Reifenbauer Continental eröffnet Forschungsanlage in Anklam

Das Löwenzahn-Experiment

Betriebsleiter Jörg Brinkmann (51) der Wald- und Landschaftsbau GmbH Schwerinshorst (Ortsteil von Spantekow) berät mit Frank Behm (35), Anbaukoordinator des Taraxagum Lab Anklam, über den Anbau des Russischen Löwenzahns

Betriebsleiter Jörg Brinkmann (51) der Wald- und Landschaftsbau GmbH Schwerinshorst (Ortsteil von Spantekow) berät mit Frank Behm (35), Anbaukoordinator des Taraxagum Lab Anklam, über den Anbau des Russischen Löwenzahns

Anklam. Fast 30 Jahre lang haben er und seine 40 Mitarbeiter dieses Unkraut bekämpft. „Jetzt tüfteln wir daran, den Russischen Löwenzahn zu kultivieren“, erklärt Jörg Brinkmann. Der 51-Jährige ist Betriebsleiter der Wald- und Landschaftsbau GmbH in Schwerinshorst, einem Ortsteil von Spantekow (Vorpommern-Greifswald). Rund 27 Jahre produziert seine Firma Forstpflanzen, wie Eichen, Fichten und Buchen. Seit Beginn dieses Jahres nun gehört das von ihm und seiner Lebensgefährtin Meike Priebe (52) geführte Familienunternehmen zu den Partnern des Forschungslabors der Continental AG: Das Taraxagum Lab, das am Donnerstag feierlich eröffnet wurde, steht im 19 Kilometer entfernten Anklam.

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Hier forschen vier Mitarbeiter, bis zu 25 – vor allem aus der Region – sollen es werden. 35 Millionen Euro – elf Millionen davon gibt das Land MV – investiert der Reifen-Produzent aus Hannover. Und alles dreht sich um den Löwenzahn. Soll doch künftig aus dieser krautigen Pflanze Naturkautschuk gewonnen werden. Besser gesagt aus den 15 bis 25 Zentimeter langen Wurzeln des Wolfsmilchgewächses. „Taraxagum ist ein Kunstwort. Es wurde von der Bezeichnung Taraxacum, wie die Pflanze auch genannt wird, abgeleitet“, erläutert Standortleiter Carsten Venz (48). Insbesondere der Russische Löwenzahn enthalte einen recht hohen Anteil an Kautschuk. Soviel, dass der Reifenriese Conti seit zwölf Jahren unter anderem mit dem Fraunhofer Institut IME im nordrhein-westfälischen Münster mit der Wildpflanze experimentiert.

In Pkw-Reifen-Satz stecken bis zu drei Kilo Naturkautschuk

Naturkautschuk wird bislang vor allem auf Plantagen in Asien gewonnen. „Es ist ein strategischer Rohstoff, der an der Börse gehandelt wird. Unser Unternehmen hat die Vision, bis 2035 in der Lage zu sein, einen Teil der Importe zu ersetzen“, sagt Venz. Allein in einem Pkw-Reifen-Satz stecken bis zu drei Kilogramm dieses gummiartigen Stoffs.

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Weltweit 243 Mitarbeiter

44 Milliarden Euro hat die Continental AG 2017 weltweit umgesetzt. Der Konzern beschäftigt rund 243 000 Mitarbeiter. Insgesamt hat der Reifenriese aus Hannover im vergangenen Jahr 155 Millionen Fahrzeugreifen hergestellt.

Das Forschungs- und Versuchslabor zur Extraktion von Kautschuk aus Löwenzahn – Taraxagum Lab – steht auf einem 30 000 Quadratmeter großen Grundstück im Gewerbegebiet am südlichen Stadtrand Anklams.

Die Technologie der Anlage haben Wissenschaftler der Uni Münster und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Pflanzenzüchter, das Julius-Kühn-Institut Quedlinburg sowie Continental gemeinsam entwickelt.

Die in der Extraktionsanlage am südlichen Stadtrand Anklams gewonnenen gräulichen Klümpchen erinnern an Cornflakes. Was beispielsweise mit der anfallenden Grünmasse künftig geschieht, ist noch ungeklärt. „Das ist eine der vielen Baustellen bei diesem Experiment “, sagt Anbaukoordinator Frank Behm. Der 35-jährige Agraringenieur hat sich außer bei Brinkmann bereits Flächen von fünf Landwirten der Region gesichert. „Während 2017 auf insgesamt 16 Hektar Löwenzahn angebaut wurde, waren es in diesem Jahr mehr als 30 Hektar“, erklärt der gebürtige Neubrandenburger. Von den bei Conti geplanten 800 Hektar in Vorpommern ist man noch weit entfernt. Das gelte auch für die bisher erzielten Erträge, wie Behm einräumt. Eine Tonne Naturkautschuk pro Hektar ist die Zielgröße, um mit den asiatischen Plantagen konkurrieren zu können. Ob dies realistisch sei, könne man noch nicht sagen. Die bisherigen beiden Ernten seien aufgrund des extremen Regens bzw. der Trockenheit ein Schlag ins Kontor gewesen, betont er.

Löwenzahnanbau ist Neuland

„Schwerer als eine Tonne Naturkautschuk wiege der Erkenntnisgewinn“, macht Venz klar. Denn bei diesem Vorhaben leiste man Pionierarbeit. „Auch für uns ist der Löwenzahnanbau Neuland“, erklärt Brinkmann. Aufgrund seiner Erfahrung im Forstbereich mit sogenannten Feinsaaten, intensiver Handarbeit und einem gut nutzbaren Maschinenpark für die Aussaat und die Ernte des Löwenzahns sehen ihn die Anklamer Forscher aber als „Glücksgriff“ an. Statt auf einem Hektar wird die besondere Löwenzahnzüchtung 2019 in Schwerinshorst auf zehn Hektar angebaut. Eine weitere Flächenausdehnung sehen die hiesigen Wald- und Landschaftsbauer als möglich an. Zumal der Absatz von Jungpflanzen für den Forstbereich zurückgeht, wie Brinkmann sagt. Für ihn ist wichtig, „von Anfang an dabei zu sein“. Die bestehende Dienstleistungsvergütung mit dem Conti-Labor sei zufriedenstellend. Genauer in die Karten gucken lassen sich die Vertragspartner derzeit aber ebenso wenig wie beim Funktionsprinzip der Extraktionsanlage.

Die Erwartungshaltung in der 13 000-Einwohner-Stadt Anklam derweil ist groß. „Ich bin gespannt, wann der Reifen mit dem Label Taraxagum Anklam auf den Markt kommt“, sagt Sybille Bothmann (55), Sekretärin des Bürgermeisters Michael Galander (Initiativen für Anklam). Das 49-jährige Stadtoberhaupt hofft, dass der Weltkonzern Continental die Forschungs- und Entwicklungsphase in einigen Jahren erfolgreich abschließt. „Es wurde bereits viel erreicht. Ich bin optimistisch, dass in Anklam perspektivisch die weltweit erste industrielle Produktionsanlage für die Gewinnung von Kautschuk aus Löwenzahn errichtet wird.“ Dabei schaut Galander auf die Erfolgsgeschichte der Zuckerrübe, die in der Zuckerfabrik der Peenestadt verarbeitet wird.

Mehr zum Thema: Versuch mit Potenzial – Ein Kommentar

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Volker Penne

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