Flüchtlinge aus der Ukraine: Deutschland verspielt eine große Chance
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Kommunen stoßen bei der Unterbringung von Geflüchteten zunehmend an ihre Belastungsgrenzen. Deshalb lädt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag zu einem Flüchtlingsgipfel.
© Quelle: Soeren Stache
Berlin. Rund eine Million Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Nicht wenige, meistens Mütter mit kleinen Kindern, richten sich inzwischen auf einen mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland ein. Sie haben im Gegensatz zu Asylbewerbern aus anderen Krisenregionen die Möglichkeit, rasch in der deutschen Gesellschaft anzukommen. Sie können Integrationskurse besuchen und dürfen arbeiten. Aber die Realität sieht für viele Neuankömmlinge aus der Ukraine anders aus: Sie verheddern sich in der deutschen Bürokratie, hoffen immer verzweifelter und oft vergeblich auf eine eigene Wohnung und einen Platz im Kindergarten für den Nachwuchs.
Der Krieg wird nicht zu einem schnellen Ende kommen. Für viele aus der Ukraine beginnt jetzt erst so richtig die Phase des Ankommens. Der Bund sollte Ländern und Kommunen zuverlässiger als bisher unter die Arme greifen, damit dieses Ankommen eine Erfolgsgeschichte für beide Seiten wird.
Ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine ist es auch an der Zeit, den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern zu danken, die seit den ersten chaotischen Tagen nach dem 24. Januar bis zur Erschöpfung für die Kriegsflüchtlinge da waren. Die teilweise über viele Monate ihre Häuser und Wohnungen geöffnet haben und mit ihren Schützlingen an der Bürokratie verzweifelt sind.
Die Auseinandersetzungen werden härter
Deutschland verspielt gerade eine große Chance: die Aufnahme teils hochqualifizierter, integrationswilliger Menschen in unsere Gesellschaft. Wir stehen zudem vor einer großen Gefahr: dass die kommenden Monate und Jahre noch härtere Auseinandersetzungen um Flucht und Migration mit sich bringen als die Jahre nach 2015.
Das liegt an der europäischen Asylpolitik, die so kaputt ist wie schon lange nicht mehr. Das liegt aber auch an einem Kompetenzwirrwarr in Deutschland, in dem jede Ebene der anderen den Schwarzen Peter zuschiebt.
Die Kommunen stoßen bereits seit Monaten an ihre Grenzen, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister rufen ungehört um Hilfe: Die Kriegsflüchtlinge drängten direkt auf den Wohnungsmarkt, versuchten um fast jeden Preis die Massenunterkünfte in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu vermeiden.
Rechtsextreme Profis schüren Randale
Die Landkreise wiederum suchen in vielen Bundesländern verzweifelt neue Möglichkeiten der Unterbringung, da seit Monaten auch über die veränderte Balkanroute mehr Menschen aus anderen Kriegs- und Krisenregionen nach Deutschland strömen und hier Asyl beantragen. Wenn es schlecht läuft, wie in den vergangenen Wochen wieder in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zu beobachten war, wird lokaler Unmut über neue Heime von extrem rechten und extrem gut vernetzten Akteuren so weit eskaliert, bis Stadtrats- und Kreistagssitzungen von einer pöbelnden Menge begleitet werden und es jeden Moment zu Gewalt kommen kann.
Die Länder wiederum geben das Geld vom Bund für die Flüchtlingsunterbringung oft nur zögerlich und regional sehr unterschiedlich weiter. Während Mecklenburg-Vorpommern fast alle flüchtlingsbezogenen Kosten für die Kommunen übernimmt, reicht etwa Rheinland-Pfalz nur die Hälfte der zusätzlichen Bundesmittel an die Städte und Gemeinden weiter.
In einem Punkt aber sind sich Kommunalverbände und Länder vor dem morgigen Flüchtlingsgipfel einig: Sie sehen den Bund in der Pflicht, dauerhaft mehr Geld zuzuschießen und für eine verlässlichere Migrationspolitik zu sorgen. Und sie haben gute Argumente auf ihrer Seite. Schließlich entscheidet der Bund, wie viele Geflüchtete Deutschland aufnimmt und wie lange sie bleiben dürfen.
Der Flüchtlingsgipfel muss langfristig Klarheit bringen. Wer zahlt, wer kann mit welchen Zuwendungen rechnen? Und als nächsten Schritt muss die Bundesregierung alles dafür tun, dass klarer wird, wer nach Deutschland kommen kann – und wer das Land wieder verlassen muss.