Bund fördert Greifswalder Innovationen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HHFCQCYEDGD74DLJTMWFZ5LDGU.jpg)
Angela Kruth, Daniel Wallis und Kerstin Witte arbeiten am INP, für das Projekt Campfire (von rechts)
© Quelle: Eckhard Oberdörfer
Greifswald. Riesenerfolg für den Wissenschaftsstandort Greifswald. Bei einer Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums für die neuen Bundesländer hat die Universitätsstadt kräftig abgesahnt. Zwei der 20 von Berlin geförderten Innovationsinitiativen werden von Greifswald aus geleitet.
Das Bündnis Plant³ (Strategien für die hochwertige Veredlung von pflanzenbasierten Rohstoffen in Nordostdeutschland) bekommt 15 Millionen Euro für den „biobasierten Strukturwandel in Vorpommern“. Das Vorhaben kann an vorhandene Innovationen anknüpfen. Dazu gehören beispielsweise die bereits gesammelten Erfahrungen bei zur Landwirtschaft auf Mooren und der Nutzung von deren Produkten. Auch der Anbau von Löwenzahn für die Kautschukgewinnung oder von Süßlupinen als Eiweißlieferanten gehören dazu. Sprecher des Konsortiums aus über 60 Unternehmen, Verbänden, Bauern, öffentlichen Verwaltungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist der Greifswalder Geographieprofessor Daniel Schiller.
Acht Millionen Euro gibt Berlin für das zweite Projekt Campfire, die dezentrale Herstellung grünen Ammoniaks aus erneuerbaren Energien für zunächst fünf Jahre. Statt wie bisher üblich unter hohen Drucken und bei hohen Temperaturen über das Haber-Bosch-Verfahren soll das insbesondere für die Düngemittelherstellung wichtige Gas mithilfe keramischer Dünnschichtmembranen aus Wasser und Luftstickstoff hergestellt werden. Sprecherin ist Angela Kruth, die am Leibniz-Institut für Plasmaforschung (INP) arbeitet. „Ammoniak ist die am zweitmeisten produzierte Chemikalie der Welt“, verdeutlicht die Chemikerin, die in Greifswald studiert hat und lange in Schottland arbeitete. „Es ist auch ein hervorragender Energiespeicher, der sich leicht verflüssigen lässt.“ Das ist die Grundlage für den Einsatz in Motoren, insbesondere als Schiffsantrieb, der kein Kohlendioxid freisetzt, sondern Stickstoff und Wasser. Auch die anfallende Menge von Stickoxiden (NOX) sei geringer als beim viel gescholtenen Dieselmotoren. Der Einsatz des Gases in Motoren ist laut technisch kein Problem. Ferner ermöglicht dieser Weg der Ammoniakherstellung auch die Produktion von „grünem Dünger“.
Vorpommerschen Windstrom vor Ort verbrauchen
Denn die Produktion des Ammoniaks mithilfe der Dünnschichtmembranen in kleineren Anlagen soll mithilfe von Wind- und Solarstrom erfolgen. „Mecklenburg-Vorpommern ist Stromexporteur“, erinnert Kruth. Für die Windmüller ist Campfire vor dem Hintergrund sinkender Subventionen ebenfalls interessant. „Auch ist mit einer Erhöhung der Akzeptanz für Windräder in der Bevölkerung zu rechnen, wenn mit dem Strom vor Ort etwas produziert wird“, schätzt Kruth ein. Die Entwicklung der keramischen Dünnschichtmembranen ist ein wichtiges Forschungsfeld von Campfire. Hier bringt das INP seine besondere Expertise ein. „Erste Schritte zu Umsetzung der neuen Technologie zur Ammoniakerzeugung wollen wir in fünf Jahren erreichen.“ In weiteren fünf Jahren soll eine Optimierung erfolgen.
„Wir sind über 30 Partner, zwei Drittel sind Unternehmen“, informiert die Projektleiterin. Das Interesse der Industrie sei groß. So gehören der Düngemittelproduzent Yara, die Weiße Flotte und Hanseyachts zum Verbund. Ziel von Campfire sei es ja, die lokale Energierzeugung in der Region zwischen Rostock und Stettin mit der hier zum Teil schon sehr etablierten maritimen und chemischen Industrie zu verbinden. Die zu entwickelnde Hochtechnologie hat auch das Zeug zu einem echten Exportschlager zu werden.
