Stralsund

Ist das die Elite?

An der Freien Schule Rügen in Dreschvitz lernen verschiedene Altersstufen gemeinsam. Es gibt keine Noten.

An der Freien Schule Rügen in Dreschvitz lernen verschiedene Altersstufen gemeinsam. Es gibt keine Noten.

Stralsund. Das Wort „Schulhof“ trifft es nicht so recht. Was sich hinter der „Freien Schule Rügen“ in Dreschvitz erstreckt, ist eigentlich ein Abenteuerland. Kinder klettern auf Baumhäuser, am Fuße eines kleinen Hangs schlängelt sich ein Bach entlang. Als ein Mädchen mit einer Kuhglocke läutet, strömen die Schüler zurück in ihre Klassenräume - eine perfekte, heile Schulwelt. Doch es gibt einen Unterschied zu den meisten anderen Schulen in Vorpommern: Die Eltern der Kinder zahlen Geld dafür.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Bei dem Wort Privatschule gehen sofort bestimmte Bilder durch den Kopf: Geländewagen, die vor der Schule parken, teure Gebühren, Schloss Salem. Als im Spätsommer bekannt wurde, dass Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) ihren Sohn auf eine Schweriner Privatschule schickt, war der Aufschrei groß. Der Vorwurf lautete in etwa so: Diejenige, die selbst das öffentliche Schulsystem fördern sollte, glaube selbst nicht mehr daran - und nutze nun ihre privilegierte Position, um sich ihm zu entziehen. Doch stimmt es überhaupt, dass private Schulen etwas für die „Elite da oben“ sind? Wie ungerecht geht es im System aus freien und privaten Schulen wirklich zu? Und welche Wege gibt es, die Probleme zu lösen?

Schule muss mehr sein als nur Unterricht

Heike Balzer gehört zu einer Gruppe von Eltern, die sich nicht damit begnügen wollte, was der Staat ihr und ihren Kindern anbietet. Gemeinsam mit drei Mitstreitern machte sie im Jahr 2004 aus einer verlassenen, heruntergekommenen Dorfschule in Dreschvitz die „Freie Schule Rügen“. Heute ist Heike Balzer 51 Jahre alt und Projektkoordination an der Schule. Mit dem Elitebegriff kann sie nichts anfangen. „Wir machen Schule für alle. Es ist ärgerlich, dass uns immer wieder vorgeworfen wird, wir würden uns die besten Schüler aussuchen. Das ist einfach nicht so“, sagt sie.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In Dreschvitz lernen Schüler der Stufen eins bis drei und vier bis sechs gemeinsam, Fachunterricht ausgenommen. Es gibt keine Noten. Dennoch gelten die gleichen Rahmenpläne wie an staatlichen Schulen. Die Kinder müssen am Ende in der Lage sein, möglichst fehlerfrei ein Diktat zu schreiben. Die Eltern zahlen dafür je nach Einkommen 160 bis 285 Euro. Dazu kommen noch Essengeld und Busfahrkarte. Besserverdiener zahlen freiwillig in einen Stipendienfonds ein, mit dem Familien mit weniger Einkommen unterstützt werden. „Schule kann nur dann gut sein, wenn sich das Team fragt: Was wollen wir eigentlich erreichen? Das muss auf jeden Fall mehr sein, als einfach nur Unterricht zu machen“, sagt Heike Balzer.

Der Fehler sind nicht die freien Schulen, er steckt im System

Der Zingster Bürgermeister Andreas Kuhn hingegen sieht in Privatschulen ein Risiko. Seit Jahren muss der 52-Jährige dabei zusehen, wie junge Menschen von der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, die auf die Regionale Schule Zingst gehen könnten, lieber die Freie Schule Prerow ein paar Kilometer weiter besuchen. „Wir müssen aufpassen, dass unsere staatlichen Schulen nicht durch immer mehr freie Schulen gefährdet werden“, sagt Kuhn. Das Problem seien aber gar nicht die Privatschulen an sich, der Fehler liege vielmehr im System. Obwohl seine Gemeinde Träger der staatlichen Schule im Ort ist, darf sie bei der inhaltlichen Ausrichtung nicht mitreden. „Wir geben zwar viel Geld, haben aber keine Kompetenz. Das ist Sache des Schulamtes. Da würde ich mir mehr Einfluss wünschen“, sagt er. Erst dann könne es auch einen fairen Wettbewerb um die Schüler geben.

