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US-Soziologe: „Wenn Trump jetzt gewinnt, heißt der Präsident ab 2024 immer noch Trump“

Trump und die Religion - und komplexes Verhältnis.

Trump und die Religion - und komplexes Verhältnis.

Herr Prof. Gorski, rund 80 Prozent der Evangelikalen haben vor vier Jahren Donald Trump gewählt. Warum unterstützen fromme Menschen einen Ehebrecher und moralisch fragwürdigen Menschen wie Donald Trump?

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Zunächst würde ich die evangelikale Wählerschaft in zwei große Gruppen unterteilen: Zum einen gibt es die sozialkonservativen Abtreibungsgegner, die sich von vornherein dafür entschieden haben, den jeweiligen republikanischen Kandidaten zu wählen. Zum anderen sind da die weißen, christlichen Nationalisten, die die Vereinigten Staaten als weiße, christliche Nation verstehen und in Trump einen Beschützer sehen – einen Beschützer der demografischen und politischen Entwicklung des Landes und einen Beschützer, der ihre Gemeinschaft und ihre Werte verteidigt. Zudem muss man sagen, dass viele Evangelikale ein ganz anderes Bild von Trump haben als Außenstehende.

Warum das?

Vor allem, weil diese Menschen in einer ganz eigenen Medienwelt leben. In dieser Medienwelt wird Trump als frommer Christ dargestellt. Vielleicht nicht als der beispielhafteste Christ, aber trotzdem als ein Mensch, der sein Herz Jesus Christus gegeben hat. Das ist viel weiter verbreitet, als man vielleicht meint.

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Bei den Evangelikalen wird ein sehr positives Bild von Trump gezeichnet

Aber ist das nicht Unfug? Man kann doch ganz klar davon ausgehen, dass Trump kein gläubiger Christ ist und auch nicht als Vorbild für Christen dienen kann.

Ich bin ja der gleichen Meinung. Aber das ist nicht entscheidend. Wichtig ist, wie Trump in dieser evangelikalen Subkultur dargestellt wird, und da sieht das anders aus. Dass solch ein positives Bild von ihm gezeichnet wird, hat auch damit zu tun, dass Trump sehr enge Verbindungen zu wichtigen Menschen aus dieser evangelikalen Welt hat. Auf diese Weise wird dem gemeinen Kirchenvolk das Bild von einem manchmal zwar rauen Menschen vermittelt, der auch schon gesündigt hat, dessen Sünden aber man wie jedem anderen Menschen auch verzeihen muss. So verwunderlich das von außen auch erscheinen mag, es ist wirklich so.

Philip Gorski ist Professor für Soziologie an der Yale University.

Philip Gorski ist Professor für Soziologie an der Yale University.

Sie haben bereits angesprochen, dass weiße Evangelikale die USA seit ihrer Gründung als weißes, christliches Land verstehen, und Trump dieses Verständnis der Nation verteidigt. Das ist ja eher eine historische Perspektive. Was erhoffen sich weiße Evangelikale denn von der gegenwärtigen Realpolitik von Trump?

Zum einen wollen die Evangelikalen – in erster Linie wegen ihrer Haltung zur Abtreibung – von Trump, dass er konservative Richter durchsetzt, und diesen Wunsch erfüllt ihnen Trump ja. Sie erhoffen sich zudem engere Beziehungen zu Israel, weil viele weiße, christliche Nationalisten auch christliche Zionisten sind, für die Israel eine Schlüsselrolle in ihrer Vorstellung der Endzeit spielen wird.

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Das müssen Sie näher erklären.

Viele christliche Nationalisten sind der festen Überzeugung, dass wir uns dieser Endzeit, in der Jesus Christus auf die Erde zurückkehrt, annähern und dass sie sie noch selbst erleben werden. Aber davor müssen die ganzen Prophezeiungen aus dem Alten Testament und der Johannes-Offenbarung eintreffen: Also unter anderem muss vor der Wiederkehr Christi das jüdische Volk zurück nach Israel, und der Tempel muss wiederaufgebaut werden. Und drittens – auch das erhoffen sich die Evangelikalen von Trump – soll die Immigration in die USA eingedämmt werden. Auch das ist für die weißen, christlichen Nationalisten ein wichtiger Punkt, um das demografische Bild von den „weißen USA“ möglichst zu erhalten. Das wären die drei Schlüsselpunkte.

