„Es ist befremdlich, dass Deutsche eritreischer Abstammung diese Diktatur feiern“
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Bei Ausschreitungen am Samstag in Stuttgart haben nach Polizeiangaben 200 Personen die Teilnehmer der Veranstaltung von Eritrea-Vereinen und Polizisten mit Steinen, Flaschen und Holzlatten angegriffen.
© Quelle: Jason Tschepljakow/dpa
Frau Hirt, warum zeigt sich der eritreische Konflikt nun schon zum zweiten Mal in solch heftiger Form in Deutschland? Schon im Juli kam es zu Ausschreitungen in Gießen.
Diese Ausschreitungen finden derzeit nicht nur in Deutschland statt, es gab sie auch in der Schweiz, in Norwegen, in Israel, in Kanada. Die eritreische Gesellschaft ist gespalten. Es gibt einerseits die Diaspora, das sind Flüchtlinge aus Eritrea, die zwar eritreischer Abstammung sind, aber überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit haben. In dieser Gruppe gibt es viele, die das diktatorische Regime Eritreas unterstützen. Sie sind in Vereinen organisiert, wie es bei der Veranstaltung in Stuttgart am Wochenende der Fall war, oder sie organisieren Festivals wie im Sommer in Gießen.
Sie leben also schon länger in Deutschland.
Die Eritreer, die schon länger hier sind, sind in den 1980er-Jahren während des Unabhängigkeitskriegs von Äthiopien geflüchtet. Viele davon haben mit der damaligen Befreiungsfront sympathisiert, die seit 1991 die Regierung stellt. Diese Organisationsstrukturen bestehen fort.
Hinzu kommen nun Eritreer, die vor allem in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen.
Das eritreische Regime hat sehr viele Flüchtlinge hervorgebracht. Die jungen Menschen, die jetzt auf Demos gegen diese Veranstaltungen vorgegangen sind, sind oft vor diesem Regime geflüchtet. Sie haben hier Asyl bekommen, weil sie vor politischer Unterdrückung geflohen sind. Sie treffen jetzt auf die Regimeunterstützer im Ausland, zum Beispiel in Deutschland.
Zahlreiche Verletzte bei Konfrontationen zwischen Polizei und Eritreern in Tel Aviv
In Tel Aviv demonstrieren Hunderte Gegner der eritreischen Regierung gegen eine Veranstaltung in der Botschaft des ostafrikanischen Landes.
© Quelle: dpa
Warum sind die Menschen seit 2014 verstärkt aus Eritrea geflohen?
Das Land hat keine Verfassung, es wird seit 30 Jahren von demselben Präsidenten regiert, der niemals Wahlen abgehalten hat. Es gibt einen wohl weltweit einzigartigen Nationaldienst, der zeitlich unbefristet ist. Alle ab 18 Jahren müssen im Militär oder in zivilen Tätigkeiten arbeiten, ohne Geld zu verdienen. Es ist also systematische Zwangsarbeit. Es gibt keinerlei Bürgerrechte. Man kann wirklich sagen: es ist eine Art Hölle auf Erden. Das hat eine Massenflucht aus dem Land verursacht.
In Deutschland leben etwa 75.000 Eritreerinnen und Eritreer. So viele, wie nirgendwo sonst in Europa.
Nur ein ganz kleiner Teil der Menschen, die geflüchtet sind, kommen überhaupt in Europa, geschweige denn in Deutschland an. Die meisten bleiben im Sudan, in Äthiopien, manche gehen auf die arabische Halbinsel. Eritrea ist eine der schlimmsten Diktaturen der Welt und deshalb ist es eben befremdlich, dass Deutsche eritreischer Abstammung diese Diktatur feiern.
Auf eben jenem sogenannten Eritrea-Festival in Gießen oder zuletzt in Stuttgart, wo sich mehrere Vereine trafen.
Das ist nichts Neues, die gibt es schon seit den 80er-Jahren. Es gibt auch in der Diaspora Eritreer und Eritreerinnen, die friedlich gegen diese Festivals protestiert haben, weil dort zum Teil auch Gewalt propagiert wird. Die neue Komponente ist, dass die Geflüchteten im Moment instrumentalisiert werden und zu gewaltsamen Mitteln greifen. Wobei schwer zu sagen ist, wer da eigentlich hinter steckt. Ich glaube, dass viele von denen an die Front geschickt werden, ohne dass dabei eine politische Botschaft rüberkommen würde.
Es ist eine Art Hölle auf Erden.
Nicole Hirt
Research Fellow am Giga Institut für Afrikastudien
Warum werden sie dabei aber so gewalttätig, auch gegen Polizisten?
