Herrenhaus Vogelsang bei Güstrow: Dieses Traumschloss hat einen Grusel-Faktor
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Robert und Isabel Uhde erhalten und renovieren das Herrenhaus Vogelsang. Sie selbst leben im dazugehörigen Marstall.
© Quelle: OVE ARSCHOLL
Rostock. Wie Juwelen funkeln Kronleuchter am Himmel der Beletage und tauchen den Saal in warmes Licht. Ringsum bröckelt der Putz von jahrhundertealten Backsteinwänden. Eine Kulisse mit schaurig-schönem Charme, wie gemacht, um Romantiker und Geschichtsfans zu verzücken. Um sich zu gruseln, um zu träumen. Um rauschende Feste zu feiern, um Uhren rückwärts ticken zu lassen.
Hier schlägt das Herz des Herrenhauses Vogelsang. Im Tudorschlösschen von Lalendorf, gut 40 Kilometer Luftlinie südlich von Rostock, tanzte einst die feine Gesellschaft über die Holzdielen. Heute hat ein Liebespaar den Ballsaal ganz für sich allein: Robert (49) und Isabel (44) Uhde, zwei kreative Geister, die mitten in der Pampa aus Trümmern ihr Traumreich erschaffen. Hier trifft Prunk auf Verfall.
„Ein bisschen morbide, aber total romantisch, oder?“, fragt Robert Uhde. Er liebt das Spiel mit Kontrasten. Dabei legt der Eins-Neunzig-Mann wert auf Originale und Originelles. Spiegel, Sofa, Samtvorhang – alles, was hier alt und kaputt aussieht, ist tatsächlich alt und kaputt. Kein inszenierter Shabby Chic, dafür unerwartete Deko wie Diskokugel oder Steam-Punk-Gemälde.
Liebe zerbricht, Haus hält
Das Herrenhaus Vogelsang hat Robert Uhde 2010 entdeckt. „Es war eine Ruine.“ Er verfällt dem Verfallenen. Zusammen mit seiner damaligen Verlobten kauft er die nahezu unrettbare Immobilie – für 120 000 Euro. Die Beziehung zerbricht. Das Haus hält.
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Verliebt ineinander und in ihr Herrenhaus: Robert und Isabel Uhde.
© Quelle: OVE ARSCHOLL
Uhde beginnt, es zu sanieren, findet mit seiner Isa eine neue Liebe und Unterstützerin. Als er seine Herzdame zum ersten Mal ins Niemandsland am Rand der Mecklenburger Schweiz entführt und ihr sein ramponiertes Schätzchen zeigt, ist Isa Uhde begeistert von der „schrulligen Hütte. Es war so romantisch!“
Robert Uhde schwärmt seit jeher für geschichtsträchtige Gemäuer. Als Vizevorsitzender des Vereins für Schlösser, Herrenhäuser, Gutshäuser in MV engagiert er sich für deren Erhalt. Bereits während er noch in Berlin Medizin studiert, fühlt sich der heutige Doktor magisch von Mecklenburgs leerstehenden Bauten angezogen.
Feuer und Fantastisches: Bei Festen geht’s heiß her
Kurz nach der Wende saniert er die alte Gerberei in Rostock, entwickelt mit seiner Agentur Veranstaltungsreihen wie die „Lange Nacht der Wissenschaften“ in der Hansestadt, heute mit Tausenden Besuchern das größte Public-Science-Event im Land.
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Burlesque-Tänzerinnen regen die Fantasien an.
© Quelle: privat
Ein ähnliches Konzept will Uhde für Gutshäuser aufziehen und initiiert Anfang der 2000er Jahre die „Mittsommer-Remise“. Zunächst bereiten acht Gutsbesitzer Kulturschwärmern eine zauberhafte Schlössernacht, heute sind es mehr als 100 im ganzen Land. Dazu gehören die Vogelsänger.
Wenn die Uhdes nach Lalendorf laden, kommen Heerscharen aufs Gut. Paradiesvögel inklusive. Beim „Victorian Arts Festival“ lassen Varieté-Künstler und Gaukler längst vergangene Zeiten aufleben. Burlesque- Tänzerinnen schwingen ihre Federfächer, Feuerschlucker ihre Fackeln. Bei solchen Festen geht’s heiß her.
