Dienstpflicht, ja bitte – aber dann nur für alle
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Die Bundesregierung will nicht zur allgemeinen Wehrpflicht zurückkehren – aber einige Politiker sind einem allgemeinen Dienstjahr nicht abgeneigt.
© Quelle: Sina Schuldt/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
es herrscht Fachkräftemangel, kaum eine Branche, die keine Probleme hat, genügend gut ausgebildete und dazu noch topmotivierte Leute zu finden. Unternehmen können sich nicht mehr wie früher rauspicken, wen sie denn gerne hätten. Oft stellen sie heute auch jene ein, bei denen sie nur ein mittelgutes Gefühl haben. Denn es gibt einfach mehr Arbeit als Beschäftigte. Betriebe müssen Anreize setzen: Neben einem guten Gehalt eine gute Work-Life-Balance, Yogamatte fürs Büro (kein Witz), flexible Arbeitszeiten, Viertagewoche, Homeoffice.
Auch die Bundeswehr, längst eine Armee im (Kriegs-)Einsatz, unternimmt eine Menge Anstrengungen, um Menschen für die Verteidigung der Sicherheit Deutschlands zu gewinnen. Mit der Wehrpflicht war das kein Problem, Männer wurden einfach „gezogen“. Nur war der Zwangsdienst irgendwann nicht mehr zu rechtfertigen, weil bloß noch ein kleiner Teil eines Jahrgangs gebraucht wurde und nur die Männer den Dienst leisten mussten, die bei der Musterung für tauglich befunden wurden. Die Ausgemusterten durften gehen. Die Gnade der Untauglichkeit.
Das passte nicht zu Artikel 12, Grundgesetz, der Dienstverpflichtungen an die Bedingung knüpft, dass diese „allgemein und für alle gleich“ gelten mussten. So wurde die Wehrpflicht 2011 „ausgesetzt“, was de facto die Abschaffung von Wehr- und auch Zivildienst bedeutete.
Ginge es nach dem Willen der Wehrbeauftragten Eva Högl, würde Deutschland allerdings zur „Musterung“ zurückkehren. Und dann alle Geschlechter heranziehen – nicht, um die Wehrpflicht doch wieder einzuführen. Das wollen Kanzler Olaf Scholz, Verteidigungsminister Boris Pistorius und die ganze Ampel nicht. Selbst wenn die Bundeswehr Nachwuchsprobleme hat. Eben weil potenzielle Anwärterinnen und Anwärter auch von attraktiven Unternehmen umworben werden. Vergessen die Zeiten, als es vor gut 20 Jahren nicht genügend Lehrstellen gab. Die damalige rot-grüne Bundesregierung musste die Wirtschaft mehr oder weniger zu Ausbildung zwingen.
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Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Aber vielleicht kommt es ja mal zu einer allgemeinen Dienstpflicht. In einem Interview mit „T‑Online“ regte Högl an, künftig alle jungen Menschen eines Jahrgangs zur Musterung „einzuladen“ und sie dann, sofern sie wehrfähig seien, selbst entscheiden zu lassen, ob sie sich engagieren wollten oder nicht. Die Idee eines verpflichtenden Dienstjahres für Deutschland, das im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden könne, finde sie „diskussionswürdig“.
Schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte vor einem Jahr eine Debatte über die Einführung einer sozialen Pflichtzeit angestoßen. Bei der CDU gibt es seit vorigem Jahr einen Parteitagsbeschluss für die bundesweite Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs, die Idee hatte schon Pistorius’ Vorvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Pistorius selbst sprach schon von guten Argumenten für eine allgemeine Dienstpflicht zur Stärkung von Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdiensten. Die FDP hat allerdings rechtliche und politische Bedenken angemeldet. Wer sonst.
Bevölkerung in Deutschland uneinig über Wiedereinführung der Wehrpflicht
Die deutsche Bevölkerung ist hingehend einer wiederholten Einführung der Wehrpflicht gespalten.
