Streit um Entschädigung

Gedenk­feier zu Olympia­attentat: Teilnahme des israelischen Präsidenten wackelt

Ein vermummter arabischer Terrorist zeigt sich auf dem Balkon des israelischen Mannschafts­quartiers im olympischen Dorf der Münchner Sommer­spiele.

Ein vermummter arabischer Terrorist zeigt sich auf dem Balkon des israelischen Mannschafts­quartiers im olympischen Dorf der Münchner Sommer­spiele.

Berlin. Nach der Entscheidung von Angehörigen der israelischen Opfer des Olympia­attentats von München 1972, der geplanten Gedenk­veranstaltung zum 50. Jahrestag des Attentats am 5. September fern­zubleiben, steht die Bundes­regierung vor einem Eklat.

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An der Feier soll auch der israelische Staats­präsident Jitzchak Herzog teilnehmen. Auch dessen Teilnahme wackelt nun. „Die Reise­pläne des Staats­präsidenten sind noch nicht finalisiert“, teilte die israelische Botschaft in Berlin dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) mit.

Die Angehörigen der Opfer wollen die offizielle Gedenk­feier zum 50. Jahrestag des Terror­anschlags boykottieren. „50 Jahre Schmähung, Lügen, Erniedrigung und Abweisung durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden sind mehr als genug für uns“, schrieben Ankie Spitzer und Ilana Romano in Vertretung aller Opfer­familien in einem Brief an Bayerns Minister­präsidenten Markus Söder (CSU), der dem RND vorliegt. Hinter­grund ist ein seit Langem schwelender Streit um Entschädigungs­zahlungen.

„Man muss ernsthaft prüfen, ob die Gedenk­feier nach der Absage der Hinter­bliebenen noch statt­finden kann“, sagte der bayerische Antisemitismus­beauftragte Ludwig Spaenle dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). „Sie darf nicht zur Groteske verkommen.“

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„Ich mahne seit vielen Wochen, dass man auf gleicher Augen­höhe mit den Angehörigen spricht und ihre Klagen ernst nimmt“ sagt Spaenle. „Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.“

04.11.2021, Bayern, Würzburg: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sitzt bei einem Fototermin in seinem Büro. (zu dpa-Interview) Foto: Nicolas Armer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Präsident des Zentralrats der Juden: „Die documenta hat meine kühnsten Albträume übertroffen“

Josef Schuster, seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist wegen des Antisemitismus­skandals auf der documenta in Kassel noch immer schwer enttäuscht. Und er macht den Verantwortlichen erhebliche Vorwürfe, unter anderem denen im Kanzleramt. Seine Warnungen im Vorfeld seien mehr oder weniger ignoriert worden, sagt der 68-Jährige.

Die Vertreter der Familien hatten gegenüber Bundes­präsident Frank-Walter Steinmeier drei Forderungen gestellt: eine öffentliche Entschuldigung für die deutschen Versäumnisse beim Umgang mit der Geisel­nahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen, die Öffnung aller Archive und eine Entschädigung „nach internationalen Standards“. Als internationaler terroristischer Anschlag sei das Olympia­attentat nicht mit den Anschlägen von Hanau oder vom Berliner Breitscheidplatz vergleichbar.

Zudem trage Deutschland Schuld. Beim missglückten Versuch der Geisel­befreiung auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck durch bayerische Polizisten starben alle israelischen Geiseln und ein deutscher Beamter.

Die ersten beiden Forderungen wurden erfüllt, die dritte nicht.

Olympia­attentat: Israelische Opfer­familien wollen nicht nach München reisen
27.07.2022, Bayern, München: Am Erinnerungsort zum Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 steht ein Kranz des bayerischen Ministerpräsidenten. Foto: Stefan Puchner/dpa-Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Vor 50 Jahren drang ein palästinensisches Terror­kommando in das olympische Dorf in München ein und tötete elf Israelis.

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Der Antisemitismus­beauftragte der Bundes­regierung, Felix Klein, bedauerte die Absage. „Ich bin der Auffassung, dass die Bundes­regierung den Angehörigen und Hinter­bliebenen des Olympia­attentats ein faires Angebot gemacht hat“, sagte er dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). „Es ist an der oberen Grenze dessen, was man heute als Opfer einer terroristischen Straftat bekäme.“

Hinzu komme die Bereitschaft, eine Historiker­kommission einzurichten und die Ereignisse von 1972 noch einmal historisch-politisch aufzuarbeiten. „Auch das finde ich wirklich gut“, sagte Klein. Dabei sei die Bundes­regierung bereit, für die Zusammen­setzung der Kommission personelle Vorschläge anzunehmen.

„Leid der Opfer handlungs­leitend“

Der Antisemitismus­beauftragte betonte: „Das Leid der Opfer anzuerkennen, ist für die Bundes­regierung insgesamt handlungs­leitend. Deswegen würde ich mich freuen, wenn es doch noch zu einer Verständigung mit den Opfer­familien käme.“

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bedauert die Absage der Hinter­bliebenen. „Die Bemühungen der deutschen Seite sind in meinen Augen anzuerkennen. Ich hatte gehofft, dass es zur einer Einigung kommen würde“, sagte er dem RND.

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10 Millionen Euro

Zuletzt schien tatsächlich Bewegung in den Konflikt gekommen zu sein, nachdem den Familien der Opfer weitere Zahlungen in Aussicht gestellt worden waren. Doch auch das neue Angebot der Bundes­regierung, des Freistaats Bayern und der Stadt München bezeichnete Spitzer bereits als „Beleidigung“. Laut ihrem Brief an Söder stand eine Summe von 10 Millionen Euro im Raum, auf die Zahlungen aus den Jahren 1972 und 2002 in Höhe von rund 4,5 Millionen Euro angerechnet werden sollten.

Die israelische Botschaft in Berlin teilte auf RND-Anfrage mit, man unterstütze die Familien. „Sie verdienen eine gerechte Entschädigung für ihr fortdauerndes Leiden. Wir hoffen, dass die Familien eine Einigung mit der deutschen Regierung erzielen, die die Offen­legung aller Einzelheiten dieses tragischen Ereignisses sowie eine gerechte Regelung ihrer Entschädigungs­ansprüche beinhaltet.“

Am 5. September 1972 hatten palästinensische Terroristen einen Anschlag auf die Olympischen Sommer­spiele in München verübt. Elf Mitglieder des israelischen Teams, darunter Spitzers Ehemann André, starben.

Die Anwälte der Familien schlagen vor, zur Entschädigung eingefrorenes Vermögen des früheren libyschen Diktators Gaddafi heran­zuziehen. Er gilt als Finanzier und Unterstützer der Terroristen. Nachdem die drei überlebenden Attentäter im Oktober 1972 aus einem deutschen Gefängnis freigepresst wurden, flohen sie nach Libyen und tauchten dort unter. Die Bundes­regierung lehnt das zur Verwunderung des früheren bayerischen Ministers und jetzigen Antisemitismus­beauftragten Ludwig Spaenle ab, der sich in einem Brief ans Auswärtige Amt für diesen Vorschlag der Familien stark gemacht hatte „Ich dachte, das sei ein Selbst­läufer. Der Umgang mit den Familien in der Entschädigungs­frage ist beschämend, man kann das nicht anders nennen“, sagte er dem RND.

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