. Songs seien ja kleine Theaterstücke, sekundiert ihm Muldoon. Und so ist McCartney also auch im Dramatikerfach keinesfalls gescheitert.
Wie das Feedback am Anfang von „I Feel Fine“ entstand, erfährt man (Gitarre am Verstärker angelehnt) und wie man die psychedelischen Rückwärtseinspielungen entdeckte (ein Assistent des Toningenieurs hatte ein Band versehentlich falsch herum laufen lassen). „Eight Days a Week“ hatte ein Chauffeur ihm 1965 geklagt, als McCartney sich – ein Jahr Führerscheinentzug wegen zu schnellen Fahrens – zu John Lennons Haus fahren lassen musste, wohin er dann den Titel für einen neuen Song brachte. Und dann kommt die Geschichte zu „Let It Be“, und obwohl jeder Beatle- oder Maccamaniac schon von McCartneys Traum über seine früh verstorbene Mutter Mary gehört hat, hat man sie nie so bewegend erzählt bekommen wie diesmal.
Die Geschichte zu „Let It Be“ erzählt McCartney bewegend
„Ich hatte meine Mutter verloren – zehn Jahre zuvor“, erinnert er sich. „Sie hatte Brustkrebs gehabt. Aber nie sprach jemand darüber. Es gab auch keine Therapeuten. Man musste damit zurecht kommen. Und zehn Jahre später bringt dir dein Traum jemanden zurück, so als sei er wirklich da. Es war so wunderbar, mit meiner Mom in einem Raum zu sein, so friedvoll. Sie war eine Pflegerin gewesen, eine Amme und sie sagte zu mir: ,Es wird alles gut. Lass es zu.‘ Und ich fühlte mich so wohl, als ich erwachte.“ Die Geburtsstunde eines Songs.
Unbekümmert seien die Beatles gewesen und forsch. Schlagzeuger Ringo Starr sang auf dem ersten Beatles-Album den Song „Boys“ der Mädchengruppe The Shirelles, ohne sich einen Moment darum zu scheren, dass er dabei in durchaus homophoben Zeiten ja als Junge von Jungs schwärmte. Vor der ersten Amerikareise habe man sie gewarnt, auf keinen Fall Vietnam und den Krieg dort zu thematisieren, was sie natürlich gleich als Erstes taten. Und als ein Promoter in den USA die Beatles darauf aufmerksam machte, dass man das mit der Rassentrennung im Publikum hier eben so mache, hätte man gesagt „Oh no, no, no – so machen wir das aber nicht“.
Derzeit laufen wieder mal Beatles-Wochen
Der Beatles-Event an der Themse passt zu dem derzeit laufenden Beatles-Wochen. Wobei ja eigentlich immerzu Beatles-Wochen sind. Immer rundet sich irgendein Jahrestag der Band, die 1956 gegründet wurde, deren Aufstieg zu Weltruhm 1960 in den Musikkellern Hamburgs begann und die auf so viele Bands Einfluss hatte, die nach John, Paul, George und Ringo zu den Instrumenten griffen. Eben erst ist eine verspätete 50-Jahre-Jubiläumsbox zum Album „Let it Be“ von 1970 erschienen, flankiert von dem großformatigen Band „Get Back“ über die zugehörigen Sessions.
Das Vorwort zu diesem Buch schrieb der neuseeländische Regisseur Peter Jackson, der seit seinen „Der Herr der Ringe“-Filmen eine Vorliebe für Quartette und Dreiteiler hat, und der Ende November beim Streamingdienst Disney+ entsprechend eine dreiteilige Fab-Four-Doku namens „Get Back“ vorlegen wird, mit der wohl nachgewiesen wird, dass die Beatles bei den Aufnahmen zum Alben „Let It Be“ doch keine einander spinnefeind gegenüberstehenden Miesepeter waren, wie der inzwischen aus dem Verkehr gezogene Film „Let It Be“ des US-Regisseurs Michael Lindsay-Hogg 1970 nahelegte.
Im Schatten dieses Großangriffs hat Ringo Starr dann auch noch eine EP veröffentlicht, auf der er Bill Haleys „Rock around the Clock“ neu eingespielt hat, den wohl populärsten Song der frühen Rock-’n’-Roll-Zeit. Tja, und dann eben noch das Doppelbuch von Paul und Paul – wobei der Literaturprof Muldoon schon Songtexte für Warren Zevon schrieb und selbst Gitarrist einer Band ist. Man mag sich, vertiefend kommt vielleicht noch Muldoons Sinn für das Absurde hinzu, das McCartney an John Lennon erinnert haben dürfte.
Über John: „Es war wie eine Treppe hochzusteigen, immer höher“
„Es war wie gemeinsam eine Treppe hochzusteigen, immer höher“, erinnert sich Paul im Southbank Centre an John. „Als sechzehnjähriger Junge in Liverpool hätte es mir nie einfallen dürfen, zu ihm zu sagen ‚Ich liebe dich‘. Aber es ist großartig, heute zu erkennen, wie sehr ich diesen Mann liebte.“
Um 22.08 Uhr MEZ applaudiert Paul McCartney dann dem ihm applaudierenden Publikum. Stifte werden ihm entgegengehalten, aber er signiert nicht. Wohl wegen Corona. Es steht zu vermuten, dass er auch den Bus nicht nehmen wird – aller Liebe zu Bussen zum Trotz. Aber vielleicht schenkt ihm sein Chauffeur ja einen prächtigen neuen Songtitel.