Peking versucht Täter-Opfer-Umkehr

Der Spionageballon: Chinas außenpolitisches Eigentor

Auf diesem von Chad Fish zur Verfügung gestellten Bild schwebt ein großer Ballon über dem Atlantischen Ozean vor der Küste von South Carolina.

Auf diesem von Chad Fish zur Verfügung gestellten Bild schwebt ein großer Ballon über dem Atlantischen Ozean vor der Küste von South Carolina.

Peking. Ganz gleich, wie man die Fakten dreht und wendet: Für die chinesische Regierung ist die Spionageballon-Causa nicht nur äußerst unangenehm, sondern auch das größte außenpolitische Eigentor seit Langem. Hinter den Kulissen wird die Affäre sicherlich einige Ministerialbeamten und Militärs die Karriere kosten. Nach außen hingegen lässt Peking keinerlei Reue durchschimmern: „Einige amerikanische Politiker und Medien nutzen die Situation nur aus, um China zu verleumden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des Außenministeriums – frei nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.

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Der vor dem US-Bundesstaat South Carolina abgeschossene Ballon hat bereits jetzt die Beziehung zwischen den zwei führenden Weltmächten nachhaltig vergiftet. Vor allem aber hat der Vorfall schonungslos offengelegt, wie sehr die chinesische Regierung mit ihrer mit Nationalstolz und Pseudoselbstbewusstsein aufgeladenen Rhetorik eine konstruktive Gesprächsgrundlage bereits im Vorfeld unmöglich macht.

Sowohl China als auch die USA spionieren sich aus

Fakt ist: Sowohl China als auch die USA spionieren sich auf allen erdenklichen Ebenen gegenseitig aus, und zwar meist mit ausgeklügelteren Mitteln als einem antiquierten Überwachungsballon. Insofern wäre es wohl durchaus möglich gewesen, die Affäre gesichtswahrend für beide Seiten ad acta zu legen – vorausgesetzt, die chinesische Regierung hätte aufrichtig Reue gezeigt und transparent kommuniziert. Stattdessen jedoch wendete sie ihr altbekanntes Muster an: sämtliches Fehlverhalten abstreiten, die Schuld beim Gegenüber suchen und umgehend in den obligatorischen Angriffsmodus wechseln.

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Chinas erste Reaktion, bei dem Flugobjekt handele es sich um eine Art meteorologischen Forschungsballon, der aufgrund von starken Westwinden von seiner geplanten Route abhandengekommen sei, wertete Washington ganz offensichtlich als dreiste Lüge. „Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist“, entgegnete unbeirrt ein Sprecher des Pentagons. Tatsächlich spricht viel dafür: Es müsste schon ein großer Zufall gewesen sein, dass der Ballon im dünn besiedelten Bundesstaat Montana ausgerechnet über einen US-Luftwaffenstützpunkt flog, wo 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert sind. Zudem hat Washington in den letzten Jahren mindestens drei ähnliche Spionagefälle aus China registriert, diese jedoch zuvor nicht öffentlich gemacht.

Fakten hat die chinesische Seite zuletzt ignoriert

Doch selbst augenscheinliche Fakten hat die chinesische Seite zuletzt ignoriert. Als US-Außenminister Antony Blinken seinen geplanten China-Besuch am Freitag absagte, stritt Peking kurzerhand in einer schriftlichen Aussendung ab, dass es überhaupt jemals einen „offiziell geplanten Besuch“ gegeben habe. Auch Wang Yi, immerhin der führende Außenpolitiker der Volksrepublik, ließ bei seinem am Samstag erfolgten Telefonat mit Blinken keinerlei Selbstkritik erkennen: „Wir akzeptieren keine grundlosen Spekulationen und Stimmungsmache.“

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Und nachdem US-Präsident Joe Biden den Überwachungsballon in der Nacht auf Sonntag abschießen ließ, protestierte die chinesische Regierung erneut lauthals: Man sprach von einer „Überreaktion“ und einem „Verstoß gegen internationale Praxis“. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Man stelle sich nur einmal vor, es flöge ein Spionageballon von der Größe dreier Autobusse über die chinesischen Nuklearsilos in der Wüste Gobi.

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Täter-Opfer-Umkehr

Doch wer ausschließlich die Berichte der chinesischen Staatsmedien liest, bekommt ganz unweigerlich den Eindruck einer Täter-Opfer-Umkehr: Angesichts der rüden Schuldzuweisungen gegenüber den USA liest es sich fast so, als ob am Wochenende ein US-amerikanisches Flugobjekt in den chinesischen Luftraum eingedrungen wäre.

Die Folgen einer solchen Kommunikation – sowohl auf der internationalen Bühne als auch gegenüber dem eigenen Volk – sind angesichts der Fallhöhe des US-China-Konflikts zunehmend gefährlich. Derzeit steht es um die bilateralen Beziehungen so schlecht wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Hinzu kommt, dass China nach der Entsendung von Qin Gang als Außenminister momentan noch nicht einmal einen Botschafter in Washington stationiert hat.

Damoklesschwert ist bereits am diplomatischen Horizont zu erkennen

Und das bislang größte Damoklesschwert, welches über den zwei Staaten kreist, ist bereits am diplomatischen Horizont zu erkennen: Kevin McCarthy, der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses, dürfte sich durch den Spionageballon-Vorfall wohl erst recht ermutigt fühlen, seinen geplanten Taiwan-Besuch in die Tat umzusetzen – nicht zuletzt, um damit bei seiner Kernwählerschaft auf Sympathiefang zu gehen.

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Als seine Vorgängerin Nancy Pelosi im vergangenen Sommer Taipeh besuchte, reagierte Peking mit einer simulierten Inselblockade und wüsten Drohungen. Im Wiederholungsfall dürfte Chinas Replik wohl noch eine Spur martialischer ausfallen. Und zweifelsohne wird die Botschaft der Regierung lauten: Die USA müssen ihre „falschen Ansichten berichtigen“ und zu einem „korrekten Kurs“ zurückkehren.

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