Der Stralsunder Michael Schultze gehört zu jenen Vätern, die lange überlegt haben, welche Schule für die eigenen Kinder die richtige ist. Der 50-Jährige lebt mit seiner Familie in einem Haus mit Garten. Hier gibt es Bäume, Sträucher und jede Menge Platz für die beiden Söhne. Die neun und 13 Jahre alten Jungs besuchen die Jona-Schule in der Hansestadt, deren Träger die Schulstiftung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland ist. Ein Platz kostet, abhängig vom Einkommen, bis zu 214 Euro. „Ausschlaggebend waren für uns der integrierte Hort und das lange gemeinsame Lernen von zehn oder zwölf Jahren. Dadurch sind Klassen- und Schulwechsel nicht erforderlich“, sagt Michael Schultze. Freie Schulen seien zudem eher bereit, neue pädagogische Konzepte auszuprobieren.  Natürlich kenne auch er die Vorurteile, dass an einer privaten Schule ausschließlich Kinder aus gut situierten Elternhäusern lernen würden. „Das können wir überhaupt nicht bestätigen. Es gibt an unserer Schule eine soziale Mischung wie an jeder anderen auch.“

Genauso sieht es auch Martina Färber, Leiterin der Freien Schule in Zinnowitz auf Usedom. Die Eltern, die ihre Schützlinge an die Freie Schule schicken, kommen laut Schulleiterin aus allen Schichten. „Das reicht von Sozialhilfeempfängern bis zu wohlhabenden Eltern“, sagt Martina Färber, die auf einen hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund verweist. „Bei uns gibt es keine Aufnahmeprüfung, wir sind offen für alle“, betont die Schulleiterin.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Bildung ist keine Frage des Geldes - oder doch?

Das Ostseegymnasium in Greifswald sieht - von außen betrachtet - zunächst ganz gewöhnlich aus. Erst wer die Tür zu einem Klassenraum öffnet, erkennt, warum die Leute hier 270 Euro im Monat zahlen: Es sitzen nur um die 20 Schüler darin. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein eher schwächerer Schüler bei uns das Abitur schafft, ist höher als an einer staatlichen Schule. Hier geht niemand unter“, sagt Direktorin Kerstin Witte (61).

Abitur für Geld - ist das nicht genau die Ungerechtigkeit, über die alle reden? Nein, sagt Geschäftsführerin Barb Neumann. Gute Bildung sei keine Frage des Geldes, sondern des richtigen Konzeptes.

„Wir haben sogar weniger Geld zur Verfügung als staatliche Schulen“, sagt die 59-Jährige. Das Land zahle pro Schüler nur etwa 85 Prozent der Summe, die es an eine staatliche Schule zahle. Für die Lücke gebe es zwar das Schulgeld, das könne die Differenz aber nicht ganz aufwiegen. „Wir müssen deswegen viel kostenbewusster arbeiten. Wir fragen uns immer: Was ist aus Sicht des pädagogischen Konzepts sinnvoll?“, sagt Neumann. Das staatliche Schulsystem sei durch seine Größe und Hierarchie dabei viel unbeweglicher. Barb Neumann fordert von der Politik, allen das gleiche Geld zu geben. „Dann bräuchte man kein Schulgeld mehr, und es zählt allein das Konzept.“ Dass durch den so verschärften Wettbewerb manche Schulen wahrscheinlich nicht überleben würden, ist für sie kein Nachteil. „Wäre das so schlecht? Es geht doch nicht um die Schulen, sondern um das, was für die Kinder am besten ist.“

Alexander Müller

Mehr aus Stralsund

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken