Wenn die Meere sich wehren: „Der Schwarm“ als Film
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Pequod erat demonstrandum: Ein Wal – Herman Melville lässt grüßen – unmittelbar nach seinem Moby-Dick-Moment. Szene aus der ZDF-Serie „Der Schwarm“.
© Quelle: ZDF und Schwarm TV Production Gm
Die Waltouristen vor der Küste von Vancouver Island erleben auf ihrem Ausflug unverhofft eine Art lokalen Weltuntergang. Grauwale, Buckelwale und Orcas halten auf ihre Schiffe zu, greifen sie an – springen, versenken, töten. So hatte es Frank Schätzing in seinem Roman „Der Schwarm“ beschrieben, der Mitte der Nullerjahre wohl auch zum Bestseller wurde, weil er die aufkeimende Angst vor einer ökologischen Apokalypse aufgriff. Man konnte das Buch damals kaum aus der Hand legen.
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In der Verfilmung, der ZDF-Serie „Der Schwarm“, die heute (19. Februar) auf der Berlinale 2023 das dortige Serienprogramm eröffnet, hat ein Wal seinen Moby-Dick-Moment und wirft sich auf ein Auflugsschiff wie damals Herman Melvilles weißer Pottwal auf Käpt’n Ahabs Walfänger „Pequod“. In seiner Leservorstellung hatte man sich den ganzen Angriff bei der Lektüre irgendwie imposanter ausgemalt.
So muss man sich erst einmal darauf besinnen, dass die wirklichen Whale-Watching-Schiffe, auf denen man ja selbst schon vom muckeligen Küstenörtchen Telegraph Cove aus zwischen den vorgelagerten Inselchen von Vancouver Island herumgetuckert ist, in etwa diese Größe hatten. Manchmal täuscht die Fantasie halt die Erinnerung. Ist so.
Würmer mit gewaltigen Kiefern bohren sich durchs Methaneis
Die Story der Serie ist weithin bekannt, aber wer sie nicht kennt, wird ab hier auf Spoiler stoßen. Rund um den Globus werden weitere ungewöhnliche Phänomene beobachtet. Hummer, Muscheln und Krabben sind von einem für Menschen tödlichen Bakterium befallen, das ins Trinkwasser der Küstenstädte gerät. Auf Methaneis tief im Meer werden Myriaden unbekannter Würmer mit ungeahnter Kieferkraft gefunden, die sich einbohren, am Ende ganze Kontinentalhänge abbrechen lassen und Riesenwellen auslösen.
Aus dem irrationalen Gedanken, die Ozeane wollten die Menschheit von ihren Flächen und Säumen verdrängen, erwächst bei dem Wissenschaftler Sigur Johanson (Alexander Karim) eine Vermutung: Was, wenn all das gesteuert wird? Was, wenn eine unterseeische Lebensform, eine bislang in aller Stille agierende dominante Spezies, genug hat vom ruchlosen Treiben des Homo sapiens sapiens?
Das „Wir sind nicht allein“ bezieht sich hier nicht auf Aliens in Ufos
Für die Meereswissenschaftlerin Katharina Lehmann – bei Barbara Sukowa ist jedes Ziehen an einer Zigarette sinnlich – sind die Deduktionen ihres Kollegen gefährlicher Mumpitz. Aber Johanson vereint eine Schar von Gleichgesinnten und überzeugt einen japanischen Milliardär, eine fantastische Reise zu den zunächst hypothetischen Tiefseewesen zu finanzieren, die er Yrr nennt. Das „Wir sind nicht allein“ bezieht sich erstmals nicht auf die Tiefen des Alls sondern auf die Abgründe der See.
2007 schon war von einem Kinofilm zu „Der Schwarm“ die Rede gewesen. Dass die Verfilmung erst jetzt zustande gekommen ist, schadet im Prinzip nicht. Zu alten Problemen wie Überfischung und ungenierter Verklappung von Müll, Öl, Giften sind noch – unter anderem – bundesländergroße Inseln von Plastikabfall gekommen. Mikroplastik überall. Der Mensch macht die See nach Kräften kaputt. Die Yrr, die die Landspezies Mensch wohl unterschätzten, als die einst begann, ihren Herrschaftsbereich mit Segelschiffen zu überqueren, müssten uns 2023 noch um vieles feindseliger gesinnt sein als 2004.
