Bundesregierung: Gewalt von Polizisten wird nicht erfasst
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Ein Streifenwagen der Polizei auf dem Weg zu einem Einsatz.
© Quelle: imago images/Ralph Peters
Berlin. Die Bundesregierung erfasst im Gegensatz zu Fällen rechtswidriger Gewalt gegen Polizisten keine Daten über rechtswidrige Gewalt von Polizisten. Das geht nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, hervor.
Demzufolge seien 2019 insgesamt 72 Polizeivollzugsbeamte Opfer von Tötungsdelikten geworden – wobei es sich “bei allen Delikten um Versuche” gehandelt habe. Im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei seien im Jahr 2017 drei Personen durch Schusswaffengebrauch verletzt worden.
Zugleich heißt es in der Antwort: “Eine systematische Registrierung und Auswertung von Berichten über mutmaßliche rechtswidrige Polizeigewalt findet nicht statt.” Eine Beantwortung von Mihalic' Frage “wäre mithin nur durch eine händische Auswertung möglich”. Diese sei aus personellen Gründen nicht machbar.
Anzeigen zum Teil erfasst
Teilweise erfasst sind Anzeigen wegen rechtswidriger Polizeigewalt. Beim Bundeskriminalamt war die Zahl dieser Anzeigen von 2017 bis 2019 laut Antwort gleich null. Die Zollverwaltung zählte in demselben Zeitraum sechs Anzeigen. Die Bundespolizei erfasst gegen ihre Beamten erstattete Strafanzeigen im Allgemeinen, aber keine Anzeigen wegen rechtswidriger Gewalt im Besonderen.
Auf die Frage der Grünen-Politikerin, wie viele Fälle von polizeilichem Fehlverhalten gegenüber Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen drei Jahren bei den Polizeibehörden des Bundes intern gemeldet worden seien und wie damit umgegangen worden sei, schreibt das Ministerium: “Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.”
Mihalic: Erschreckend, dass die Bundesregierung so wenig Interesse zeigt
Mihalic sagte dem RND: “Es ist erschreckend, dass die Bundesregierung so wenig Interesse zeigt, sich über solche Fälle genauer zu informieren – schließlich ist die Polizei Trägerin des Gewaltmonopols und hat eine besondere gesellschaftliche Aufgabe. Da reicht es nicht, sich nur um die Fälle zu kümmern, die öffentliche Aufmerksamkeit erregen.”
Obwohl die Bundesregierung um die Brisanz des Themas rechtswidriger Polizeigewalt wisse, habe sie es bisher versäumt, sich angemessen mit dem Thema zu beschäftigen. Keines der zur Verfügung stehenden Instrumente werde systematisch genutzt, und ein inhaltlich fachlicher Austausch beispielsweise mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern finde schon gar nicht statt.
Der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein kam 2019 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es mindestens fünfmal mehr Verdachtsfälle von Polizeigewalt gebe, als in der Statistik aufgeführt würden. 2018 schlossen die Staatsanwaltschaften ihm zufolge gut 2000 Verfahren ab, 93 Prozent wurden eingestellt.