Konkurrenz der Dichterfürsten –Hiddenseer Gästebücher aufgetaucht
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Gästebücher der Hiddenseer Pension "Haus am Meer" mit den Einträgen von Gerhart Hauptmann und Thomas Mann im Sommer 1924
© Quelle: Martina Rathke
Greifswald/Hiddensee. Zwei Dichterfürsten mit dem Alphatier-Gen im selben Urlaubsdomizil? Das kann nicht gut gehen. Der Literaturstar Gerhart Hauptmann, der 1912 den Nobelpreis für sein dramatisches Werk erhalten hatte, und Thomas Mann, der noch auf seinen Nobelpreis zuschrieb, erlebten genau das. Im Sommer 1924 verbrachten die beiden Schriftsteller mit ihren Familien im Hiddenseer „Haus am Meer“ ihren Urlaub – und die Begegnung war nicht konfliktfrei.
Hauptmann wohnte in der Beletage der Villa, Mann im Stockwerk über ihm. Die beiden Schriftsteller – Mann war auf Empfehlung Hauptmanns auf die Insel gekommen – schätzten einander. Doch der weißhaarige Hauptmann dominierte mit seinen Abendgesellschaften die Intellektuellen-Insel. Ein Umstand, der dem sprachlich versierteren Romancier Thomas Mann und seiner Ehefrau Katia offenbar bitter aufstieß. „Nun war er aber dermaßen König, dass für uns dort wenig Aufmerksamkeit abfiel“, erinnert Katia Mann etwa 50 Jahren in „Meine ungeschriebenen Memoiren“ den Hiddensee-Urlaub von 1924. Während die Manns im Speisesaal essen mussten, wurde den Hauptmanns das deutlich bessere Essen in deren Zimmern serviert, so die Mann-Gattin in verklärter Rücksicht. Thomas Mann revanchierte sich auf seine Weise: Er setzte in seinem Roman „Der Zauberberg“ Hauptmann mit der kauzigen Figur des „Mynheer Peeperkorn“ ein unrühmliches Denkmal.
Was überhöhte Anekdote ist und was sich tatsächlich 1:1 zugetragen hat, lässt sich nicht mehr genau recherchieren. Doch nun ist das Gästebuch aufgetaucht, das den gemeinsamen Urlaub der Hauptmanns und Manns in der Pension „Haus am Meer“ belegt. „Das ist wundervoll“, kommentierte die Leiterin des Gerhart Hauptmann-Hauses in Kloster, Franziska Ploetz, das plötzliche Auftauchen des Dokuments. „Damit bekommen die Geschichten, die über Hauptmann und Mann kursieren, einen ganz anderen Halt.“
Das Pommersche Landesmuseum in Greifswald bekam im Januar einen Anruf von einer hochbetagten Dame aus Waren. Im Gespräch gab sich die Frau, die anonym bleiben will, als Enkelin der damaligen Pensionsbesitzerin Irene von Sydow zu erkennen. „Für uns war dieser Anruf ein Glücksfall“, berichtet Heiko Wartenberg, Archivar und Historiker im Pommerschen Landesmuseum. Der Wunsch der Dame: Die Gästebücher der Pension aus den Jahren 1914 bis 1934 dem Museum zu übereignen. Über Jahrzehnte habe sie das Konvolut wie einen Schatz aufbewahrt, berichtet Wartenberg weiter. „Jetzt war es ihr wichtig, dass das Stück Zeitgeschichte vor ihrem Tod in sichere Hände kommt und nicht in einem Auktionshaus oder, schlimmer noch, auf dem Müll landet.“
Inzwischen sind die mit Einträgen glücklicher Urlauber prall gefüllten Bücher in Greifswald. Die Einbände aus Stoff und Leder sind zerschlissen, einige der inzwischen angegilbten Seiten sind lose. Wartenberg, der noch mit der Durchschau der Bücher beschäftigt ist, wertet die Wiederentdeckung als „kulturgeschichtliche Sensation“. „Die Einträge von Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, die noch dazu auf ein und derselben Gästebuch-Seite stehen, sind vermutlich die bedeutendsten“, sagt der Historiker.
Doch die anderen Einträge belegen eindrucksvoll, dass Hiddensee zwischen 1914 und 1934 ein illustrer Badeort und Rückzugsort für die privilegierte Gesellschaft war. Künstler wie die Stralsunder Malerin Elisabeth Büchsel und die jüdische Tänzerin Katta Sterna haben sich in den Büchern verewigt. Bankdirektoren aus Hamburg, preußischer und pommerscher Adel unterschrieben. Juden, die mit dem aufkeimenden Bäder-Antisemitismus in den 1920-er Jahren in anderen Seebädern wie Zinnowitz, schon längst nicht mehr gern gesehen waren, verbrachten in der Abgeschiedenheit der Insel noch unbekümmerte Sommerferien. Kleine Gedichte wie „Strand und See nun ade! Mit froher Kraft wird jetzt geschafft!“ und unbeholfene wie auch künstlerisch ansprechende Zeichnungen sommerlicher Freizeitaktivitäten finden sich in den Büchern.
Ein Name elektrisiert Wartenberg dabei besonders: Am 10. Juli 1920 trug sich Elsa Meyring aus Stettin in das Gästebuch der Pension ein. Es sei möglich, dass es sich dabei um die Stettiner Ärztin handelt, die 1940 zusammen mit 1123 weiteren Juden nach Lublin deportiert wurde. Dieser Transport sei die erste Judendeportation überhaupt aus dem deutschen Reichsgebiet gewesen, sagt Wartenberg. Die Ärztin Elsa Meyring gehörte zu den wenigen, die die Deportation und die Nazi-Zeit überlebten.
In den Gästebüchern steckt noch sehr viel Geschichte, ahnt der Historiker. Das Konvolut soll nun zunächst restauriert werden und dann auch der Forschung zur Verfügung stehen. Teil der Dauerausstellung werden die Gästebücher allerdings nicht. „Licht ist der Feind von beschriebenem Papier“, so Wartenberg. Franziska Ploetz, Leiterin des Hiddenseer Gerhart-Hauptmann-Hauses, hätte die Gästebücher auch gern in ihrem Haus gesehen. Dass der Anruf der älteren Dame aber das Pommersche Landesmuseum erreichte, kann Ploetz verschmerzen. „Wichtig ist, dass diese historisch interessanten Dokumente nun museal gesichert sind. In Greifswald sind sie gut aufgehoben.“
Martina Rathke
OZ