© Quelle: dpa
Idee: Verpflichtendes Dienstjahr, aber egal wann
Meiner Ansicht nach wäre ein verpflichtendes Dienstjahr eine gute Orientierung für junge Menschen, wenn sie sich den Bereich aussuchen können, der sie interessiert, und wenn der Dienst bezahlt wird. Es wäre aber ungerecht, wenn nur sie, die jungen Leute, denen die Älteren schon einen gigantischen Staatsschuldenberg hinterlassen und dazu noch eine teilweise zerstörte Umwelt, ein Dienstjahr leisten müssten. Gerecht wäre, es für alle – wirklich für alle – einzuführen. Ob jung, alt, deutsch, migrantisch.
Man könnte ein Jahr früher in Rente gehen und dann seinen Dienst am Staat leisten. Die einen machen es am Anfang ihres Berufslebens, um Interessen auszuloten, die anderen zum Schluss. Der Renteneintritt ist schließlich nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang. Die einen bringen den Schwung mit und die anderen die Erfahrung. Zu tun gibt es immer etwas. Für jeden und jede. Das würde den Zusammenhalt, das Gerechtigkeitsgefühl und die Gemeinschaft fördern. Davon haben wir sowieso zu wenig.
Machtpoker
Wenn einen die treuen Hundeaugen von Uli Hoeneß anschauen, kann man schwer Nein sagen.
Karl-Heinz Rummenigge,
künftig wieder im Aufsichtsrat des FC Bayern München
Gestatten Sie mir bitte ausnahmsweise einen Ausflug in die Welt des Fußballs. Mann kann nur staunen, wie sich die Männer in der Führungsetage des FC Bayern München die Bälle zuspielen und andere ins Aus schießen. Rummenigges Rente mit 67 hat sich gerade erledigt, weil Uli Hoeneß ihn zurück in den Aufsichtsrat holt. Augenaufschlag genügte. Wäre es nicht so ernst und der FC kein Weltkonzern, würde ich sagen, dass da große Jungs rumtoben. Es ist aber ein eiskaltes Machtspiel.
Ein Titelgewinn reicht nicht, Trainer werden am Telefon gefeuert, wer sich kritisch äußert, gilt als Verräter. Umgang, Ton und Breitbeinigkeit beim FC Bayern haben mit dazu geführt, dass gefühlt ganz Deutschland vor einer Woche Dortmund – erfolglos – die Daumen für die Meisterschaft gedrückt hat. Wenn der FC Bayern auch an so etwas wie Sympathie von Menschen interessiert ist, sollte er nicht nur in treue Hundeaugen schauen, sondern seiner Krise ins Gesicht sehen. Vielleicht könnte er sich dann sogar vorstellen, mal eine Frau in die Führung zu holen. Wäre sogar eine Revolution.
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Karl-Heinz Rummenigge
© Quelle: IMAGO/Kirchner-Media
Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen
An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:
Willi Bormann zum Kommentar über die Razzia gegen Klimakleber:
„Ich bin seit 1976 Abonnent der Neuen Westfälischen. Ihr Kommentar war der beste, den ich in all den Jahren gelesen habe. Das Wesen der Demokratie in einem Rechtsstaat wurde unter fundierter Kenntnis des Staats- und Verfassungsrechts der Bundesrepublik glasklar und präzise dargestellt. Als Einstieg in das Thema Demokratie wäre Ihr Artikel für unsere Schulen hervorragend geeignet. Auch im Fach Ethik ein gutes Beispiel für Kants kategorischen Imperativ bezogen auf die heutige Zeit.“
Godehard Franzen zum selben Thema:
„Ich schreibe Ihnen als 79‑jähriger Physiker, der sich seit über 40 Jahren beruflich, politisch und ehrenamtlich für eine engagierte Klimapolitik einsetzt. Was Sie zu den Grundsätzen unserer Demokratie schreiben, teile ich. Auch ich finde die Aktionen von ‚Die letzte Generation‘ problematisch, weil sie Gefahr laufen, dem Klimaschutz eher zu schaden, als zu nützen. Aber ich teile nicht die öffentliche Empörung und die jetzt ergriffenen Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden.