„Mit vier weiteren Jahren im Amt wird Trump das Rechtssystem und das Wahlsystem weiter nach seinem Sinne umbiegen“

Es gibt ja nicht die Evangelikalen. Gilt die Unterstützung, die Sie beschreiben, denn nur für die weißen Evangelikalen?

Im Großen und Ganzen ja. Wenn man auf die Wahlergebnisse von 2016 zurückschaut, hat die Mehrheit der nicht weißen Evangelikalen für Hillary Clinton gestimmt. Teilweise wegen der Immigrationspolitik, aber auch weil sie dem Sozialstaat offener gegenüberstehen und mit der Linie der Republikanischen Partei nicht so übereinstimmen wie die weißen Evangelikalen. Das gilt für die Sozialpolitik, die Waffenpolitik, die Außenpolitik und so weiter. Und nicht weiße Evangelikale haben natürlich ganz andere Lebenserfahrungen gesammelt als weiße Evangelikale.

In den vergangenen Monaten ist häufig zu hören, dass es mit der kommenden Präsidentschaftswahl auch um die Zukunft der Demokratie in den USA geht. Stimmen Sie dem zu, oder halten Sie das für übertrieben?

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Dem stimme ich völlig zu. Sollte Trump jetzt im Weißen Haus bleiben, dann heißt der Präsident nach der darauffolgenden Wahl 2024 höchstwahrscheinlich immer noch Trump – ob nun Trump Senior oder Trump Junior oder Ivanka oder wie auch immer. Denn mit vier weiteren Jahren im Amt wird Donald Trump das Rechtssystem und das Wahlsystem so nach seinem Sinne umbiegen, dass man mit freien Wahlen nicht mehr rechnen dürfte. Das glaube ich tief und fest.

Welche Rolle spielt das Christentum in dieser Gefährdung der Demokratie? Denn in der Geschichte – das beschreiben Sie ja in Ihrem Buch – haben Christen die Demokratie ja oft für gut vereinbar mit ihren Werten gehalten.

Zunächst möchte ich noch einmal betonen, dass nicht alle weißen Evangelikale weiße nationalistische Christen sind und nicht alle weißen, christlichen Nationalisten Evangelikale sind. Es gibt auch viele konservative Katholiken und viele Menschen, die der Pfingstbewegung oder dem sogenannten Wohlstandsevangelium angehören. Aber was man generell über die weißen, christlichen Nationalisten sagen kann, ist, dass sie – und das zunehmend – einer autoritären Politik zugeneigt sind. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich die kirchlichen Strukturen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts grundlegend gewandelt haben. Im 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ähnelten die meisten Kirchengemeinden in den USA eher kleinen Republiken. Heutzutage kann man viele Kirchen dagegen eher als große Unternehmen bezeichnen.

Können Sie das näher beschreiben?

In den damaligen kleinen Republiken haben die Gemeindemitglieder ganz anders mitbestimmen können als heute. Sie haben wichtige Kirchenämter bekleidet, sie haben sich an der Berufung ihrer Pastoren beteiligt. Diese Kirchengemeinden waren wirklich das, als was sie der französische Soziologe Alexis de Tocqueville schon im 19. Jahrhundert bezeichnet hat: Sie waren Schulen der Demokratie.

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Und heute?

Heutzutage sind die Kirchengemeinden wesentlich größer geworden. Manche stehen unabhängig von irgendwelchen Strukturen, das sind die sogenannten Freikirchen. Die drehen sich jeweils um einen wahren Starpastor, der gleichzeitig auch Großunternehmer ist. Ein Pastor, der nicht nur seine Schafe pflegt, sondern auch im Fernsehen auftritt oder Immobilien verwaltet. Diese Pastoren gleichen mehr einem CEO als einem Seelsorger.

