SPD-Kriminalexperte: Hamburger Amoktäter wurde nicht ausreichend überprüft
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Eine Polizistin und ein Polizist stehen auf der Straße vor dem „Königsreichssaal“ der Zeugen Jehovas.
© Quelle: IMAGO/Hanno Bode
Hamburg. Nach dem brutalen Amoklauf in Hamburg mit acht Toten hat Sebastian Fiedler, kriminalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Kritik an den Sicherheitsbehörden geübt. In einem Interview mit dem ZDF sagte er, die Polizei habe mögliche Hinweise auf den potenziellen Amoklauf von Philipp F. nicht ausreichend geprüft.
In seinem Buch und auf seiner Website habe der Täter öffentlich seine krude Weltanschauung ausgebreitet. „Wenn nicht nur die Überprüfung vor Ort stattgefunden hätte, sondern man auch diese öffentlich zugänglichen Informationen zurate gezogen hätte, dann hätte das Gesetz eine ausreichende Handlungsgrundlage geboten, um ein psychologisches Gutachten einzufordern“, so Fiedler. Man müsse hingucken, warum die Sicherheitsbehörden nicht auf diesen Punkt gekommen seien, sagte der Kriminalexperte.
Philipp F. war am Donnerstagabend in einen „Königreichssaal“ der Zeugen Jehovas gestürmt und erschoss dort acht Menschen, darunter ein Ungeborenes im Mutterleib, und sich selbst. Der Täter war Sportschütze. Am Freitag war dann bekannt geworden, dass er zuletzt am 7. Februar von der Polizei überprüft worden war. Philipp F. sei kooperativ gewesen und habe die waffenrechtlichen Vorschriften, etwa die Aufbewahrung der Waffe im Tresor, erfüllt. Lediglich eine Patronenhülse habe auf statt im Tresor gelegen, hieß es. Anhaltspunkte für psychische Erkrankungen habe es nicht gegeben.
Amokschütze war ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas
Laut Polizei starben bei den Schüssen in einem Gemeindehaus acht Menschen, darunter auch der mutmaßliche Täter sowie ein ungeborenes Kind.
© Quelle: Reuters
Täter veröffentlichte wirres Buch
Sein knapp 300 Seiten langes, in teils holprigem Englisch geschriebenes Buch ist hingegen eine extrem wirre Mischung aus theologischen Exegesen und Managementsprache. Laut F. sind sowohl die Corona-Pandemie als auch der Ukraine-Krieg göttliche Strafen. Geradezu besessen ist F. vom Thema Prostitution. Diese müsse überall bekämpft werden. Gott bediene sich der russischen Armee, um das Volk der Ukraine zu bestrafen, da Ukrainerinnen im Heiligen Land als Sexarbeiterinnen tätig gewesen seien. Gott hasse zudem Homosexualität, schreibt F.
Seine Ausführungen zu Frauen, Familie und Ehe verorten den alleinstehenden 35-Jährigen im Bereich der Incel-Ideologie: Frauen hätten sich dem Mann unterzuordnen und eine „dekorative Rolle“ einzunehmen, selbstständige Frauen handelten gegen Gottes Willen. Das Buch ist in der Nacht zu Samstag von der Plattform des Internetriesen Amazon entfernt worden und nicht mehr erhältlich.
Dass Sportschützinnen und ‑schützen als Konsequenz der Amoktat in Hamburg ihre Waffen nicht mehr zu Hause, sondern nur noch in ihren Vereinsheimen aufbewahren dürfen, hält Fiedler unterdessen für „keine kluge Idee“. „Das würde bedeuten, dass wir eine Bündelung von Schusswaffen und Munition hätten. Dann müssten wir quasi Hochsicherheitsräume schaffen in diesen Sportvereinen.“ Dies würde ganz neue Sicherheitsrisiken schaffen. Die strengen Vorgaben für Sportschützinnen und ‑schützen müssten stattdessen viel besser kontrolliert und umfassender werden, so der Kriminalexperte weiter.
Unterdessen wurde bekannt, dass laut bayerischem Innenministerium bei Philipp F. keine Hinweise auf eine frühere Drogenauffälligkeit gebe. Das teilte ein Sprecher des Ministeriums am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Es gebe keinen entsprechenden Eintrag bezüglich Drogendelikten. Zuvor hatte es Berichte über einen möglichen Drogenmissbrauch von Philipp F. in der Vergangenheit gegeben. Der 35-Jährige stammt aus Memmingen in Bayern und war seit 2015 in Hamburg gemeldet.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will den Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes nun noch einmal prüfen. Man müsse sicherlich noch mal „an das Gesetz gehen und schauen“, ob es noch Lücken gebe, sagte sie am Freitag den ARD-„Tagesthemen“.
Amokschütze war früher Mitglied der Zeugen Jehovas
Laut Polizei starben bei den Schüssen in einem Gemeindehaus acht Menschen, darunter auch der mutmaßliche Täter sowie ein ungeborenes Kind.
© Quelle: Reuters
Im Waffengesetz solle beim Antrag auf eine Waffenbesitzkarte künftig überprüft werden, „ob jemand psychologisch geeignet ist“. Dazu brauche man eine Überprüfung durch die Gesundheitsbehörden, so Faeser. „Wir wollen vor allen Dingen eine bessere Vernetzung zwischen den Behörden.“ Das sei zum Beispiel bei einem Wohnortwechsel wichtig.
Bei der ersten Erteilung einer solchen Karte solle es ein ärztliches Attest geben. Alle Sportschützinnen und ‑schützen in Deutschland ohne Hinweise regelmäßig zu untersuchen wäre aus Faesers Sicht aber sehr schwierig. „Es sollte natürlich in Maßnahmen auch verhältnismäßig sein.“ Die furchtbare Tat in Hamburg zeige aber, wie notwendig Änderungen im Waffengesetz seien.
RND/ag/jsp/dpa