Die erste Nacht – eine Zitterpartie
Davon kann in der ersten Nacht, die Robert Uhde im Herrenhaus verbringt, keine Rede sein. Sein Schloss zeigt ihm die kalte Schulter. Im kleinen Musikzimmer kuschelt sich Uhde am Kachelofen ein, im benachbarten Salon schneit der Winter herein. „Das war ’ne Endmoräne“, erinnert er sich und lacht.
Heute sind Fenster und Flügeltüren dicht. Wo in jener ersten Nacht die Flocken wirbelten, setzen sich bunte Vögel in Szene: Fünf Pfauen stolzieren über die geschwungene Freitreppe. Vor deren Stufen breitet sich der Gutspark wie ein Teppich aus. Auf dem baumumstandenen Grün ist regelmäßig tierisch viel los. Zum Beispiel, wenn im Mai beim „Pferdegeflüster“ Western- und Dressurreiter ihre Tricks zeigen, Falkner Greifvögel kreisen lassen und sich Familien durch einen Haustier-Zoo streicheln.
Platz für Start-ups
Einen Steinwurf vom Herrenhaus entfernt ist das Geschnatter groß: Laufenten watscheln um den Marstall. Im Gebäude rascheln Ziegen im Stroh ihrer Boxen. Darüber, im ersten Stock, lebt die Patchwork-Familie: Drei Kinder haben Robert und Isa Uhde. Seinen Marstall will das Paar bald zum Coworking-Space umbauen, diesen Start-ups überlassen und selbst ins Gutshaus ziehen.
Das bewohnt bislang nur einer: Im Erdgeschoss hat sich der neue Rittmeister eingerichtet. Ganz allein ist er nicht. Eine Untote treibe im Haus ihr Unwesen, erzählt Robert Uhde. Mal würden Kerzenständer wie von Geisterhand verrückt, mal halle Zittermusik durch die Räume. „Ich glaube, es ist eine russische Zwangsarbeiterin, die sich hier erhängt hat.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Rote Armee in einem Karzer Gefangene weggesperrt.
Harry-Potter-Treppen im Turm, Goldkäfig im Keller
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Untergeschoss im Herrenhaus Vogelsang –
© Quelle: OVE ARSCHOLL
Die Aussicht auf Gänsehaut reizt die Entertainment-Branche. Eine namhafte Produktionsfirma möchte das Haus in ein Spukschloss verwandeln und darin Promis das Fürchten lehren. Der Deal stünde kurz vor dem Abschluss, sagt Uhde.
Im Vogelsang geben sich Kameraleute die Klinke in die Hand: Musiker drehen hier Videos, Fotografen lichten Brautpaare oder Models ab. Kulissen gibt es genug – vom kuschligen Boudoir mit Baldachinbett über das Billardzimmer bis hin zum Blickfang, der sich im Keller versteckt: Ein kugelrunder Goldkäfig baumelt unter der Decke, groß genug, um ein, zwei Menschen Platz zu bieten. Robert Uhde schmunzelt. „Manche Leute denken, hier fänden böse Fetisch-Partys statt. Dabei wollen wir nur die Fantasie anregen.“
Fantastisch ist, was dem Hausherren für seinen „Kräuterturm“ vorschwebt: Wandelnde Treppen, wie „Harry Potter“- Fans sie aus der Zauberschule Hogwarts kennen, könnten in Zukunft die Stockwerke verbinden.
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Robert und Isabel Uhde auf dem Nordturm.
© Quelle: OVE ARSCHOLL
Zunächst aber bringt Uhde andere auf die Zinne: Handwerker heilen einen Dachschaden – sie reparieren das Walmdach. Das nötige Kleingeld dafür haben die Uhdes auch durch Crowdfunding aufgebracht. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ist das Werk vollbracht: Jetzt wirft die Sonne ihre Strahlen auf silberne Zinkbahnen.
Vom Nordostturm aus lassen Robert und Isa Uhde den Blick über ihr Anwesen schweifen. Kein Zaun in Sicht und keine Grenzen. Weder reale noch welche, die der Fantasie Einhalt gebieten könnten. „Das alles hier soll erlebbar sein“, sagen die Uhdes. Und zu erleben gibt es einiges im Herrenhaus Vogelsang, dem Traumschloss mit Grusel-Faktor.
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Von Antje Bernstein