Proteste in Peru: Warum das Land im Chaos versinkt – die wichtigsten Fragen und Antworten
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Anhänger des gestürzten peruanischen Präsidenten Castillo protestieren auf der Panamerikanischen Nordautobahn, während Polizeibeamte eintreffen, um Trümmer zu beseitigen.
© Quelle: Hugo Curotto/AP/dpa
Lima. Seit der Absetzung des Präsidenten Pedro Castillo wird Peru von zunehmend gewaltsamen Protesten erschüttert. Flughäfen und Zufahrtsstraßen werden besetzt, es gibt mehrere Tote. Die Regierung von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte hat den Ausnahmezustand über das Land verhängt. Lesen Sie hier alles über die Hintergründe und die aktuelle Lage in Peru.
Warum sind die Proteste in Peru ausgebrochen?
In Peru ist der Machtkampf zwischen dem linken Präsidenten Pedro Castillo und dem Parlament eskaliert. Der Kongress enthob Castillo am Mittwoch vergangene Woche des Amtes, nachdem dieser zuvor die Auflösung des Parlaments verkündet hatte. Damit wollte Castillo einem Misstrauensvotum gegen ihn zuvorkommen. Der ehemalige Dorfschullehrer verkündete, mit einer Notstandsregierung per Dekret zu regieren.
Vizepräsidentin Dina Boluarte und die Opposition werteten Castillos Vorgehen als Staatsstreich. Kurz darauf wurde Castillo festgenommen und kam wegen des Vorwurfs der Rebellion in Untersuchungshaft. Castillo schrieb auf Twitter, er sei „gedemütigt“ und „entführt“ worden.
Wer ist die neue Staatschefin Perus?
Die bisherige Vizepräsidentin Dina Boluarte wurde durch das Parlament als neue Staatschefin eingesetzt. Am vergangenen Samstag vereidigte Boluarte, die erste Frau im höchsten Amt des südamerikanischen Landes, ihr Kabinett. Am Abend desselben Tages kam es zu den ersten Protesten. Zunächst legten Anhängerinnen und Anhänger des abgesetzten Präsidenten einen Flughafen lahm und steckten diesen teilweise in Brand.
Wie ist die aktuelle Lage in Peru?
Mittlerweile fordern Tausende Demonstrierende im ganzen Land den Rücktritt von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte, die Auflösung des Parlaments, baldige Neuwahlen und die Freilassung des inhaftierten Ex-Präsidenten. Der Protest entwickelt sich zunehmend gewaltvoller. Die Gesundheitsbehörde der Region Ayacucho meldete am Donnerstag sieben Tote und 52 Verletzte. Zusammengerechnet mit früheren Behördenangaben entspricht das mindestens 15 Toten und mehr als 70 Verletzten in verschiedenen Landesteilen. Unter den Toten ist auch ein 13-jähriger Junge, der mutmaßlich von Sicherheitskräften mit scharfer Munition erschossen wurde. Der Tod des Minderjährigen führte zu einer weiteren Eskalation der Proteste.
Die peruanische Regierung hat für 30 Tage den Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt. Zudem erklärte die Regierung in 15 Provinzen für fünf Tage eine Ausgangssperre während der Nachtstunden.
Läuft der Flug- und Zugverkehr in Peru noch?
In Teilen des Andenlandes wurde der Flug- und Zugverkehr eingestellt. Die Demonstrierenden blockieren zudem in mehreren Landesteilen Fernstraßen, wie Medien berichteten. Vor allem in den ländlichen Gebieten im Süden und Südosten des Landes, wo Castillo besonders viele Anhängerinnen und Anhänger hat, gehen zahlreiche Menschen auf die Straße. Aber auch in Lima und anderen Städten kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten und der Polizei. Das Polizeiangebot wurde dort erhöht, auch das Militär ist im Einsatz.
Regierung in Peru ruft nationalen Notstand aus
Die Amtsenthebung des linksgerichteten Präsidenten hatte teilweise gewaltsame Proteste in dem südamerikanischen Land ausgelöst.
© Quelle: Reuters
In welchem politischen Kontext steht die Eskalation in Peru?
Peru steckt seit Jahren in einer tiefen politischen Krise. Castillo ist einer von sechs peruanischen Präsidenten in den vergangenen fünf Jahren. Der Politiker war für die linke Partei Peru Libre angetreten und hatte Mitte 2021 die Wahl zum Präsidenten gewonnen. Damals gewann er gegen Keiko Fujimori, Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori, der das Land bis 2000 als Diktator regierte.
Castillos Regierung stand seit dem Amtsantritt des ehemaligen Dorfschullehrers unter Druck. Wegen verschiedener Vorwürfe oder Meinungsverschiedenheiten räumten immer wieder wichtige Minister ihre Posten. Erst vor zwei Wochen ernannte Castillo eine neue Kabinettschefin – die fünfte in knapp eineinhalb Jahren. Seit seinem Amtsantritt hatte Castillo bereits zwei Amtsenthebungsverfahren überstanden. Der unerfahrene Politiker wurde auch rassistisch angegriffen.
Die Regierung des Linkspolitikers befand sich dabei in einem permanenten Machtkampf mit dem Parlament. Zuletzt verweigerte der Kongress dem Staatschef die Erlaubnis, zum Gipfel der Pazifik-Allianz nach Mexiko zu reisen, und ließ das Treffen damit platzen.
Wie geht es in Peru weiter?
Inmitten der Proteste hat das oberste Gericht des Landes am Freitag weitere 18 Monate Untersuchungshaft für Castillo angeordnet. Demnach wollen die Strafverfolgungsbehörden in dieser Zeit wegen des Vorwurfs der Rebellion gegen Castillo ermitteln, dem mehr als vier Jahre Haft drohen.
Die neue Regierungschefin Boluarte steht unter starkem Druck. Ihre Legitimität wird von den Protestierenden angezweifelt. Sie kündigte an, die Wahlen auf April 2024 vorzuziehen. Sie werde dem Kongress des südamerikanischen Landes eine entsprechende Gesetzesvorlage präsentieren, sagte Boluarte in einer Ansprache an die Nation. Die nächste reguläre Wahl, bei der in Peru sowohl über die Präsidentschaft als auch das Parlament entschieden wird, wäre eigentlich 2026. Expertinnen und Experten zweifeln allerdings daran, dass sie bis dahin durchhalten kann.
RND/dpa/ar/AP