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Jubiläum des meistverkauften Albums

40 Jahre Michael Jacksons „Thriller“: Es spielt keine Rolle, ob es schwarz oder weiß ist

Sie veränderten die Popmusik: Michael Jackson (links), sein Produzent Quincy Jones und ein Arm voller kleiner Grammofone. Im Shrine Auditorium in Los Angeles errang Michael Jackson am 28. Februar 1984 acht Grammys für „Thriller“.

Sie veränderten die Popmusik: Michael Jackson (links), sein Produzent Quincy Jones und ein Arm voller kleiner Grammofone. Im Shrine Auditorium in Los Angeles errang Michael Jackson am 28. Februar 1984 acht Grammys für „Thriller“.

„Mama-se, mama-sa ma-ma-coo-sa!“, das sang die ganze Welt, damals, als die vierte Single des Albums „Thriller“ im Frühjahr 1983 in die Charts kam. Latinsilben, Latinrhythmen im Rhythm and Blues – verschärfte Sache. Und spätestens als die ersten Bläser ins synthetische Intro stachen, zog es einen auf die meist von unten bunt beleuchteten Tanzflächen jener Tage. „Wanna be Startin’ Something“ hieß der Song, der erste von neun Tracks auf Michael Jacksons zweitem Solowerk, das von dem vom Jazz kommenden Musiker und Meister­produzenten Quincy Jones produziert wurde. Und – wow! – dieses ganze Album klang tatsächlich wie ein Neustart.

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Mit einer neuen Edition feiert Sony den 40. „Geburtstag“ von „Thriller“

40 Jahre ist es her, dass „Thriller“ erschien. Mit einer neuen Edition des „Biggest selling album of all time“ (rund 70 Millionen verkaufte Exemplare wurden bis 2021 vermeldet, woher das Guinnessbuch der Rekorde schon eine Dekade zuvor die Zahl von 110 Millionen hatte, ist nicht bekannt), feiert die Plattenfirma Sony Music das Jubiläum.

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Der frühere Superstar Michael Jackson erscheint heute so manchem als traurige oder lächerliche Gestalt. Als der zunehmend Weltferne in den frühen Nullerjahren zum zweiten Mal in den Verdacht geraten war, sein Lager mit Kindern zu teilen, fielen auch viele bis dato loyale Fans vom Glauben an ihr Idol ab. Bei den Vorbereitungen auf eine Comeback-Konzertserie in Londons O2-Arena starb Jackson dann am 25. Juni 2009 erst 50-jährig an einer Vergiftung mit dem Narkosemittel Propofol.

„Thriller“ ist zeitlos und unschuldig

Aber wie bei kaum einem anderen Künstler trennte sich mit den Skandalen die Kunst vom Leben. Die Songs von „Thriller“ gelten als zeitlos und unschuldig. Das Wiederhören des sechsten Soloalbums des einstigen Juniors in der Familienband Jackson Five ist denn auch umwerfend. Schon beim ersten Schlagzeugbeat, dem nörgelnden Bass, dem ersten synthetischen Zischen, wirkt der alte Zauber des Übersongs „Billie Jean“. Jede Party jeder Altersgruppe kommt damit in Schwung. Noch heute können DJs damit auf Abibällen die frisch Maturierten problemlos auf die Tanzflächen ziehen.

Michael Jackson holte sich für die Sessions viele weiße Musiker

Denn „Thriller“ ist gemacht für alle – generations- und genreübergreifend. Es ist das erste Black-and-White-Pop/Dance-Album der Popgeschichte. Davon zeugt Jacksons Gästeliste: Die weiße Rockband Toto steuerte mit „Human Nature“ einen Song bei, ihre Musiker verteilten sich über das gesamte Album. Die englische Soul-Songwriter-Eminenz, der „invisible man“ Rod Temperton, brachte mit „The Lady in My Life“ und dem Titelsong gleich zwei Stücke ein.

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Mit Ex-Beatle Paul McCartney als Duettpartner sang Jackson das Liebeslied „The Girl Is Mine“, der weiße Horrorfilm­veteran Vincent Price („Die Fliege“) sprach die gruftige Rede zum Gruselstück „Thriller“, Eddie van Halens Gitarre erhob „Beat It“ zu Heavy Soul. Die Musik war eine genialische Verschmelzung schwarzen R ’n’ Bs mit weißem Synthpop und Rock.

Vorher hatten sich meist weiße Musiker schwarze Musikstile geschnappt

In der Populärmusik des 20. Jahrhunderts hatte es zuvor meist „Übergriffe“ von weißer Seite gegeben, die als kulturelle Aneignung verstanden und zuweilen auch kritisiert wurden. Den Jazz der Afroamerikaner hatten weiße Musiker in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts zunächst mit dem quirligen Dixieland parodiert, bevor sie in den Zwanzigern mit dem Chicago-Stil, auf den auch Benny Goodman seine Karriere aufbaute, eigene Wege beschritten.

Elvis Presley machte nie einen Hehl daraus, dass neben Country vor allem der Gospel und Rhythm and Blues der Schwarzen, die er in seiner Kindheit und Jugend kennengelernt hatte, seinen explosiven Rock-’n’-Roll-Sound und sein aufreizendes Bühnengebaren maßgeblich beeinflusst hatten. Und viele der britischen Bands der Sechzigerjahre machten den Blues der amerikanischen Schwarzen zum Haupt­inspirations­quell der Rockmusik für die nächsten Jahrzehnte.

Das verschaffte Originalmusikern wie John Lee Hooker, Muddy Waters und B. B. King ungefähr ab 1964 eine Aufmerksamkeit, die sie zumindest außerhalb ihres Kulturkreises zuvor nicht gehabt hatten. Im Jahr zuvor hatten die Beatles schwarzen Rock-’n’-Rollern wie Chuck Berry, Little Richard, Fats Domino und Larry Williams eine Renaissance beschert. Es gab keine Feindschaft zwischen den Musikern, die einander zuhörten. B. B. King nannte Eric Clapton einen guten Freund.