Frank Schätzing ist aus dem Projekt ausgestiegen
Als Zuschauer braucht man nun allerdings einige Zeit, um mit den von guten Schauspielern dargestellten eher blassen Seriencharakteren etwas anfangen zu können. Figuren wie die junge Meeresbiologiestudentin Charlie („Babylon Berlin“-Star Leonie Benesch) die auf den Shetlandinseln eine Forschungsstation überwacht, der indigene Fischersohn Leon (Joshua Odjick) oder die Wissenschaftlerin Cécile (Cécile de France) bleiben über lange Folgen schematisch, funktionell. Sie bekommen Beziehungen untergeschoben und sind doch in erster Linie dazu da, die Handlung voranzutreiben. Das Autorenteam legt ihnen auch zu oft Dialogzeilen von der Stange in den Mund. Sachen wie: „Wir haben nur ein Leben. Machen wir das Beste draus.“ Frank Schätzing muss sich das auch gesagt haben. Er ist irgendwann – laut einem Interview mit dem Wochenmagazin „Die Zeit“ vor allem wegen des „Pilcherns“ in den Dialogen – aus dem Projekt ausgestiegen.
In dieser Serie ist die Story der Star. Hier ist mal keine menschliche Protestbewegung am Werk, die für die Natur eintritt, sondern die Natur tritt auf unheimliche Weise für sich selbst ein. Sie hat quasi das Ende der Menschheit beschlossen, um zu überleben. Die Entwicklung ist scheinbar unumkehrbar. Unweigerlich zieht man die Parallele zum Klimawandel und es wird einem duchaus unbehaglich zumute. Spannung und Beklemmung wachsen langsam, spätestens als die einzelnen Protagonisten zum Teambuilding zusammenfinden – das beginnt etwa in der fünften von acht Episoden – wird man mit ihnen auch einigermaßen warm.
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Vielleicht hat die Werbung für „Der Schwarm“ die Erwartungshaltung zu stark in Richtung Spektakel gerückt. Es wurde vorab betont, dass einer der „Game of Thrones“-Macher, Frank Doelger, zu den Ausführenden Produzenten zählt. Und jene Serie um Drachen, Throninhaber und ‑prätendenten und politische Ränke in einer mittelalterlich anmutenden Gesellschaft ist ja trotz ihrer verunglückten letzten Staffel noch immer die Messlatte für intelligentes charakterintensives und dialogstarkes TV‑Blockbustern. Wer „Game of Thrones“ sagt, muss freilich auch „B“ wie Budget sagen.
In den CGI-Momenten sieht man dem „Schwarm“ das Budget an
„Der Schwarm“ ist postkartenschön fotografiert. Und gelegentlich bekommt auch die Computertrickabteilung ihre großen Momente – wenn etwa ein Tsunami einen Leuchtturm wegreißt oder Hunderttausende blinde Krabben einen Strand überwimmeln. Dann sieht man „Der Schwarm“ stellenweise die 40 Millionen Euro Produktionskosten an, die sie zur bislang teuersten ZDF-Serie machen. Inflationsbereinigt entspricht das in etwa dem Finanzaufwand für die erste „GoT“-Staffel.
Wenn aber zwei Jugendliche mit dem Motorrad verunglücken, sieht es aus, aus sprängen sie von einem Trampolin. Und wenn drei Orcas durchs Wasser gleiten, um den zu Schiffbrüchigen des eingangs erwähnten Moby-Dick-Moments Gewordenen den Garaus zu machen, muss der geneigte Serienfreund seine durch permanente CGI-Überfütterung erschlaffte Fantasie wieder so mobilisieren wie zu Zeiten von Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ (1975). Schwertwale, die Menschen derart auf die Pelle rücken, müssten dem Zuschauer eigentlich Angst einjagen. Tun sie aber nicht so richtig. Man muss sich ihre Gefährlichkeit einreden.
Orcas sind nicht Flipper, Baby!
„Der Schwarm“, Serie, acht Episoden, Regie: Luke Watson, Barbara Eder, Philip Stölzl – nach dem Roman von Frank Schätzing, mit Leonie Benesch, Cécile de France, Alexander Karim, Joshua Odjick, Barbara Sukowa (ab 22. Februar in der ZDF-Mediathek)