Zwischen Kondomen, Drogen und Gummibärchen
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Die Schülerinnen und Schüler konnten mit Harald Kothe offen über das Thema Alkohol und andere Süchte sprechen - und über die Freheit ohne Sucht.
© Quelle: Nicole Hollatz
Wismar. Erstaunliche Ruhe in der Sporthalle der Ostsee-Schule in Wismar-Wendorf. „Wenn man bedenkt, dass hier gerade 80 Schüler sind, bemerkenswert! Dann läuft alles richtig“, freute sich Schulsozialarbeiterin Beate Kahns. An den 13 Tischen saßen jeweils fünf, sechs Jugendliche aus Klassenstufe 8 und 9, dazu ein, zwei Erwachsene als Fachleute und Gesprächspartner.
Zwischen Sex, Mobbing, Sucht und Berufsberatung
Sex, Cybermobbing, Süchte, Stress, Homosexualität, Transgender, Berufsberatung, Flüchtlinge und Migration – die Themen waren weit gestreut. Beim „World Café“ der Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit und Aufklärung in Westmecklenburg gab es statt Kaffee und Kuchen Gummibärchen und die Möglichkeit, in kleinen Gruppen ins Gespräch zu kommen. „Gespräche für Toleranz“ ist die Aktion überschrieben, die vor einer Woche auch in Klütz statt fand.
Wie ist das erste Mal Sex? Wie ist es, wenn man merkt, dass Mann auf Männer steht? Oder sich eher wie eine Frau fühlt? Wie ist es, wenn man süchtig ist?
Trockener Alkoholiker berichtet
„Das erste Mal Alkohol hab ich bei meiner Jugendweihe getrunken“, lässt Harald Kothe die Jugendlichen um sich herum grinsen. Sofort kommen die Antworten. Einer lag an dem Tag betrunken in der Küche, ein Mädel hat gekotzt. Und Harald Kothe vom „Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe Wismar“ erzählt weiter. Wie aus der Jugendweihebowle über die Jahrzehnte die Sucht wurde, die sein Leben fast zerstört hat. Er erzählt vom „Hardcoresaufen“, morgens im Garten. Jeden Tag. Betretenes Schweigen bei den Jugendlichen. Sie fragen nach, seit wann ist er „trocken“, wie ist das, abhängig zu sein, woran merkt man das? Und wie er es geschafft hat.
„Alkohol und Drogen machen dein Leben kaputt, du kannst alles verlieren“, sagt Danilo Marquardt (15) nach dem Gespräch.
Offen über alles sprechen
„Wir sprechen heute über die schönste Sache der Welt“, eröffnet Gabriele Drisga von der Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit und Aufklärung das Gespräch am Tisch mit den vielen Kondomen. Die Knutschflecke an den Hälsen der Mädels um sie herum zeigen, das Thema ist wichtig und keineswegs zu früh. So richtig traut sich keiner, Fragen zu stellen. Mit dem Zettel – „Schreibt eure Fragen auf!“ – klappt das eher. Was die Wirkung der „Pille“ verändert, will ein Mädel wissen. Ob Alkohol und die Pille sich vertragen, zum Beispiel. „Wenn du von Alkohol kotzen musst, kann es sein, dass die Pille nicht richtig wirkt“, erklärt Gabriele Drisga. Genauso die Einnahme von Antibiotika. „Dann solltest du zusätzlich mit Kondomen verhüten!“ Weil da im Eifer des Gefechts viel schief gehen kann, gab sie praktische Tipps: Abrollrichtung durch Pusten testen, Luft aus dem Reservoir drücken vor dem „Anlegen“, Festhalten beim Rausziehen.
Stefanie Neetz und Nico Prestin vom Fachdienst Jugend – dem „Jugendamt“ – staunten über die Offenheit der Schülerinnen und Schüler. „Wir versuchen die Angst vor dem Jugendamt zu nehmen, viele denken, das Jugendamt nimmt die Kinder weg. Aber darum geht es nicht, erstes Ziel ist immer die Unterstützung der Familie“, so Nico Prestin. Die Schüler erzählen – anonym natürlich – von den Problemen zu Hause. Von Trennungen und dem Familiengericht.
Sich im Ernstfall Hilfe holen
Der Plan, in den kleinen Gruppen mit unbekannten Fachleuten den Mut für konkrete Fragen zu haben und das offene Gespräch zu suchen, ging auf. „Gibt es bei euch an der Schule Mobbing?“, fragt Jens Strohschein vom Weißen Ring seine jungen Gesprächspartner am Tisch. Alle nicken. Ein Mädel erzählt ausführlich, wie es ihr erging und ergeht. Und wie sie sich Hilfe gesucht hat. „Ist das bei euch an der Schule Thema?“, fragt der Fachmann weiter. Und staunt – nicht wirklich. Obwohl einige Schülerinnen und Schüler von den Mobbingerfahrungen erzählt haben. „Sprecht mit Erwachsenen drüber, wir vom Weißen Ring können euch auch weiter beraten und helfen! Mobbing ist strafbar!“
Nicole Hollatz