Den Letzten beißen die Zombies: Das Ende der Endlosserie „The Walking Dead“ ist da
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Auch für Daryl ist „The Walking Dead“ vorbei, aber er bekommt eine Spin-off-Serie. Szene mit Norman Reedus aus der elften Staffel der Endzeitserie. Photo Credit: Josh Stringer/AMC
© Quelle: Disney+
Die Fans haben sich an diese fiktive Welt gewöhnt. Eine Welt, in der die öffentliche Ordnung zusammengebrochen ist. In der eine Pandemie alles ins Chaos gestürzt hat. Das Virus weckt die Toten wieder auf, die nimmermüde und immerhungrig durch die Endzeit taumeln, um sich an allem Lebenden zu nähren.
Als „The Walking Dead“ 2010 begann, produzierte die Serie bei vielen ein wohliges Erschauern – angesichts derer, die das Weltende überlebt hatten und damit klarkommen mussten. Und man grinste über jene Spinner der Wirklichkeit, die sich narren ließen und Überlebenskeller mit Lebensmitteln und Wehrmitteln vollstopften, weil sie allen Ernstes eine Zombieapokalypse befürchteten.
Schuld war wohl der Realismus im Irrwitz: Der Mensch wurde in Frank Darabonts („The Green Mile“, „Die Verurteilten“) Serie nach den Comics von Robert Kirkman, Tony Moore und Charlie Adlard zur Ausnahme, zur bedrohten Spezies, zur Legende. Und die Zombies weckten alte Instinkte im Homo sapiens sapiens, der mit all seinen Irrungen und Wirrungen zunehmend auch des Menschen Wolf wurde.
Zwei Cops an der Grenze von Verdammnis und Verstand
In den ersten Staffeln der Serie hatten es die Moralisten schwer, wurden die Versprengten unter Führung der zerstrittenen Cops Rick (Andrew Lincoln) und Shane (Jon Bernthal) an die Grenze von Verdammnis und Verstand geführt. Auf einer Farm fanden sie zunächst Zuflucht, das Idyll auf dem Lande war jedoch nie, was es schien (was auch für all die folgenden Idylle galt). Aller Splatter blutete dabei nie die Story zu, die schlurfenden Bataillone Untoter waren nur der Thrill zur Tragödie des Überlebens. Realismus und Pathos in apokalyptischer Balance, ein Fest für Genrefans, eine Warnung, das alles könne passieren, für Leichtgläubige.
Nach Flüchtlingskrise eins, Brexit, Trump, Einzug faschistoider Gruppen in immer mehr Parlamente, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg mit Flüchtlingskrise zwei, Weltwirtschaftswanken und dem Klimawandel, der auf die Unumkehrbarkeit zueilt, während alle Welt damit beschäftigt ist, dem Wahnsinn eines russischen Diktators Einhalt zu gebieten, spürt man allerdings Beben im Bauch der Zeit. Sicher ist nur die Unsicherheit. Die Anarchie ist immer nur drei Mahlzeiten entfernt. Es ist einem beim Postarmageddon von „The Walking Dead“ ein bisschen mulmiger, auch wenn man eins weiß: Tote bleiben in ihren Gräbern.
Ein letzter großer Angriff der Untoten in der finalen Folge
Das große Fressen zum Schluss – die letzte Episode der letzten Staffel ist jetzt streambar. Die Untoten begraben zum Abschied noch einmal die Lebenden unter sich. Manchmal gibt es Rettungen in letzter Sekunde, manchmal wird ein infizierter Arm in letzter Sekunde amputiert. Manchmal aber werden die Letzten in die Schulter gebissen und dann bleiben nur Tränen. In letzten Folgen letzter Staffeln sind auch Helden nicht gegen den Untergang gefeit. Schon in den ersten Minuten der finalen Episode von „The Walking Dead“ stirbt einer von den Guten.
Und eine andere Figur ist am Rande des Todes, braucht eine Bluttransfusion, aber die Ärztin hat den Commonwealth verlassen, der nur eine weitere Zivilisationslüge war – ein kleines Reich mit einer Gouverneurin, die über Leichen ging, und Söldnern, die aussahen wie aus „Das Imperium schlägt zurück“ und auf Befehl auf Unschuldige schossen. Die größte Szene des Finales ist ein Monolog über Vergebung zwischen zwei Protagonisten, den man für unmöglich hielt und der zu den bewegendsten Momenten der gesamten Serie zählt.
