Überraschender Rückzug: Ex-Premier Johnson kandidiert doch nicht erneut fürs Amt
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Boris Johnson, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, kandidiert überraschend doch nicht für eine erneute Amtszeit.
© Quelle: Gareth Fuller/PA Wire/dpa
London. Der britische Ex-Premier Boris Johnson wird nun doch nicht erneut für das Amt des Premierministers antreten. Obwohl er die notwendige Unterstützung in der konservativen Tory-Fraktion habe, habe er sich dagegen entschieden, teilte der Politiker am Sonntagabend mit. Diese Ankündigung kam besonders überraschend, da Johnson bereits in den Tagen zuvor davon sprach, die nötigen 100 Unterstützerstimmen für die Kandidatur gesammelt zu haben.
Nach vorn gebeugt, den Kopf in die Hände gelegt. So zeigten Fotos Boris Johnson auf seinem Flug zurück aus der Karibik. Der 58-Jährige machte sich in der Nacht zum Samstag auf den Weg zurück nach London, gemeinsam mit seiner Familie. Die Passagiere des Economy-Fluges reagierten überrascht, manche buhten. Als er am Flughafen Gatwick aus dem Flugzeug stieg, winkte er der versammelten Menge zu. Dabei hing sein Hemd aus der Hose, wieder einmal. In Westminster lotete der höchst umstrittene Ex-Premierminister aus, ob ein Comeback für ihn nach dem Rücktritt von Liz Truss möglich ist. Am Sonntagabend wurde klar: Er wagt es nicht.
Er sei zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der richtige Weg sei, so Johnson. „Man kann nicht effektiv regieren, wenn man keine geeinte Partei im Parlament hat.“ Leider sei auch keine Einigung mit seinen Rivalen Sunak oder Mordaunt zustande gekommen. „Ich glaube, dass ich viel zu bieten habe, aber leider ist dies wohl nicht die richtige Zeit.“
Nachdem Truss am vergangenen Donnerstag nach nur 44 Tagen im Amt ihren Rücktritt als Premierministerin angekündigt hatte, soll am Montag bekannt gegeben werden, wie viele Abgeordnete sich als mögliche Nachfolger qualifiziert haben. Die größten Chancen auf das Amt hat der frühere Finanzminister Rishi Sunak, erst recht, nachdem Johnson nicht antritt. Sunak kündigte am Sonntagmittag seine Kandidatur an. „Großbritannien ist ein großartiges Land, aber wir sind in einer ernsthaften ökonomischen Krise. Deshalb möchte ich die Konservative Partei anführen und nächster Premierminister werden“, schrieb er auf Twitter.
Für den Ex-Finanzminister haben sich nach Zählung der BBC bereits mehr als 140 Parlamentarier öffentlich ausgesprochen. Tory-Politiker, die das Amt übernehmen wollen, müssen bis zum kommenden Montag mindestens 100 Abgeordnete hinter sich versammeln. Schafft dies nur ein Kandidat, wird dieser automatisch zum neuen Parteichef und damit zum Premierminister. Am Freitag hatte überdies die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt offiziell Interesse an dem Amt bekundet. Ihre Chancen scheinen aktuell jedoch gering.
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Gibt es zwei Finalisten, kann ein Nachfolger gefunden werden, indem einer nach einer erneuten Abstimmung freiwillig die Segel streicht. Falls dies nicht der Fall ist, kann die Parteibasis in einem Online-Votum über den Nachfolger entscheiden. Spätestens am kommenden Freitag soll feststehen, wer künftig an der Spitze der Regierung stehen wird und damit in die Downing Street 10 zieht.
Boris Johnson verzichtet auf erneute Kandidatur zum Premierminister
Boris Johnson sagte, dass ihm sei klar geworden sei, dass er nicht regieren könne, wenn er keine geeinte Partei im Parlament hinter sich habe.
