Als Vorpommern plötzlich wegradiert wurde
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Name weg, Vorpommern weg. So einfach dachte man sich das damals.
© Quelle: Montage OZ
Vorpommern. Als das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern am 3. Oktober 1990 entstand, war das nicht überall ein Grund zur Freude. Östlich des Landgrabens, der Mecklenburg und Pommern historisch lange teilte, hatte es durchaus Bestrebungen gegeben, ein eigenständiges Land innerhalb der Bundesrepublik zu werden. Dabei war es zu der Zeit schon ein Novum, dass „Vorpommern“ überhaupt wieder eine Rolle in offiziellen Dokumenten spielte. Jahrzehntelang war genau das unterbunden worden. „Vorpommern“ fiel sprachlich gesehen unter eine Art Ächtung. Vor 72 Jahren verschwand der Name „Vorpommern“ per bürokratischem Erlass und führte danach lange nur noch eine Existenz im privaten Sprachgebrauch. Kein Zufall, keine Unaufmerksamkeit, dahinter stand ein komplexer Plan führender Politiker. Dass der Begriff 1990 zurückkehrte, war eine kleine Revolution.
Aber alles der Reihe nach: Ein Land Mecklenburg-Vorpommern gab es schon lange vor der Wende. Doch seine Geschichte hätte eine recht kurze werden können. Im Sommer 1945 zogen die Alliierten ihre Truppen aus Westmecklenburg ab und überließen die Gebiete der Verwaltung durch die sowjetische Armee. „Damit war der Weg frei für die Gründung des Landes Mecklenburg-Vorpommern und den Aufbau einer einheitlichen Landesverwaltung“, schreibt der Greifswalder Geschichtsprofessor Michael North in seiner „Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns“. Ein Zusammenschluss der vor allem auf den Ergebnissen, neuen Grenzziehungen und Interessen der Siegermächte des Krieges beruhte, weniger auf einer historischen Zusammengehörigkeit der beiden Regionen.
Nach zwei Jahren war mit Vorpommern Schluss
Ob man das politische Kunst-Konstrukt nun als „Land“ oder „Provinz“ bezeichnet war zwischen der eingesetzten Regierung und der Sowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD) in der Phase nach der Gründung sehr umstritten. Ein Machtkampf zwischen Bürokraten. Entscheidendere Auswirkungen hatte dann allerdings ein Erlass der Besatzer, der den Namen „Vorpommern“ ersatzlos aus der Bezeichnung strich. Der trat zum 1. März 1947 in Kraft. So gesehen existierte das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht mal ganz zwei Jahre.
Dieser Erlass der SMAD hatte nichts mit sprachlicher Ästhetik oder dem Wunsch nach einem kürzeren, prägnanteren Namen zu tun. Es ging um knallharte Diplomatie, in der sich die Administration als eine Art Sprachpolizei betätigte. Und als solche sah man die Erwähnung Vorpommerns nun mal nicht gerne. Hintergrund: Wo ein Vor-, da muss ja auch ein Hinterpommern sein. Und dieses Gebiet wiederum stand seit der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 unter polnischer Verwaltung. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein diplomatisch vermintes Thema. Dass es einen Teil Pommerns gab, der weiterhin deutsch war, ließ man lieber unter den Tisch fallen. Zudem hatte die Region Vorpommern vorher zum Staat Preußen gehört. Auch dieser Begriff hatte keinen guten Klang. Der Alliierte Kontrollrat hatte die Auflösung Preußens als „Träger des Militarismus und der Reaktion“ verfügt. Die inzwischen verstorbene Geschichtsdozentin Dr. Kyra Inachin deutete die Entscheidung der SMAD als Versuch, sich einer unangenehmen Debatte zu entziehen. „Folglich wurde der Name Vorpommern gezielt aus dem öffentlichen Diskurs verbannt, um ihn so aus dem Bewusstsein der Bevölkerung zu tilgen“, heißt es in ihrem Buch „Die Geschichte Pommerns“.
Pommerns Schätze gingen nach Kiel
Die Streichung Vorpommerns aus dem Namen des frisch gegründeten Landes war damit auch eine politische Botschaft, die in offiziellen Dokumenten umgehend Anwendung fand. Dem Land, das nun nur noch „Mecklenburg“ hieß, erging es allerdings auch nicht viel besser. Mit der Verwaltungsreform der DDR von 1952 wurde es aufgelöst. Die Verwaltung des Gebietes wurde neu organisiert, nun in drei Bezirken: Rostock, Neubrandenburg, Schwerin. Mit den früheren staatlichen oder kulturellen Grenzen hatten diese Bezirke wenig bis nichts gemein.
Parallel dazu pflegte man in der Bundesrepublik ein deutlich entspannteres Verhältnis zu Vorpommern und der Geschichte dieser Region. Schon seit Kriegsende organisierten sich Vertriebene in der Pommerschen Landsmannschaft, es wurden Gemeindepatenschaften vereinbart und 1966 eine „Stiftung Pommern“ gegründet, die Kunst- und Kulturschätze der Region zusammentrug und in Ausstellungen präsentierte. Sie wurde im Jahr 2000 aufgelöst, große Teile der Sammlung gingen an das Pommersche Landesmuseums in Greifswald.
Ein bisschen Revolution in der Kirche
Auf dem Gebiet der späteren DDR existierte der geächtete Begriff ab 1947 offiziell nur noch im religiösen Leben. Denn die Pommersche Evangelische Kirche führte den Namen weiter. Ganz klar mit dem Ziel „in ihrem Namen historische Kontinuität auch gegenüber den vielen hinterpommerschen Flüchtlingen in vorpommerschen Gemeinden zu demonstrieren“, so Inachin. Doch mit den Jahren stieg der Druck auf die Entscheidungsträger der evangelischen Kirche. Im Jahr 1968 gaben die Kirchen-Oberen nach. Es erfolgte die Umbenennung in „Evangelische Landeskirche Greifswald“. Deren Mitglieder ließen sich so leicht aber nicht beeindrucken. Einige organisierten in den folgenden Jahren wieder und wieder Vorträge zur pommerschen Landesgeschichte. Überwacht von einer strengen Zensur, die verhinderte, dass auch in den damit zusammenhängenden Veröffentlichungen weder „Pommern“ noch „Vorpommern“ als Begriffe auftauchten.
In der DDR lockerte sich das Verhältnis zu allem, was mit Pommern zu tun hatte, erst in den 80er-Jahren wieder. Dies mündete, so schreibt Kyra Inachin, unter anderem „in den Demminer Kolloquien, die im Rahmen des Kulturbundes Vorträge zur Geschichte Vorpommerns veranstalteten.“
Zum 3. Oktober 1990 wurde Mecklenburg-Vorpommern als neues Bundesland der BRD wiedergegründet – in den geografischen Grenzen, in denen es zwischen 1945 und 1952 bestanden hatte. Ein eigenständiges Bundesland oder auch ein Zusammenschluss mit Brandenburg und Berlin waren auch im Gespräch gewesen, erschienen aber an entscheidenden Stellen nicht als vernünftig. Aus wirtschaftlichen und geographischen Erwägungen. In Teilen der vorpommerschen Bevölkerung aber, stieß die Lösung auf erbitterten Widerstand und sogar öffentliche Demonstrationen. Aber das ist eine andere Geschichte...
Carsten Schönebeck
OZ