Die Helden kennen das „Rezept“ für die künftige Welt
Der frühere „König“ Ezekiel, der mal einen Tiger hatte und immer noch beeindruckende Rastalocken hat, hält ein Plädoyer für die Solidarität unter Menschen – und das trotz aller gemachten Erfahrungen. Biker Daryl weiß, dass die Welt keine Version 2.0 der vorherigen Welt benötigt, keine kleine Kopie des Alten, wie es der Commonwealth war. „Wir haben einen Feind. Wir sind nicht die wandelnden Toten“, sagt er. Und dann beginnt das letzte Gefecht. Die Serienmacher schicken noch eine imposante Herde von Beißern vor die Kamera, und die Maskenbildner erschaffen noch einmal die perfekte Illusion einer unüberwindbaren Masse von Monstern, denen mit den Kategorien Gut und Böse nicht beizukommen ist.
Die Musik rettet dann alles, genauer Living Colours funkrock-‘n‘-rolliger Song „Cult of Personality“. Denn Persönlichkeit fehlt den Untoten noch, wo das mutierte Virus ihnen zuletzt zumindest motorische Extras erlaubte. Und so begehen sie eine – insofern sich das bei ihrer Sorte überhaupt sagen lässt – Dummheit. Der Abschied fällt dann nicht ganz so schwer wie der von anderen langlebigen Serien wie „Friends“ oder „Dallas“ oder als die Cartwrights vor langer, langer Zeit zum letzten Mal in „Bonanza“ über ihre Ponderosa ritten.
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In Zeiten des Sequels wohnt jedem Ende – solange die Zahlen noch stimmen – ein Anfang inne. In den USA waren in der letzten Staffel beim Sender AMC nur noch 2 Millionen pro Episode dabei – die Premiere der Serie hatte 2010 ein Publikum von spektakulären 5,35 Millionen Zuschauern gehabt, der Gipfel waren 17,29 Millionen zur Premiere der fünften Staffel gewesen.
Der erzählerische Tiefpunkt der Serie, die in Deutschland beim Streamingdienst Disney+ zu sehen ist, lag in der siebten Staffel, die Monotonie des Immerselben ließ das Interesse erlahmen, problematisch war noch der Kavallerieeffekt – wichtige Charaktere wurden nicht mehr geopfert, sondern selbst in ausweglosester Situation gerettet, nachdem der brutale Tod des Publikumslieblings Glenn (Steven Yuen) die Fangemeinde erschüttert zurückgelassen hatte.
Erzählerisch erholte sich die Serie unter Showrunnerin Angela Kang
Unter der vorzüglichen Showrunnerin Angela Kang erholte sich „The Walking Dead“ in Sachen Story. Nicht aber bei den Zahlen. Die sind indes immer noch ausreichend, um anders weiterzumachen. Das Motto „Niemals stirbt man so ganz“ gilt nicht nur für die Menschen der „Walking Dead“-Sphäre. Sondern auch für das Franchise.
„Du verdienst ein Happy End, Onkel Daryl“, sagt die kleine Judith am Ende dem Mann mit der Armbrust, der in die Wildnis ziehen will. „I‘ll be back“, antwortet der passend, denn er ist durch Sachen gegangen, die sonst nur Terminatoren überleben. Das Happy End muss sich aber noch gedulden, wir werden Daryl (nicht aber seine beste Freundin Carol) in einer Folgeserie wiedersehen, das war schon länger klar. Und, so heißt es, auch die schmerzhaft vermissten Rick (Judiths Vater) und Michonne bekommen ein Spin-off. Sie sind noch am Leben, irgendwo da draußen.
Ewig beißen die Zombies. Aber „Wir sind die, die leben“, lautet der letzte Satz.
„The Walking Dead“, elfte und letzte Staffel, 24. und letzte Episode, von Angela Kang, mit Norman Reedus, Melissa McBride, Lauren Cohan, Josh McDermitt, Eleanor Matsuura, Danai Gurira, (streambar bei Disney+)