Herbe Rückschläge bei Abozahlen für Netflix: die Arroganz der Macht
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Das Logo von Netflix.
© Quelle: imago images / MiS
Es klingt wie das abrupte Ende einer Erfolgsstory: Viele Jahre lang war Netflix unangefochtener Marktführer. Der Vorsprung des amerikanischen Streamingdienst-Pioniers, der 2007 mit dem Abruf von Filmen und Serien übers Internet eine höchst lukrative Marktlücke entdeckt hat, schien uneinholbar. Als während der Corona-Pandemie die Kinos schließen mussten, sorgte dies für einen regelrechten Boom. Zwar konnte sich auch die Konkurrenz von Amazon Prime Video und Disney+ über großen Kundschaftszuwachs freuen, aber Netflix zog weiterhin einsam seine Bahn.
In den letzten Monaten musste das Unternehmen, mit weltweit rund 220 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten nach wie vor Marktführer und zwischenzeitlich an der Börse 300 Milliarden Dollar wert, jedoch empfindliche Rückschläge verkraften: Die Zahl der Kündigungen ist zum ersten Mal größer als die der Neukundinnen und ‑kunden, der Aktienkurs ist abgestürzt.
Netflix ergeht es ähnlich wie vielen erfolgreichen Pionieren der Wirtschaftsgeschichte. Streamingexperte Marcus S. Kleiner, Autor des Buches „Streamland“ (Droemer-Verlag), spricht von einer „typischen Arroganz der Macht: Man hat Erfolg und ruht sich darauf aus.“ Nun zeigt sich, dass der Konzern keinen Plan B hat. Die ersten Reaktionen lassen eine gewisse Panik erahnen: Netflix will seinen Kundinnen und Kunden verbieten, die Zugangsdaten an Menschen außerhalb des eigenen Haushalts weiterzugeben (was offenbar knapp die Hälfte der Abonnenten tut), und denkt über ein günstigeres Alternativangebot nach, das Werbung enthält.
Für Kleiner, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der SRH Berlin University of Applied Sciences, wäre dies „der Anfang vom Ende. Werbeunterbrechungen würden das Alleinstellungsmerkmal auslöschen, denn dann hat man wieder Fernsehen.“ Im deutschsprachigen Raum hat Netflix elf Millionen Abonnenten; zumindest hierzulande hält sich das Interesse an einem günstigeren Angebot mit Werbung in Grenzen.
„Netflix ist zu einer Art Resterampe verkommen“
Das Unternehmen hat noch ein weiteres Problem: Anders als Disney+ kann Netflix nicht mit weltberühmten Marken wie „Star Wars“ oder dem Marvel-Universum („Avengers“) aufwarten. Das räche sich jetzt, sagt Kleiner: „Der Markeninhalt von Netflix waren die sogenannten Originals, hochwertige Produktionen, die exklusiv für den Dienst produziert worden sind; aber das bieten Amazon Prime und Disney+ längst ebenfalls.“ Inhaltlich sei man derzeit ohnehin nicht gut aufgestellt: „Netflix ist zu einer Art Resterampe verkommen und steht nicht mehr wie bisher für Innovation. Momentan hat es den Anschein, als sei man erschöpft und in ein kreatives Loch gefallen.“
An ein Ende des Streamingbooms glaubt Kleiner allerdings nicht: „Die Streamingdienste werden ihre Position als Leitmedium nicht mehr hergeben. Wir leben dank Corona endgültig in einer Welt, in der die Menschen daran gewöhnt sind, jederzeit alles auf Abruf ordern zu können.“ Netflix und Co. hätten ihr Potenzial in der Pandemie konsequent ausgeschöpft, aber „wie können sie sich weiterentwickeln, welche Zusatzangebote könnten sie ihren Kunden unterbreiten?“ Amazon Prime überträgt unter anderem Spiele der Champions League; Sport ist für Netflix nach eigenem Bekunden kein Thema.
Im Konzern hat man bereits anklingen lassen, dass die Zeiten der eindrucksvollen Investitionen wohl vorbei sind. Dies sowie die zugesagte künstlerische Freiheit waren jedoch die Gründe, warum man Hollywoodgrößen wie Martin Scorsese gewinnen konnte. Auch hierzulande sind im Auftrag von Netflix einige herausragende Produktionen entstanden, darunter grimmepreisgekrönte Serien wie „Dark“ und „How to Sell Drugs Online (Fast)“; gut möglich, dass die Regietalente fortan lieber für Amazon arbeiten.
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