Neue Chancen für Fischerei und Landwirtschaft
Auch das Projekt Plant³ knüpft an schon vorhanden Stärke der Region an. Es setzt unter anderem auf die Ablösung fossiler durch nachwachsende Rohstoffe sowie deren Verarbeitung. „Es ist eine historische Chance, eine immense Wertschöpfung vor Ort zu erzielen und nicht weiter landwirtschaftliche Rohstoffe zu exportieren und die verlängerte Werkbank anderer Regionen zu sein“, sagt Stefan Seiberling (Uni Greifswald), der das Antragskonsortium mit seinen über 60 Mitgliedern koordinierte. „Vorpommern hat ja große landwirtschaftliche Flächen und Moore“, erinnert Sprecher Daniel Schiller. Diese Ressourcen gilt es, besser zu nutzen.
Die Greifswalder Hochschule, die Wirtschaftsfördergesellschaft Vorpommern und der Wissenschafts- und Technologiepark Nordost (Witeno) stehen gewissermaßen an der Spitze von Plant³. Innovative kleine und mittlere Unternehmen wie die Enzymicals AG gehören ebenfalls zu den Greifswalder Pluspunkten. Diese Firma spielt ebenfalls eine zentrale Rolle.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EUEXZVRGHXEHGO5ISFE253DNCQ.jpg)
Prof. Daniel Schiller leitet das Projekt Plant³
© Quelle: Eckhard Oberdörfer
„An der Universität sind insbesondere Landschaftsökologen, Botaniker, Pharmazeuten und Biochemiker beteiligt“, sagt Schiller. Die Wissenschaftler bringen schon umfängliches Know how mit, das zu mehr Unternehmensgründungen führen soll. So hat das Greifswald Moor Centrum bereits ein ganzes Bündel von Möglichkeiten der Nutzung der nassen Landwirtschaft, zum Beispiel die Dämmstoffproduktion aus Rohrkolben entwickelt. Für Plant³ besitzt auch Anklam als Wirtschaftsstandort mit der Zuckerfabrik, der Anklam Extrakt GmbH und der Continental AG besondere Bedeutung.
„Auch das Meer kann für den biobasierten Strukturwandel in Vorpommern genutzt werden“, verdeutlicht der Geographieprofessor. Das könnte der krisengeschüttelten Fischerei durch die Erschließung neuer Einkommensquellen helfen. „Aus Meeresalgen kann man Spezialzucker erzeugen,
die beispielsweise für Pharmazeutika und Kosmetika benötigt werden“, so Schiller.
Natürlich werde im Rahmen der Bioökonomie-Initiative geforscht, entstünden Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten, aber im Zentrum seht die Umsetzung von Ideen. „Dafür ist das von der Stadt geplante neue Lifesience und Plasmazentrum ganz wichtig, es ist ein wichtiger Teil der benötigten Infrastruktur“, so Schiller. „Der Inhalt kommt von uns.“
Rolf Kammann, der Geschäftsführer der Wirtschaftsfördergesellschaft Vorpommern, ist optimistisch, dass der Strukturwandel im östlichen Mecklenburg-Vorpommern gelingt. „Die Initiative hat jetzt schon eine sehr gute Dynamik entfaltet, wie ich sie in Vorpommern noch nie erlebt habe.“
Im Rahmendes Pilotprogramms WIR! Wandel durch Innovation in der Region fördern Bund und EU 20 Projekte. Im Zentrum von Campfire steht die Produktion von grünem Ammoniak sowie dessen Verwertung für emissionsfreie Schiffsantriebe und die Produktion von nachhaltigem Dünger. Ammoniak, der aus Wind- oder Solarstrom, Wasser und Luft hergestellt werden kann, wird von Experten als „Erdöl der Zukunft“ angesehen. Ziel des Verbundvorhabens Plant³ ist es, die Veredlung pflanzlicher Rohstoffe zum Motor des Wandels im Osten von MV werden zu lassen. Die wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige Nutzung der großen Land-, Moor- und Meerflächen birgt ein beträchtliches Wertschöpfungspotenzial, das noch unzureichend genutzt wird. Ein drittes erfolgreiches Vorhaben im Nordosten ist „Physics for Food“ der Hochschule Neubrandenburg.
Eckhard Oberdörfer