Das heißt, die wegfallende kirchliche Mitbestimmung und die Fokussierung auf einen Starpastor in diesen Megakirchen spiegelt sich in der Gesellschaft wider, als autoritäres Konzept?

Ja. Damals waren die Kirchenmitglieder sozusagen aktive Bürger ihrer Gemeinden und heutzutage sind sie nur noch passive Zuschauer eines kirchlichen Spektakels.

Nun wird in wenigen Wochen bei Ihnen in den USA der Präsident gewählt. Kann Joe Biden, wenn er denn gewinnt, die Nation wieder einen und die Gräben schließen?

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Das ist natürlich die große Frage. So wie es jetzt ausschaut, rechne ich schon damit, dass Joe Biden gewählt wird. Nach den Enthüllungen um Trumps Steuererklärung, nach dessen Covid-Erkrankung und seinem Verhalten dabei gibt es meines Erachtens viele Wähler, die lange weggeschaut haben, die jetzt aber von Trump so müde sind und seine Realityshow so satt haben, dass sie einen Kanalwechsel wollen. Aber es ist so ein verrücktes Jahr, dass man nur eins mit Sicherheit sagen kann: dass alles nur noch verrückter werden kann. Deswegen kann man auch keine zu festen Prognosen stellen.

Aber kann Biden im Falle seiner Wahl die Nation wieder einen?

Jein. Teilweise schon, von links bis zur Mitte kann ihm das gelingen. Aber 35 bis 40 Prozent der Nation sind zu bedingungslosen Trump-Anhängern geworden. Es ist eine Mischung aus Kult und Fanverein, was da entstanden ist. Und falls Trump wirklich aus dem Weißen Haus gewählt wird, wird er dann von einem anderen Ort aus alles versuchen, um diesen Fanverein zusammenzuhalten. Insofern wird die Nation eher gespalten bleiben. Die Frage ist eher die, ob es Biden gelingt, eine dauerhafte und stabile Mehrheit herzustellen und die Vereinigten Staaten wieder regierbar und politikfähig zu machen.

Im Gebet: Joe Biden, Präsidentschaftskandidat der Demokraten, bei einem Besuch der Bethel AME Kirche, einer afrikanisch methodistischen episkopalen Kirche.

Im Gebet: Joe Biden, Präsidentschaftskandidat der Demokraten, bei einem Besuch der Bethel AME Kirche, einer afrikanisch methodistischen episkopalen Kirche.

Spielt es eigentlich eine Rolle, dass Joe Biden Katholik ist? Auch noch mal im Hinblick auf die Evangelikalen?

Nicht unbedingt im Hinblick auf die Evangelikalen. Denn es gibt ja seit Anfang der Neunzigerjahre ein sehr festes Zweckbündnis zwischen konservativen Katholiken und konservativen Evangelikalen. Die gründet auf der gemeinsamen Abtreibungsgegnerschaft. Aber die amerikanischen Katholiken sind vielleicht eher geneigt, Biden zu wählen, als sie andere demokratische Kandidaten wie Elizabeth Warren oder Bernie Sanders gewählt hätten. Also Leute, die keinen christlichen Hintergrund haben oder keiner Kirchengemeinschaft angehören. Insofern könnte Bidens Katholizismus in diesem Rahmen eine gewisse Rolle spielen. Die jüngsten Umfragen suggerieren schon, dass Biden bei den Katholiken besser abschneiden wird, als es vor vier Jahren Clinton getan hat.

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Und spielt es gesamtgesellschaftlich noch eine Rolle, dass er Katholik ist? Er wäre ja erst der zweite Katholik im Amt nach John F. Kennedy.

