Auf Erfolgskurs

Katapult-Magazin polarisiert mit Karten

Benjamin Fredrich ist Gründer und Geschäftsführer des in Greifswald erdachten und produzierten Magazins "Katapult".

Benjamin Fredrich ist Gründer und Geschäftsführer des in Greifswald erdachten und produzierten Magazins "Katapult".

Greifswald. Auf den 88 Quadratmetern Bürofläche im Greifswalder Biotechnikum muss die Kreativität förmlich aus den Wänden dampfen. Wer Karten produziert, die die sechs wahren Vorurteile aller Bundesländer, die Empfänger deutscher Rüstungsexporte beschreiben oder die Namen der deutschen Punkrocker und Metalbands nach deren Herkunftsort auf Deutschland verteilen, muss von der Lust an Provokation und Widerspruch, kindlicher Spielfreude und einem seriösen Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit getrieben sein.

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Dennoch versprüht der Raum der Macher des Katapult-Magazins eher ein nüchtern-sachliches Flair: mit Layoutern und Redakteuren, die Schulter an Schulter an Kiefernholz-Schreibtischen sitzen und konzentriert die Blicke auf Computer-Bildschirme lenken. Nur eine in der Büro-Ecke stehende, nostalgisch anmutende Popcorn-Maschine, in der noch die Krümel vom Vorabend liegen, lässt erahnen, dass hier Jungs und Mädels mit diebisch viel Spaß an der Arbeit sind.

Mehr Insta-Follower als die TAZ

Der Leser der in Greifswald erdachten und produzierten soziokartografischen Zeitschrift, die inzwischen auf Instagram mit 58 000 Followern so viele Fans wie der „Stern“ und doppelt so viele wie die „Taz“ hat, fragt sich, wie die Redakteure auf all die erhellenden, teils skurrilen Ideen kommen. Die Macher von „Katapult“ beziehen die Daten vor allem aus nüchternen Statistiken und Studien der Sozialwissenschaften. „Wir mussten anfangs noch bei den Wissenschaftlern um die Studien betteln, inzwischen hat sich der Weg umgekehrt“, sagt Firmengründer und Chefredakteur Benjamin Fredrich. Für beide Seiten sei das eine Win-Win-Situation. Die Forscher verwendeten im Gegenzug zur Visualisierung ihrer Daten die Karten in ihren Vorlesungen. Einige Anregungen – vor allem die ironisch augenzwinkernden – stammen von Redakteuren oder inzwischen auch von Lesern.

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Grafiken sind zu sehen im Katapult-Magazin und dem kürzlich erschienenen Buch

Grafiken sind zu sehen im Katapult-Magazin und dem kürzlich erschienenen Buch.

Das Katapult-Team strukturiert das Datenkonvolut und baut daraus Grafiken, die ein komplexes Problem auf den entscheidenden Kern eindampfen – so wie ein Spitzenkoch den Bratenfonds auf eine delikate Soße einreduziert. Dass Katapult mit seinen politischen Karten wie beispielsweise zu antisemitischen Straftaten oder Flüchtlingsströmen polarisiert, zeigen die bösartigen und beleidigenden Kommentare im Netz. Der Umgang damit gestalte sich schwierig, zumal diese Kritiker andere Karten „geil“ fänden. „Aber wir haben ein starkes Problem mit der AfD und Pegida“, zieht Fredrich eine rote Linie. Ein harter Rassismus werde nicht toleriert.

Das Konzept, das 2015 deutschlandweit einmalig war und den von Instagram und Co. geprägten Trend der Visualisierung von Themen aufnimmt, funktioniert auch im seit Jahren totgesagten Print-Markt. Mit der ersten Ausgabe im März 2016 widerlegte Katapult die These, dass Print am Ende sei. Die Zeitschrift erschien im Dezember 2018 in der 12. Ausgabe. Seit dem Start hat sich die Auflage auf 40 000 Stück pro Ausgabe vervierfacht. Aktuell beziehen 15 000 Leser die Zeitschrift im Abonnement. Die besten 100 Karten kamen Anfang des Jahres in einem Buch heraus. Und das sei bereits vergriffen.

Bis zu 200 neue Abonnenten pro Tag

„Wir haben derzeit ein Luxusproblem“, sagt Fredrich. Bis zu 200 Abonnements schließen die Magazin-Macher aktuell pro Tag ab. Eine explosionsartige Entwicklung. Was macht dieser plötzliche Erfolg mit den Menschen? „Man wünscht sich das. Aber wenn es konkret funktioniert, dann ist man überrascht.“ Auf den aktuellen Hype reagiert Fredrich nüchtern: Man müsse jetzt ein professionelles Abo-Verwaltungsteam aufbauen. Angst mache diese Entwicklung nicht.

Mit dem Wachstum schwinden zwar die anfänglichen finanziellen Sorgen. Doch dafür muss sich das inzwischen zehnköpfige Team mit neuen Fragen herumschlagen. Das Büro im Biotechnikum bricht aus allen Nähten. Die gedruckten Exemplare der neuesten Ausgabe lagern im Foyer, die Lagerkapazitäten vor Ort seien ausgeschöpft. „Wir suchen dringend trockene Lagerräume in Greifswald.“ Fredrich hofft, dass der Umbau der alten Mensa zu einem Gründerzentrum für Kreative bald beginnt, um dann mit Sack und Pack umziehen zu können. „Schön wäre auch ein altes Fabrikgebäude.“ Aha, da blitzt es auf einmal auf: das Klischee vom coolen Zeitschriftenmacher in einem weitläufigen Fabrik-Loft.

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Macher bleiben Greifswald treu

Mit Katapult in eine der angesagten Großstädte wie Berlin oder Hamburg zu ziehen, ist auch mit dem zunehmenden Erfolg für Fredrich keine Option. „In Berlin wären wir nur eines der vielen kreativen Unternehmen“, gibt er sich norddeutsch-bescheiden. Ein Fachkräfte-Problem kennen die Greifswalder Zeitschriftenmacher nicht. Bewerbungen kämen inzwischen aus ganz Deutschland. Die gebürtige Niedersächsin Svenja Teitge arbeitete zuletzt in Köln. „Als Kommunikationsdesignerin wollte ich nicht in Werbeagenturen irgendwelche Sachen verkaufen, sondern an Inhalten arbeiten“, erzählt die 28-Jährige, die seit Anfang des Jahres zum Katapult-Team gehört. Und mit Greifswald wird die junge Frau offenbar auch langsam warm. „Ich hatte anfangs Bammel. Aber Greifswald ist eine Studentenstadt mit vielen jungen Leuten.“ Die Nähe zum Meer habe sie dann endgültig überzeugt.

Martina Rathke

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