Bergen gestern und heute

Kulturhistorisches Kleinod am Markt verfällt

Im Februar 2019 bietet das Haus Markt 1 nur noch einen erbarmungswürdigen Anblick.

Im Februar 2019 bietet das Haus Markt 1 nur noch einen erbarmungswürdigen Anblick.

Bergen. In einer Beschreibung auf zwölf Karten mit erläuternden Texten aus den Jahren 1787/88 werden durch den Bergener Sekretär Huldberg die Grundstücke und Häuser mit ihren Eigentümern der vier Quartiere zu Bergen auf Rügen dargestellt. Zahlreiche dieser Häuser sind heute nicht mehr existent. Jedoch ist es lohnenswert, auf ihren Spuren zu wandeln und dabei so manches Liebenswerte oder auch Skurrile zu entdecken.

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In mehreren Folgen möchte ich Sie, verehrte Leserinnen und Leser, auf die Reise mitnehmen. In Terrakotta gebannt, entdeckte ich vor vielen Jahren am Gutshaus von Streu bei Schaprode den Spruch: Man reißt das Haus nicht ein, das Väter fest gebaut. Doch richtet man sich's ein wie man's am liebsten schaut. Das Motto sollte auch für das geschichtsträchtige Haus Markt 1 am Schafsberg gelten. Huldberg erwähnt es als das Haus des Sekretärs Fabritius mit Nebengebäuden, Hof, Auffahrt und einem Lustgarten. Das Haus besticht nicht nur durch die prädestinierte Lage, sondern auch durch die Menschen, die es geprägt haben.

Kleine Bleifenster

In einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert wird dieses mit einem Krüppelwalmdach und reich strukturierter Fassade versehene Haus wie folgt beschrieben:Das Haus hatte sehr kleine Fenster mit kleinen in Blei gefassten Scheiben, hinter ihm lag ein kleiner Garten. Alt wie das Haus so war auch der Garten, zwar reinlich bestellt, die Gänge geharkt, die Ligustrum- und Fliederhecken beschnitten, unter einer Linde eine Wippe, Alleen von Stachel- und Johannisbeeren und in der Mitte auf einem Rasenplatz ein Postament von Mauersteinen mit dorischem Sockel verputzt, weiß getüncht, oben als Abschluss eine Tonvase. In der Mitte eine kleine Tafel eingelassen, darauf stand das einzige Wort „Lone“ (ein Hund).

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Als erster Besitzer wurde um 1795 dort der Sekretarius Fabritius benannt . Zum Grundstück gehörte weiter ein Stall mit Remise, und ein kleiner Pavillon zierte den Lustgarten. Die Auffahrt mit den beiden Pfeilern und den aufgesetzten Terrakottavasen existiert noch heute.

1803 war es kurzzeitig im Besitz des Herrn von Platen. Der Advokat und ab 1809 Bürgermeister Carl Friedrich Arndt bewohnte danach mit seiner Base Anna Karoline Elisabeth Arndt (Tochter des Hinrich Arndt aus Posewald) das Haus. Die Trauung fand 1801 statt. Die Ehe blieb kinderlos. In Bergen nahm er auf Anraten seines Bruders Ernst Moritz Kontakt mit dem hier lebenden Historiker und Geheimgelehrten Johann Jacob Grümbke auf. Es wurde eine Freundschaft aus der Stralsunder Gymnasialzeit wieder belebt. Friedrich über Grümbke: „... vortrefflich, redlich, gelehrt in jeder Beziehung ein wackerer Kerl, auch kein Philister: denn in ihm gehen Herz, Auge und Zunge bei jedem Unrecht noch rechtschaffen über.“

