Beratungen über das Wahlrecht: Darum geht es am Freitag im Bundestag
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Die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag soll verringert werden. (Symbolbild)
© Quelle: IMAGO/Christian Spicker
Die Bundestagsabgeordneten beraten am Freitag erstmals im Plenum über die angestrebte Wahlrechtsreform der Ampelkoalition. SPD, Grüne und FDP wollen mit ihrem Gesetzentwurf den Bundestag wieder auf seine vorgesehene Größe von 598 Abgeordneten verkleinern. Aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten sitzen aktuell aber 736 Abgeordnete im Bundestag – so viele wie noch nie.
Schluss mit Überhang- und Ausgleichsmandaten
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich an Sitzen zustehen. Weil eine hohe Zahl an Überhangmandaten das Wahlergebnis verzerren kann, gibt es bislang für jedes Ausgleichsmandate für die anderen Parteien – und zwar so viele, dass die Sitzverteilung dem Wahlergebnis nach Zweitstimmen entspricht.
Die Ampel will Überhang- und Ausgleichsmandate nun komplett abschaffen. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass in einem Wahlkreis direkt gewählte Abgeordnete keinen Sitz im Bundestag erhalten werden und somit der Wahlkreis nicht repräsentiert wird.
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In der Unionsbundestagsfraktion hat der Ampelplan große Nervosität ausgelöst. Insbesondere die CSU müsste Federn lassen, weil sie fast nur über Direktmandate in den Bundestag einzieht, einige davon aber nicht durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sind. Deswegen erhält sie Überhangmandate, die nun gestrichen werden sollen. Manch einer in der CDU unkt, die Christsozialen hätten sich ihre aktuelle Lage selber eingebrockt. Es war vor allem die CSU, die in den vergangenen beiden Wahlperioden eine umfassende Reform verhindert hatte.
Nun versucht sich die Union in Schadensbegrenzung. Am Freitag will die Fraktion einen Antrag in den Bundestag einbringen. Der Entwurf liegt dem RND vor. „Ein Modell, bei dem den in den Wahlkreisen durch die Erststimme direkt gewählten Kandidatinnen und Kandidaten nur dann ein Mandat zugeteilt wird, wenn und soweit dieses von dem durch die Zweitstimmen ermittelten Parteienproporz gedeckt ist, schmälert die Bedeutung der Wahlkreisabgeordneten erheblich“, kritisiert die Fraktion in dem Papier.
So schlägt die Union vor, die Anzahl der Wahlkreise auf 270 zu reduzieren und die Regelgröße für Listenmandate auf 320 zu erhöhen. Weiter drängt die Union darauf, die Anzahl der unausgeglichenen Überhangmandate auf die verfassungsrechtlich zulässige Anzahl zu erhöhen. Damit würden eine Reihe von Ausgleichsmandaten wegfallen. Die Mandate aber nicht mehr auszugleichen würde dazu führen, dass das Zweitstimmenergebnis verzerrt wird, zugunsten der Union. Die Fraktion schlägt zudem vor, bei der Verteilung der Sitze nur Parteien zu berücksichtigen, die 5 Prozent erhalten haben oder wenn sie mindestens in fünf Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Aktuell sind es drei Direktmandate. Nach dieser Regel wäre die Linksfraktion bei der letzten Bundestagswahl nicht eingezogen, weil sie die 5-Prozent-Marke verpasst und nur drei direkte Mandate erlangt hat.
Werden Jüngere und Frauen benachteiligt?
Die Fraktionen von SPD, Grüne und FDP haben bereits für den Koalitionsvorschlag gestimmt. Doch es gibt auch in der Ampel die Sorge, dass Jüngere und Frauen durch die Reform benachteiligt werden könnten, weil sie bei manchen Parteien eher auf den hinteren Listenplätzen aufgestellt werden. Nach Berechnungen von „Zeit Online“ säßen einige Bundestagsnewcomer nicht im Parlament, wäre die Reform schon zur vergangenen Wahl umgesetzt worden.
Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth reißt noch ein anderes Thema an: Sie forderte, bei der Änderung des Wahlrechts auch für besseren Zugang von Frauen zu den Parlamenten zu sorgen. „Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Verkleinerung des Bundestags blendet die Beseitigung der jahrzehntelangen Unterrepräsentanz von Frauen im Deutschen Bundestag aus“, sagte Süssmuth dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Entsprechende Erwartungen von Frauen würden „schlichtweg ignoriert.“
Auch die frühere parlamentarische Staatssekretärin Elke Ferner, die als Mitglied der Wahlrechtsreformkommission den Bundestag beraten hatte, forderte Nachbesserungen: „Es ist enttäuschend, dass keine Bundestagsfraktion Paritätsregelungen im Wahlgesetz vorschlägt, obwohl umsetzbare Optionen vorhanden sind“, sagte Ferner dem RND. Im parlamentarischen Verfahren muss jetzt nachgebessert werden. In einem Eckpunktepapier, das dem RND vorliegt, schlägt deren Initiative „Parität Jetzt!“ vor, Direkt- und Listenmandate künftig paritätisch zwischen Männern und Frauen aufzuteilen.
Der Unionsfraktionsmanager Thorsten Frei bekräftigte das Ziel der Union, die Abgeordnetenzahl zu verringern. Es dürfe jedoch nicht sein, „dass der Gewinner eines Wahlkreises nicht ins Parlaments einziehen kann. Alles andere käme einer Missachtung des Wählerwillens gleich“, sagte Frei dem RND. Es sei daher gut, wenn es noch Gespräche zwischen Union und Ampel gebe.
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Einen interfraktionellen Kompromiss forderte der Bund der Steuerzahler. „Ziel muss sein, die Glaubwürdigkeit der Politik zu stärken! Das bedeutet, ein Wahlrecht mit breiter parlamentarischer Mehrheit zu beschließen, das verfassungsfest ist und nicht vor dem Bundesverfassungsgericht landet“, sagte Präsident Reiner Holznagel dem RND. „Deshalb fordere ich alle Fraktionen dazu auf, an einem Strang zu ziehen und das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt mit 736 Abgeordneten deutlich zu reduzieren!“
Holznagel forderte eine Obergrenze für die Anzahl der Mandate. „Das komplizierte Wahlrecht mit seinen Überhang- und Ausgleichsmandaten muss durch eine feste Mandats-Obergrenze wieder berechenbar werden, damit der Wähler bereits bei seiner Stimmabgabe weiß, wie groß der Bundestag nach der Wahl sein wird.“
Sollten Union und Ampel sich allerdings in den Gesprächen nicht einigen können, dürfte die Ampel das Gesetz mit ihrer Mehrheit durch den Bundestag bringen. Die CSU will es dann vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.