Arme und Reiche leben in Rostock getrennt voneinander
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Blick auf einen Plattenbau im Rostocker Stadtteil Lütten Klein.
© Quelle: Bernd Wüstneck/dpa
Stadtmitte. Kritiker monieren, dass in Rostock über Jahre eine soziale Spaltung zementiert worden sei: Arme und Reiche leben hier strikt getrennt voneinander. Das belege unter anderem die jüngste Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) für Sozialforschung. Demnach sei die sozialräumliche Trennung in ostdeutschen Städten wie Rostock historisch beispiellos. "Dieses Niveau kennen wir bisher nur von amerikanischen Städten", sagt Studienleiter Marcel Helbig. Zwischen 2005 und 2014 habe die soziale Spaltung in Rostock sogar deutschlandweit am meisten zugenommen. Auch gebe es in der Hansestadt eine enorme Ballung von Kindern in Armutsvierteln.
Aus Sicht der Stadtverwaltung ist die Hauptursache für diese Entwicklung der industrielle Wohnungsbau zu DDR-Zeiten. WZB-Studienleiter Helbig bestätigt das: „In Rostock, Erfurt, Potsdam, Weimar oder Halle ergab sich durch die sozialistischen Plattenbauten am Rande der Städte und die Sanierung der Innenstädte nach der Wende eine enorme architektonische Schere.“ Die Folge: Weil die Plattenbauten weniger begehrt sind, blieben die Mieten hier niedrig. In den Stadtzentren wird’s hingegen immer teurer. „Entsprechend groß ist die soziale Schere: In den Plattenbaugebieten leben vergleichsweise viele Hartz-IV-Empfänger“, sagt Helbig.
Mit diesem städtebaulichen Erbe müsse Rostock heute umgehen, heißt es im Rathaus. „Dabei fällt auch gerade statistisch ins Gewicht, dass in Rostock auf flächendeckende Abrisse verzichtet werden konnte“, sagt Stadtsprecher Ulrich Kunze. In Städten wie Halle, Cottbus oder Neubrandenburg hingegen seien die Plattenbau-Quartiere, die den höchsten Leerstand und die schwierigste Mieterschaft aufwiesen, abgerissen worden. „Dieser Aspekt konnte in der WZB-Studie methodisch keine Berücksichtigung finden“, sagt Kunze.
Mit zahlreichen Städtebauförderungen, wie „Soziale Stadt“ oder „Stadtumbau Ost“, seien in Rostock benachteiligte Stadtteile aufgewertet worden: Evershagen, Schmarl und Groß Klein, aber auch Dierkow-Neu und Toitenwinkel. „Letztlich galt auch die Erweiterung des Straßenbahnnetzes diesem Ziel“, so Kunze weiter.
Der Bau neuer Wohnhäuser im Nordwesten und Nordosten der Stadt soll die soziale Durchmischung weiter fördern. „Die gute Qualität zu akzeptablen Preisen zieht Normalverdiener in die Großsiedlungen oder hält sie dort“, sagt Kunze. Aufgrund der vielen Bauaktivitäten habe Rostock sehr gute Chancen, das Problem der sozialräumlichen Trennung in den Griff zu bekommen.
Laut WZB-Studienleiter Helbig hat die Stadt es jedoch verschlafen, im Zentrum soziale Wohnungen vorzuhalten. Es könne nun durchaus eine Lösung sein, die Stadtränder aufzuwerten. „Aber dadurch muss sich auch das Miteinander ändern.“ Arme und reiche Kinder müssten an die gleichen Schulen und zu den gleichen Vereinen gehen – nur so gebe es eine echte Chancengleichheit.
André Wornowski
OZ