Vom Siegeszug eines Plastikmöbels: die tolle Doku „Monobloc“
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Bitte Platz nehmen: In allen Ecken der Welt steht der Monobloc bereit.
© Quelle: DOK.fest
Er ist hässlich, kalt am Po, unbequem: Monobloc, der meistverkaufte Plastikstuhl der Welt.
Zu finden ist der unkaputtbare Stuhl überall: Menschen fläzen sich auf ihm, ob vor einem Kiosk in Deutschland oder unter Palmen bei einer Hochzeit am Strand. Monobloc dient auch schon mal als Sänfte in Bangladesh oder als Schlaginstrument bei einer Prügelei in Österreich. Eine Milliarde dieses zumeist weißen, stapelbaren Möbels kursiert weltweit.
Filmemacher Hauke Wendler hat sich auf die Spuren des Sitzmöbels gesetzt. Mit seinem Team reiste er über acht Jahre von Europa nach Nord- und Südamerika, von den Dörfern Afrikas bis in die Millionenstädte Indiens: Den Monobloc fand er überall. Herausgekommen ist eine unterhaltende, manchmal fast philosophische Betrachtung über Schönheit und Funktionalität, Kapitalismus und Teilhabe, Konsum und Recycling.
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Erfunden wurde der Monobloc in den frühen 1970er-Jahren von dem französischen Ingenieur und Unternehmer Henry Massonnet. Anfänglich galt der Stuhl als elegantes Designobjekt für solvente Käufer. Leider versäumte es Massonnet, ein Patent anzumelden, und so schnappte ihm ein italienisches Familienunternehmen die Idee weg, änderte einige Kleinigkeiten an dem Produkt und machte einen Riesenreibach. Heute dauert die Herstellung des aus einem Stück gefertigten Stuhls 50 bis 55 Sekunden.
Ein „Sündenfall der Ästhetik“?
Das Sitzmöbel polarisiert. In Hamburg stellte der Grimmepreisträger Wendler („Protokoll einer Abschiebung“, 2017) einen Lastwagen auf. Passanten konnten auf dem Monobloc auf der Ladefläche Platz nehmen und ihre Meinung kundtun. Sie fanden den Stuhl mehrheitlich scheußlich. Er wurde betitelt als „Sündenfall der Ästhetik“ oder als „ökologische Katastrophe“.
Ganz anders als im saturierten Westen erfüllt der Monobloc in den sogenannten Entwicklungsländern wichtige Aufgaben. In Uganda traf Wendler auf ein soziales Projekt: Dort dient der Monobloc als Sitz eines mit ein paar Rädern und Fußstützen versehenen Rollstuhls. Günstiger geht es nicht. Ein Segen für die Ärmsten der Armen ist der Monobloc auch in Vietnam, wo ein früherer Vietkong-Kämpfer vor Glück weint, als sich sein Bruder endlich selbstständig im Monobloc-Rollstuhl bewegen kann.
Einen Plastikboom löste der Monobloc 1990 in Indien aus. Leute, die vorher am Boden saßen und aßen, schwangen sich auf den erschwinglichen Stuhl, inzwischen ein Muss und eine Erleichterung im Alltag. 1,1 Millionen Exemplare wurden allein 2019 in Indien verkauft.
Zu Beginn seiner Forschungsreise war der Monobloc für Wendler ein ökologisch anrüchiges Objekt, doch so einfach ist es mit diesem Stuhl nicht. Der Monobloc ist für viele Menschen auf der Welt das einzig erschwingliche Möbelstück. Sie haben keine andere Wahl, wie es in dieser sehenswerten Doku einmal so treffend heißt: „Was zählt, ist nicht der Stuhl, sondern dass man sitzt.“
„Monobloc“, Regie: Hauke Wendler, 90 Minuten, FSK 0