Klimanotstand in Greifswald: Panikmache oder Notwendigkeit?
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Rund 300 Jugendliche gingen am 24. Mai in Greifswald für das Klima auf die Straße.
© Quelle: Stefanie Ploch
Greifswald. Purer Populismus, dringende Notwendigkeit oder ein zahnloser Papiertiger? In Greifswald soll der Klimanotstand ausgerufen werden. Die Fraktionen von Grünen, SPD, Linke/Tierschutzpartei gehen mit einem Paukenschlag in die konstituierende Bürgerschaftssitzung am kommenden Dienstag. Sie bringen einen Antrag ein, mit der die Bürgerschaft den Klimanotstand für Greifswald erklärt. „Mit der Resolution bekennt sich Greifswald zum Klimaschutz und setzt sich für die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels ein“, begründete Grünen-Fraktionschef Alexander Krüger den Antrag. „Der Klimaschutz wird Schwerpunkt der neuen Legislatur.“
Es wird Ernst mit grüner Politik
Die Fraktionen – voran die Grünen, die bei der Kommunalwahl im Mai nach der CDU das zweitbeste Stimmergebnis einfuhren – wollen nun Ernst mit grüner Politik machen. Dafür spricht auch, dass sie sich mit ihrer Forderung nach einem eigenständigen Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Nachhaltigkeit durchgesetzt haben.
Monique Wölk von der SPD-Fraktion ergänzte, dass mit dem Klimaschutz-Antrag auch ganz konkrete Maßnahmen verbunden seien. So sollen Maßnahmen zur CO2-Reduzierung forciert werden. Die Stadtwerke sollen von der Stadt aufgefordert werden, bis Frühjahr 2020 ein Konzept vorzulegen, wie ein schnellstmöglicher Ausstieg aus Kohle und Kernenergie umgesetzt sowie eine Umstellung des gesamten Strom-Mixes auf erneuerbare Energien vorgenommen werden kann – ohne weitere Belastung der Verbraucher. Zudem soll mittelfristig auch der Nahverkehr kostenfrei werden, um die Emissionen zu senken. „Dieser Antrag ist mehr als ein reines Symbol“, so Wölk.
Klimanotstand? „Überflüssig wie ein Kropf“
Klimanotstand? Das klingt dramatisch. Der Begriff bildet aber keine juristische Grundlage für die Ableitung von Notstandsmaßnahmen. Greifswald würde mit der Ausrufung dem Beispiel anderer Städte wie Konstanz, Heidelberg und Münster folgen. Auch in Rostock gibt es Bestrebungen, den Klimanotstand zu erklären. Konstanz hatte am 2. Mai auf Anregung der lokalen Fridays-for-Future-Bewegung als erste deutsche Stadt den Klimanotstand erklärt. Danach sollen künftig alle städtischen Entscheidungen unter Klimavorbehalt gestellt werden. In Greifswald soll ab Januar 2020 für sämtliche politische Beschlussvorlagen das Kästchen "Auswirkungen auf den Klimaschutz" mit den Antworten "Ja, positiv", "Ja negativ", "Nein" verpflichtend werden.
„So ein Antrag ist überflüssig wie ein Kropf“, konterte der Fraktionschef der AfD, Nikolaus Kramer, den Vorstoß von Grünen, SPD und Linken. Er spricht von überflüssiger Symbolpolitik. „Anstatt den Klimanotstand auszurufen, sollten wir lieber den Bildungsnotstand ausrufen.“ Die Resolution sei ein bloßes Feigenblatt der Parteien, um politische Lieblingsthemen wie den kostenlosen Nahverkehr zu platzieren, meint Kramer. „Der Antrag zeigt für keine der genannten Maßnahmen auf, wie diese finanziert werden sollen.“
Geld könnte aus Finanzausgleich kommen
Die SPD-Abgeordnete Monique Wölk spricht von „klugen Konzepten“, die nun entwickelt werden müssten, um die Bürger nicht zusätzlich zu belasten. Eine mögliche Quelle sei der neugeordnete Finanzausgleich (FAG), durch den die Stadt jährlich etwa 3,5 Millionen Euro zusätzlich vom Land erhalte. Nach Abzug der Kreisumlage blieben unterm Strich etwa 900 000 Euro. „Zudem fordern wir eine Senkung der Kreisumlage, da auch Vorpommern-Greifswald vom FAG profitiert.“ Dies hätte, so Wölk, wiederum weitere positive Effekte auf die Stadtfinanzen. Zudem sollten von einem kostenlosen Nahverkehr nur Einwohner mit Hauptsitz profitieren. Damit gebe es einen Anreiz, den Nebenwohnsitz umzuwandeln. „Mehr Hauptsitz-Einwohner bedeuten höhere Schlüsselzuweisungen.“
Entschiedener Widerstand kommt auch aus der CDU-Fraktion. „Die Ursachen für den weltweiten Klimawandel können nicht in Greifswald gelöst werden“, sagte die Abgeordnete Madeleine Tolani. Fraktionschef Axel Hochschild reagierte fassungslos: „Wo ist in Greifswald ein Klimanotstand?“ Dieser Antrag sei Panikmache, völlig überzogen und interessiere die Mehrheit der Bürger nicht. „Wir müssen uns um die wichtigen Themen kümmern wie die Sanierung von Kitas oder den ruhenden Verkehr.“
OB steht hinter der Forderung
Oberbürgermeister Stefan Fassbinder begrüßte die Initiative zur Ausrufung des Klimanotstandes. „Dieses Bekenntnis kann – und sollte natürlich auch – die Prozesse zum Klimaschutz in unserer Stadt weiter befördern“, sagte er. Insofern sehe er den Antrag als Unterstützung der städtischen Politik und ihrer Partner, die sich im Klimaschutzbündnis 2020 zusammengeschlossen haben. „Dies deckt sich auch mit meinen Intentionen.“
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