Man kann es sich teilweise so erklären, dass es Geflüchteten sind, die zum Teil in Eritrea fürs Militär zwangsrekrutiert, ohne Verfahren inhaftiert und gefoltert wurden. Die haben eine furchtbare, traumatische Flucht hinter sich nach Libyen, durch die Sahara, dann mit dem Boot nach Deutschland – und jetzt treffen sie auf Eritreer mit deutscher Staatsbürgerschaft, die quasi den Diktator verherrlichen. Dadurch ist ein latentes Aggressionspotenzial vorhanden.
Man hört häufig, dass die gewaltsamen Proteste über die sozialen Medien organisiert werden.
Diese Organisation ist auch eine neue Qualität: dass über Social Media Aufrufe zu den Veranstaltungen durchgegeben werden von verschiedenen Seiten. Es wird zudem finanziert, dass die Leute dort hingebracht werden, manche sind zum Beispiel aus der Schweiz angereist. Ich kann Ihnen ehrlich gesagt noch nicht abschließend sagen, wer das organisiert. Es gibt schon lange eine eritreische Opposition, die aber über all die Jahre immer friedlich gegen das Regime in Asmara Krieg protestiert hat.
Nun wird ebenfalls diskutiert, ob Politik und Behörden Lehren aus dem Vorfall aus Gießen hätten ziehen können. Andererseits sehen die Organisatoren ihr Versammlungsrecht gefährdet.
Ich bin keine Polizeiwissenschaftlerin, aber bisher ist die Strategie der Polizei nicht aufgegangen. Vielleicht liegt es auch an diesem Gewaltpotenzial. Das andere ist ein juristisches Problem. Wir haben natürlich Veranstaltungsfreiheit, klar. Und diese eritreischen Vereine, die sich jetzt in Stuttgart getroffen haben, sind eben eingetragene Vereine, denen man Treffen nicht so leicht verbieten kann. Ich fände es wichtig, dass die deutsche Justiz sich mehr mit der Frage auseinandersetzt, ob es legal ist oder nicht, wenn deutsche Staatsbürger eritreischer Abstammung, die explizit ein diktatorisches Regime unterstützen und dafür Spenden sammeln, Veranstaltungen organisieren, auf denen zum Teil auch Hassreden stattfinden.
Gleichzeitig sind die Protestierenden die Leidtragenden, weil sich dadurch die geballte Ausländerfeindlichkeit in diesem Land gegen diese Flüchtlinge richtet.
Nicole Hirt
Research Fellow am Giga Institut für Afrikastudien
Die Vereine wiederum argumentieren, sie stellten ihre Kultur in den Mittelpunkt.
Das ist definitiv nicht der Fall. Es handelt sich um Propagandaveranstaltungen. In Gießen waren etwa eritreische Regierungsvertreter anwesend. Kulturvereine werden gegründet, weil es dafür eben auch Zuschüsse von Kommunen gibt. Sie haben sich schon immer unpolitisch gegeben und wollen nun profitieren, indem sie sich als Unschuldslämmer geben und die Opposition verteufeln.
Zeigt sich in Deutschland eine Art Generationenkonflikt – alte Unabhängigkeitskämpfer gegen junge Diktaturgegner?
Es ist nur in Teilen ein Generationenkonflikt. Es ist ein Konflikt zwischen Diaspora und Geflüchteten. Die Diaspora, das sind die, die hier ein Bleiberecht haben, meistens Eingebürgerte. Es gibt eine zweite Generation, die hier in Deutschland geboren ist, die auch politisch gespalten ist: Manche interessieren sich nicht für Politik, andere sind in Jugendbewegungen des Regimes oder in der Opposition. Die Menschen, die in Eritrea leben, führen ein diametral anderes Leben als die Eritreer, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland sind. Letztere sind beruflich integriert, zum Teil schon in Rente – und die anderen sind eben die Opfer des Regimes.
Was glauben Sie, wie es mit dem Konflikt hier weitergeht? Wird sich der Gegenprotest verstärken?
Es gibt nun ein gewisses Hochgefühl, dass nach jahrelanger Ohnmacht diese jungen Leute vielleicht sagen: Wir können jetzt mal agieren und haben eine Art Handlungsfähigkeit. Aber gleichzeitig sind sie die Leidtragenden, weil sich dadurch die geballte Ausländerfeindlichkeit in diesem Land gegen diese Flüchtlinge richtet und die Diskussion um sofortige Abschiebung auflebt. Die Sicherheitskräfte in Deutschland werden sich vielleicht neue Strategien überlegen oder Gespräche führen, vielleicht mit Integrationsbeauftragten, wie man mit dem Problem umgeht. Ich denke, es wird nicht so schnell weggehen.