Ich habe Anfang der 80er die ersten Warnungen meines eigenen Fachverbandes, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, vor dem drohenden Klimawandel mit unterzeichnet. Was ist seitdem geschehen? Zugespitzt: sonntags schöne Reden und werktags im Wesentlichen „weiter so wie bisher“. Kann es ernsthaft jemanden verwundern, dass sich Teile der Klimabewegung radikalisieren?
In der aktuellen Bundesregierung sitzen Minister, die geschworen haben, die Bundesgesetze zu achten. Und sie verstoßen wissentlich, ja vorsätzlich, gegen das Klimaschutzgesetz, das nach dem aufsehenerregenden Bundesverfassungsgerichtsurteil 2021 novelliert wurde. Kein Aufschrei in den Medien! Aber die Empörung über die Klimakleber erweckt den Eindruck, als seien die drauf und dran, die Republik lahmzulegen! Passt das zusammen? Nach meiner Meinung: definitiv nicht.
Es gibt ein sehr einfaches Mittel, die Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung zu verhindern: von Montag bis Samstag das umzusetzen, was seit Jahrzehnten regelmäßig in Sonntagsreden verkündet wird. Ich würde mir wünschen, dass sich die Medien stärker darauf fokussieren, als sich immer wieder über die Klimakleber, die nach meiner Auffassung eher eine Randnotiz sind, zu empören.“
Innenministerin Faeser verteidigt Razzia gegen Letzte Generation
„Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Mittwoch in Berlin.
© Quelle: Reuters
Achim Böckel aus Paderborn ebenso zu dem Thema:
„Ich bin überrascht und geschockt zugleich, wie schnell unser Rechtsstaat und auch die Medien wieder zuschlagen, wenn es um unbequeme Menschen geht, die mit Mut den Finger in die Wunde legen. Ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, die Demokratie, unsere Demokratie ist ein wertvolles Gut und ALLE in der Demokratie sollten sich an die Regeln halten. Die Massivität, wie gegen die Klimakleber vorgegangen wird, ist aus meiner Sicht absolut unangemessen und wohl auch nicht auf Basis unseres Rechtsstaates, wie sich mittlerweile herausgestellt hat.
Solch eine Vorgehensweise würde ich mir genauso wünschen, wenn etwa Rechtsradikale unsere Spielregeln nicht einhalten oder es auch in unserer Demokratie um Korruption geht. Wie schnell unsere Innenministerin die Härte des Gesetzes für die Klimakleber fordert ist beeindruckend. Wie lange es an anderen Stellen dauert, wo nicht schnell gehandelt wird, ist ebenso beeindruckend.
Ich weiß wie sich das anfühlt, seit länger als 40 Jahren darauf zu warten, dass sich grundlegend etwas ändert, und es sich nicht sehr viel tut. Und man selbst trotzdem an seinen Prinzipien festhält. Auf Dauer wird das aber leider nicht reichen. Deshalb kann ich die Gefühle und Gedanken der Klimakleber sehr gut nachvollziehen, weil die Zeit ja durchaus knapp werden könnte.“
Mark Jehner aus Frankfurt zum Heizungsgesetz:
„Jetzt tritt auch das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dafür ein, statt auf das Heizungsgesetz auf einen Ausbau des deutschen Zertifikatehandels zu setzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kann der FDP statt seines Heizungsgesetzes anbieten, ganz technologieoffen den nationalen Abgashandel auszubauen: als CO₂‑Deckel, der in Deutschland den europäischen dauerhaft verschärft, mit sozial zugeteilten und mit frei versteigerbaren Verschmutzungsrechten in allen Sektoren. So vor die Wahl gestellt, wird der Finanzminister zeigen, ob er wirklich bei geringeren Kosten mehr für das Klima erreichen will oder ob er die Modernisierung beim Heizen deshalb blockiert, weil jeder Fortschritt beim Klimaschutz ein Erfolg für die Grünen ist.“
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Eine Mitarbeiterin der Pflege steht in einem Zimmer der Intensivstation des Klinikums in Essen.
© Quelle: Fabian Strauch/dpa
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Herzlich
Ihre Kristina Dunz
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