Ich glaube wirklich wenig. Es gibt hier und da noch kleine Reste vom protestantischen Anti-Katholizismus in der US-amerikanischen Gesellschaft, wie es ihn zu Zeiten von John F. Kennedy noch sehr stark gegeben hat. Ich halte es heute aber nur noch für eine Resterscheinung. Die amerikanischen Katholiken sind mittlerweile durchaus salonfähig geworden. Schauen Sie sich nur einmal den Obersten Gerichtshof an: Da stellen die Katholiken schon die Mehrheit. Und wenn Amy Coney Barrett vom Senat bestätigt wird, stellen sie sogar die überwiegende Mehrheit. Man kann schon sagen, dass die Katholiken gesellschaftlich und kulturell zurzeit eine sehr wichtige Rolle spielen. Gewissermaßen sind sie noch wichtiger als die Evangelikalen, wenn es um die Kultur und kulturelle Institutionen geht.

In der Geschichte wurden Epidemien und Seuchen häufig als „Strafe Gottes“ interpretiert. Welche Rolle spielt die Religion heute bei der Bewertung der Corona-Krise?

Für solche Theorien gibt es in den USA immer noch ein relativ großes Publikum und zwar gerade bei den Evangelikalen und sogar noch mehr bei den Pfingstbewegungsanhängern und den Wohlstandspredigern. Denn die legen das Zeitgeschehen immer quasi durch eine biblische Brille aus. Genauer gesagt durch die Optik der Prophezeiungen und der Johannes-Offenbarung. Ich möchte mich mit exakten quantitativen Einschätzungen zurückhalten, aber ich denke, ein Viertel der Bevölkerung ist offen dafür, das Coronavirus als eine Strafe Gottes auszulegen.

„Trump wird seine Unterstützer zum Widerstand aufrufen“

Wagen Sie einen Ausblick auf den 3. November? Wird Trump wiedergewählt?

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Wie gesagt, es kann noch alles passieren bis zur Wahl. Insofern muss man sehr vorsichtig sein mit Prognosen. Ich bin genauso wie viele andere noch traumatisiert vom Wahlergebnis 2016. Aber unter diesem Vorbehalt bin ich sehr zuversichtlich, dass Joe Biden nicht nur gewählt wird, sondern haushoch gewinnt. Ich denke, vielleicht sogar mit einem Vorsprung von zehn bis zwölf Prozent. Aber es wird vieles davon abhängen, was in den kommenden Tagen noch alles passiert.

Denken Sie, dass Trump das Wahlergebnis anerkennen wird?

Absolut nicht. Er wird es bis zum Schluss abstreiten und infrage stellen. Er wird alles tun, um seine Niederlage abzuwenden. Er wird vor Gericht ziehen. Er wird Wahlzettel konfiszieren. Er wird seine Unterstützer zum Widerstand aufrufen. Allerdings: Wenn Joe Biden deutlich vorne liegt, dann glaube ich, gibt es keine Chance, das Wahlergebnis infrage zu stellen. Das wird sich nach ein paar Wochen dann legen.

Philip Gorskis neues Buch heißt „Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump“ (224 Seiten, 24 Euro) und ist bei Herder erschienen.

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Was könnte denn nach der Wahl passieren, wenn Biden wirklich deutlich gewinnen sollte? Es bleiben ja dann noch mehr als zwei Monate bis es zur Inauguration am 20. Januar.

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Sollte Trump haushoch verlieren, könnte ich mir sogar vorstellen, dass er dann sogar zurücktritt. Weil er meint, dass das Volk nicht anerkennt, wie sehr er sich aufgeopfert hat, und er wird behaupten, er sei betrogen worden, Biden hätte gemogelt. In einer solchen Situation kann ich mir gut ausmalen, dass Trump zwischen der Wahl und der Inauguration abtritt. Was ich mir auf gar keinen Fall vorstellen kann, ist aber, dass Trump Biden am 20. Januar ritualgemäß im Weißen Haus empfängt und zur Inauguration begleitet. Trump würde eher sich verstecken oder fliehen als daran teilzunehmen, sollte er wirklich hoch verlieren. Aber eines steht fest: Schön wird das nicht.

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