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Elektrizität bedeutet Hoffnung

Ukrainische Kraftwerk-Arbeitende riskieren für Strom ihr Leben

Ein Arbeiter in einem Kraftwerk versucht, Schäden, die nach ukrainischen Angaben von einem russischen Angriff verursacht wurden. Angriffe auf die soziale Infrastruktur haben sich im Ukraine-Krieg seit dem Herbst deutlich verstärkt.

Ein Arbeiter in einem Kraftwerk versucht, Schäden, die nach ukrainischen Angaben von einem russischen Angriff verursacht wurden. Angriffe auf die soziale Infrastruktur haben sich im Ukraine-Krieg seit dem Herbst deutlich verstärkt.

In einem Kraftwerk in der Ukraine. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Kraftwerk haben Schutzwände aus riesigen Betonblöcken um einige ihrer kostbaren Transformatoren errichtet – jedenfalls um jene, die noch funktionieren. Das gibt den Geräten eine bessere Chance, den nächsten russischen Raketenangriff zu überleben. Im Kontrollraum des Kraftwerkes sind die Fensterscheiben durch die Wucht von Explosionen aus den Rahmen gesprengt worden, man hat sie durch Spanplatten und aufgeschichtete Sandsäcke ersetzt. Damit laufen die Arbeiterinnen und Arbeiter, die rund um die Uhr die Messgeräte, Bildschirme, Lichter und Knöpfe beobachten, weniger Gefahr, durch Granatsplitter getötet oder verletzt zu werden.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

„So lange es (hier) Ausrüstung gibt, die repariert werden kann, werden wir arbeiten“, sagte der Direktor der Einrichtung einem Team von Journalistinnen und Journalisten der Nachrichtenagentur AP, das die seltene Gelegenheit zum Besuch der Anlage hatte. Um welches es sich handelt und wo sie liegt, enthüllt AP nicht, denn ukrainischen Behördenvertreterinnen und -vertretern zufolge könnten derartige Details russischen Militärplanerinnen und -planern helfen. Der Direktor und seine Mitarbeitenden wollten aus denselben Gründen nicht ihre vollen Namen genannt haben.

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Gepanzerte Westen griffbereit

Weil die Anlage nicht ohne sie funktionieren kann, haben ihre Betreiberinnen und Betreiber gepanzerte Westen und Helme griffbereit liegen, um sie während der tödlichen Raketenhagel zu tragen – damit sie auf ihren Posten bleiben können, anstatt zusammen mit entbehrlicheren Arbeiterinnen und Arbeitern in den Luftschutzraum zu flüchten.

Jeder russische Luftangriff richtet mehr Schäden an, lässt mehr Krater und mehr Einschlaglöcher in den bereits pockennarbigen Wänden zurück. Und jeder wirft mehr Fragen auf, wie lange ukrainische Energie-Arbeiterinnen und -Arbeiter noch in der Lage sein werden, im eisigen Winter für Strom, Heizung und Licht in Häusern zu sorgen.

Gefechte um Bachmut und Soledar: Schwere Kämpfe in der Ostukraine dauern an
16.12.2022, Ukraine, Bachmut: Ukrainische Soldaten feuern eine Pion (M-1975)  Kanonenhaubitze auf russische Stellungen. Foto: Libkos/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Im Osten der Ukraine wird weiter heftig gekämpft. Im Donbass und in der Region Charkiw sind zahlreiche Ortschaften unter Beschuss.

Und doch, trotz aller Widrigkeiten und manchmal auf Kosten ihres Lebens, halten sie den Strom am Fließen, schwer angeschlagene Kraftwerke zusammen – mit Mut, Hingabe, Einfallsreichtum und schwindenden Vorräten an Ersatzteilen. Mit jedem zusätzlichen Watt, das sie der Anlage für das Stromversorgungsnetz abringen können, trotzen sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, seinem nunmehr schon fast elf Monate dauernden Krieg und seinem militärischen Bestreben, den Winter als Waffe zu benutzen, indem die Ukrainer in Kälte und Dunkelheit gestürzt werden.