Ein zu ehrlicher Kerl

Im November 1809 wurde Arndt zum Bürgermeister und Stadtrichter ernannt. Der aus Altersgründen ausscheidende Bürgermeister Beetze ersuchte den Bergener Magistrat, den Tribunaladvokaten Arndt, zu seinem Nachfolger zu benennen. Auf Grund einer Verordnung aus dem Jahre 1787 hatte die schwedische Gouvernements-Commission in Stralsund die Zusammenlegung von Bürgermeister- und Stadtrichteramt angeordnet. Die Beurkundung wurde am 11. November 1809 ausgestellt und unterzeichnet von F. G. von Behr und F.W. Ledebour. Während seiner Amtszeit als königlicher Stadtrichter und Erster Bürgermeister bewohnte Dr. Friedrich Carl Arndt bis zu seinem plötzlichem Tod 1815 das Haus am Schafsberg. Der Name weist auf eine frühere Nutzung hin. Schließlich war Bergen ein Ackerbürgerstadt. In einem Zitat von Friedrich Carl Arndt vom 20. Mai 1815 resümiert er über sein Leben: „ Ich war für mein Handwerk ein zu ehrlicher Kerl – deswegen bin ich eben arm geblieben – ein zu mutiger – deswegen habe ich die meisten Junker hier zu Feinden – ein zu gutmütiger deswegen, habe ich Leuten, die nicht wieder bezahlen wollen, auf meinen Namen Geld verschafft“.

1816 ging es dann in den Besitz der Familie des Grafen Wolfrath über. Graf Wolfrath hatte zur Zeit der Napoleonischen Herrschaft ein Ministeramt beim König Jerome von Westfalen inne. Seine karitative Seite belegten Zeitzeugen an einem Beispiel. Seinen Diener Putbrese veranlasste er den Schülern aus der nahe gelegenen Knabenschule zur Frühstücksvesper ein Gebäck zu bringen, die sogenannten Micken. Seine Frau, eine geborene Gräfin Knuth, hat das Verhältnis zu den Bergenern entspannt. Sie war eine sehr musikalisch talentierte Dame, spielte auf dem Klavier und sang . Sie öffnete das Haus für Hauskonzerte und Lesezirkel. Sie förderte den noch jungen talentierten Kantor Damas. Von ihm existiert noch ein umfangreiches Werk. Dem Musikkreis gehörten neben der Gräfin von Wolffrath unter anderem an der Leibmedicus von Willich, der Stadtarzt und Landphysikus Grümbke und der Major Colmar an. Einige weitere hier wohnende schwedische Offiziere, der Advokat Huldberg und der Arzt Krüger, der ab 1801 Hausarzt des Grafen wurde, bereicherten den Kreis. Aus dieser Zeit stammte eine vor wenigen Jahren gefällte stattliche Kastanie. Sie gefährdete angeblich die Statik des Hauses – so war das Argument.

Wichtig für die Zukunft

Nachfolgend bewohnten das Haus 1870 der Stadtmaurer Joh. Deysing und 1897 der Senator und Maurermeister Ferdinand Freese mit seiner Familie. Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb das Grundstück der Veterinärrat Fritz Plessow. Bis nach 1990 blieb das Grundstück in Familienbesitz der Tochter. Dann veräußerte die Familie Markt 1 an einen privaten Immobilienhändler.

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Jetzt, 2019, steht das Haus über 20 Jahre leer. Geöffnete Fenster in den oberen Etagen beschleunigen einen vielleicht gewollten Verfall. Der Eingangsbereich selbst, mit dem gefliesten Fußboden und die geschwungene Treppe in die erste Etage sind biedermeierlich geprägt. Beeindruckend sind auch die noch vorhandenen Türen im rechten Wohnbereich und lassen die Zeit des 19.Jahrhunderts aufleben. Dieses geschichtsträchtige Anwesen ist für die Kultur und das Ansehen der Stadt unverzichtbar. Es liegt genau zwischen Marktstraße und Markt und könnte durch den geöffneten Hofbereich mit gestalteten kleinen Läden ein Kleinod werden. Ähnliches haben wir in Quedlinburg am Harz gesehen. Es ist wichtig für die Zukunft unsere historischen Spuren zu bewahren und somit unsere Identität.

Uwe Hinz

OZ

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