© Quelle: Reuters
Sunak ist der Favorit
Schon am Freitag sprachen sich Dutzende Parlamentarier offiziell für Sunak aus. Zu seinen Unterstützern zählen der frühere Brexit-Minister Lord Frost sowie Staatssekretärin für internationalen Handel Kemi Badenoch. Sunak kann sich als Kandidat inszenieren, der in der Lage ist, die Partei zu vereinen. Am Wochenende stellten sich auch Handelsministerin Kemi Badenoch und Ex-Innenministerin Suella Braverman vom rechten Rand der Partei hinter ihn. Zugute kommt dem 42-Jährigen, dass er im vergangenen Wahlkampf um die Parteiführung vor exakt jenem Finanzchaos gewarnt hatte, das Truss mit ihrer Wirtschaftspolitik anrichtete. Als Sohn indischer Einwanderer wäre der in Southampton geborene Sunak der erste britische Regierungschef, der einer ethnischen Minderheit in Großbritannien angehört.
Nach den überraschenden Neuigkeiten am Sonntagabend gab sich Sunak bescheiden. Man nehme nichts als selbstverständlich hin, hieß es aus seinem Lager. Auf Twitter schrieb er, man werde Johnson immer dankbar sein, unter anderem dafür, dass er den Brexit vollzogen habe. Sunak hatte mit seinem Rücktritt als Finanzminister aus Johnsons Kabinett im Sommer maßgeblich dazu beigetragen, den damaligen Premier zu Fall zu bringen. Das Verhältnis der Männer galt schon zuvor als angespannt, seitdem als zerrüttet.
Regierungskrise in Großbritannien: Wie geht es weiter?
Die Parteispitze der konservativen Tories hatte am Donnerstag bereits das innerparteiliche Auswahlverfahren vorgestellt.
© Quelle: Reuters
In der Nacht zum Sonntag trafen sich Sunak und Johnson unterdessen zu einem Gespräch. Es kursierte das Szenario, der Ex-Finanzminister könne Johnson einen Top-Posten in der zukünftigen Regierung anbieten. Worüber die beiden Politiker tatsächlich gesprochen haben, wurde nicht bekannt.
Viele Tory-Abgeordnete hofften im Vorfeld, dass der Ex-Premier aus dem Rennen ausscheidet. Die Partei „sollte dem Land nicht eine weitere Amtszeit Boris Johnsons zumuten“, sagte der Abgeordnete Damian Green am Sonntag. „Wir haben gesehen, was letztes Mal passiert ist.“ Nordirland-Staatssekretär Steve Baker bezeichnete eine Wiederwahl als „garantierte Katastrophe“. Schließlich drohten diesem nach wie vor Ermittlungen dazu, ob er das Unterhaus bewusst in die Irre geführt hat, als er behauptete, nichts von Partys in der Downing Street 10 während des Lockdowns gewusst zu haben. Es gebe eine große Zahl Abgeordneter, die nicht bereit wären, ihn zu retten, betone Baker. Und: In diesem Moment würde alles „zusammenbrechen“.
In den Oppositionsparteien und in großen Teilen der Öffentlichkeit herrscht unterdessen Frustration darüber, dass erneut die Tory-Partei allein darüber entscheiden wird, wer das Land in Zukunft regiert. „Die Tories sind kurz davor, Rishi Sunak die Schlüssel für die Downing Street zu überreichen, ohne dass dieser ein einziges Wort dazu gesagt hat, wie er regieren will. Niemand hat das gewählt“, sagte die Vize-Chefin der Labour-Partei, Angela Rayner. Wie auch die anderen Oppositionsparteien fordert Labour eine sofortige Neuwahl.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov würden aktuell nur 19 Prozent der Britinnen und Briten im Fall von Wahlen für die Tories stimmen. Die konservative Partei, so betonte er Robert Hazell, Verfassungsrechtler am University College London, stünde damit „vor der Auslöschung“, wenn die Menschen an die Urnen träten.
Mit Material von dpa