Elektrizität bedeutet Hoffnung

Kurz gesagt: Elektrizität bedeutet in der Ukraine Hoffnung, und die Arbeiter lassen nicht zu, dass die Hoffnung stirbt. In ihren Köpfen und Herzen ist das Kraftwerk mehr als ein Ort, an dem Energie erzeugt wird. Jahrzehntelange Sorge für sein Innenleben mit den surrenden Turbinen, den dicken Kabeln und summenden Rohren hat es zu etwas gemacht, das sie lieben und das sie verzweifelt retten wollen. Zu erleben, wie es langsam aber stetig durch wiederholte russische Angriffe verwundet wird, ist schmerzhaft für sie.

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„Die Anlage ist wie ein Organismus, jedes Organ hat seine Bedeutung. Aber zu viele Organe sind bereits beschädigt“, sagt Oleh, der seit 23 Jahren in dem Werk gearbeitet hat. „Es schmerzt mich so sehr, das alles mit anzusehen. Dies ist unmenschlicher Stress. Wir haben diese Anlage in unseren Armen getragen wie ein Kind.“

Fortlaufende Wellen von russischen Angriffen mit Raketen und explodierenden Drohnen seit September haben ungefähr die Hälfte des ukrainischen Energiesystems zerstört oder beschädigt, wie die Regierung sagt. Rotierende Stromabschaltungen sind im Land die Norm geworden, Millionen von Menschen müssen mit unterbrochener Elektrizitätsversorgung auskommen, manchmal gibt es Strom nur ein paar Stunden am Tag. Die Bombardierungen haben die Ukraine auch gezwungen, ihre Stromexporte in die Nachbarländer Slowakei, Rumänien, Ungarn, Polen und Moldau einzustellen.

Kraftwerk wurde wiederholt getroffen

Das von AP besuchte Kraftwerk ist wiederholt getroffen und schwer beschädigt worden. Es versorgt weiter Tausende Häuser und Industrieanlagen mit Elektrizität, aber erzeugt seinen Arbeiterinnen und Arbeitern zufolge deutlich weniger als in der Zeit vor der Invasion. Alle Teile der Einrichtung weisen Spuren der Angriffe auf. Raketenfragmente sind verstreut, liegen da, wo die Geschosse einschlugen, die Arbeiterinnen und Arbeiter sind zu beschäftigt, um aufzuräumen. Ihre Familien, so sagen sie, schicken sie mit Worten „Möge Gott Dich beschützen“ in ihre Schichten.

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Wir haben keine Angst. Wir fürchten mehr um unsere Ausrüstung, die nötig ist, um für Licht und Heizung zu sorgen.

Mykola,

arbeitet seit 36 Jahren im Kraftwerk

Mykola arbeitet seit 36 Jahren in der Anlage, begann, als die Ukraine noch ein Teil der einstigen Sowjetunion war. „Die Fensterscheiben flogen sofort heraus, und Staub ergoss sich von der Decke“, beschreibt er einen Angriff, den er miterlebte. Statt in den Schutzraum zu rennen, zog er seine gepanzerte Weste an und setzte seinen Helm auf, um draußen die Schäden zu begutachten. „Wir haben keine Angst“, sagt Mykola. „Wir fürchten mehr um unsere Ausrüstung, die nötig ist, um für Licht und Heizung zu sorgen.“

Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt

Oleh zufolge scheinen die russischen Angreifer hinzu zu lernen, ihre Taktiken so anzupassen, dass sie größere Schäden verursachen. Raketen seien früher zumeist auf dem Boden explodiert, hätten Krater erzeugt, aber jetzt explodierten sie in der Luft – und richteten Verwüstungen auf größerer Fläche an.

Sobald es wieder sicher ist, machen sich die Reparaturteams an die Arbeit – ein entmutigender Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt. „Die Russen zerbomben, und wir bauen wieder auf, und sie bombardieren wieder, und wir bauen wieder auf“, sagt Oleh. „Wir werden es (das Kraftwerk) wiederherstellen, solange wir etwas haben, mit dem wir es reparieren können.“

RND/AP

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