Soulmann Ray Charles machte 1962 weißen Country – 14 Wochen an der Chartsspitze

Von Jacksons Seite war als erster Ray Charles gekommen. Der schwarze Urvater des Soul legte 1962 seine „Modern Sounds in Country and Western Music“ vor, und der Einschlag war tief. Charles sang Ted Daffans „Born to Lose“ und Hank Williams’ „Hey, Good Lookin‘“ so, als wären es eigene Songs, und verwies auf das Sentiment von Liebesverlust und Einsamkeit, das die bis dato strikt getrennten Spielarten der Populärmusik einte. Country war damals die weißeste Musik Amerikas, was die Fanbase betraf. Und kein Weißer sang ernsthaft Soul.

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Charles riss diese Grenze für immer ein, das Album, das in der Hochphase der Bürgerrechts­bewegung auf den Markt kam, wurde ein Erfolg bei der Kritik und in den Läden. Es führte 14 Wochen lang die amerikanischen Billboardcharts an, die Hank-Williams-Ballade „I Can’t Stop Loving You“ schaffte es bei den Singles auf Platz eins. Andere schwarze Künstler folgten mit ähnlichen Projekten, das Countrygenre eroberte sich völlig neue Publikums­schichten.

Die Grenzüberschreiter Charles und Jones kannten sich seit Teenagertagen

„Dieses Album hat mehr für die Country Music getan, als es je ein einzelner Künstler vermochte“, äußerte sich Willie Nelson im Sender Country Music Television. Charles und Jacksons Produzent Quincy Jones kannten sich übrigens seit Teenager­tagen: „Ich hätte mir keinen besseren Freund als Ray Charles träumen können“, schrieb Jones vor zwei Jahren bei Instagram. Charles habe ihm klargemacht, „dass Musik ein gigantischer Gumbo ist, den man umrühren muss, nicht etwas, das man in verschiedene Tüten aufteilen kann“.

Und so brachte Quincy Jones schon immer gern Ungewöhnliches zusammen, hatte etwa mit der weißen Jazzsängerin Peggy Lee ein Bluesalbum gemacht und Frank Sinatra mit Count Basie vereint. In Michael Jackson hatte der 1933 Geborene dann den perfekten Partner gefunden, der bereit war, gemeinsam über die Grenze von Soul, Funk und Disco hinauszugehen. „We’re gonna rock the night away“, hatte Jacko schon 1979 im Song „Rock with You“ auf „Off the Wall“ versprochen, seinem ersten Teamwork mit Jones. Gesagt, getan.

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Auch Tina Turners Comeback verbandelte schwarze und weiße Popmusik

Die Sache lag in der Luft. Im selben Jahr wie „Thriller“ hatten die weißen Jackson-Fans Glenn Gregory und Martyn Ware von Heaven 17 für ihr British-Electric-Foundation-Project den Temptations-Hit „Ball of Confusion“ als Synthpop aufgenommen – mit Tina Turner als Sängerin. „Hallo Jungs, wo ist die Band?“ sei ihre erste Frage gewesen, als sie ins Studio nach Sheffield kam, erinnerte sich Glenn Gregory im Gespräch. „Und wir deuteten auf unseren Fairlight-Synthesizer.“

Auf der Ware-Gregory-Version von Al Greens „Let’s Stay Together“, das fast ein Jahr nach „Thriller“ erschien, baute die Ex-Frau von Ike Turner nach langen Jahren im Tingeltangel dann eine der eindrucksvollsten Popsolokarrieren aller Zeiten auf – unter konsequenter Verbandelung schwarzer und weißer Popmusik. Prince war 1985 schon zur Psychedelik vorgedrungen – sein „Raspberry Beret“ klang, als sei er mit den Beatles unterwegs auf „Magical Mystery Tour“.

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Auf „Thriller 40″ thrillen am meisten die neun Originalsongs

Die 40-Jahre-Edition von „Thriller“ lockt nun mit Extras wie schon die vorherige „Thriller“-Jubelausgabe von 2008: Damals rüstete Will.i.ams Rap zu „The Girl Is Mine“ die alte Ballade über Gebühr auf. Der Beat klang unter der Regie des Black-Eyed-Peas-Mitglieds arg nach Romeo in Kettenhemd. Wills Peas-Kollegin Fergie sang arg gepresst auf dem „Beat It“-Remix. Und so weiter. Zum 40. gibt es eher mittelmäßige Demos von „What a Lovely Way to Go“, „She’s Trouble“ und „The Toy“, die Jackomaniacs natürlich trotzdem benötigen. Einen „Billie Jean“-Remix von – ausgerechnet – Kanye West gibt es auf der nur digital erhältlichen Deluxe-Edition auch – und einiges mehr. Allerdings: Nichts davon thrillt so wie die neun Originalstücke.

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Michael Jackson ging den einmal eingeschlagenen Weg weiter – und ließ bei „Dirty Diana“ (1987; Gitarre: Steve Stevens) und bei „Black or White“ (1991; Gitarre: Slash von Guns N’ Roses) auch wieder rocken. Aber schon bei „Bad“ (1987), dem Nachfolgewerk und letzten Teamwork mit Jones, war die Weltenschmelze musikalischer Popstandard. Michael Jackson musste sich jetzt mit all den anderen messen, die es ihm nachgetan hatten. Ein Album wie „Thriller“ ist ihm zeitlebens nicht mehr geglückt.

Michael Jackson – „Thriller 40″ auf zwei CDs, Deluxe-Version nur digital (Sony).

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