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Urteil zur Sterbehilfe: Das ist die Rechtslage – das könnte sich ändern

Ein Altenpfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Frau (Symbolbild).

Ein Altenpfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Frau (Symbolbild).

Berlin. Wer schwer krank ist und sich zum Suizid entschließt, kann in Deutschland nicht auf Unterstützung zählen. Seit 2015 untersagt der Paragraph 217 im Strafgesetzbuch die „geschäftsmäßige“ Förderung der Selbsttötung. Ein Verstoß wird mit bis zu drei Jahren Haft geahndet. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland weiter Menschen dabei helfen, Suizid zu begehen.

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Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am heutigen Mittwoch über die Rechtmäßigkeit des umstrittenen Paragrafen. Patienten, Ärzte und Sterbehilforganisationen hatten zuvor gegen diesen geklagt: Er verletze das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht.

Verboten ist in Deutschland die aktive Sterbehilfe, das Töten auf Verlangen. Wenn Person A Person B bittet, A zu töten, darf B das nicht tun. Das ist und bleibt in Paragraph 216 des Strafgesetzbuches (StGB ) verankert und wird vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht berührt.

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Erlaubt ist hingegen die sogenannte passive Sterbehilfe. Dazu zählt, auf eine lebenserhaltende Behandlung von sterbenskranken Patienten auf deren Wunsch zu verzichten und nur noch die Schmerzen zu lindern. Denn in Deutschland kann niemand dazu gezwungen werden, sich medizinisch behandeln zu lassen.

Für Angehörige ist trotz der Gesetzesänderung von 2015 auch die Beihilfe zur Selbsttötung weiterhin erlaubt. Denn der Suizid an sich ist straffrei. Umstritten ist, ob der neue Paragraph 217 auch Ärzte erfasst oder nur die Sterbehilfe-Organisationen. Kritiker argumentieren, jeder Arzt handele auch immer geschäftsmäßig, weil er mit seinem Beruf Geld verdient.

Was würde sich mit dem Urteil ändern?

Worum es beim Urteil geht, ist die seit dem Jahr 2015 in Paragraph 217 Strafgesetzbuch verankerte geschäftsmäßige Förderung von Sterbehilfe. Also die Beihilfe zum Suizid als geschäftsmäßig angebotene Dienstleistung – damit ist unter anderem die wiederholte oder regelmäßige Sterbehilfe gemeint. Sollte das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 kippen, könnten Sterbehilfevereine ihre Tätigkeit in Deutschland wieder aufnehmen.

Für Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), wäre die Streichung von 217 problematisch. „Der Gesetzgeber hat Paragraph 217 ja eingeführt, um solche Fälle einzudämmen, in denen Ärzte über 200 Mal Medikamente verschrieben haben, die zum Tod führen.“ Das Verfassungsgericht entscheidet am Mittwoch über die Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen, also über die Frage: Kann eine Tätigkeit, die jedem Menschen erst einmal erlaubt ist, in dem Moment verboten sein, wenn ein anderer daraus ein Geschäftsmodell macht?

„Sollte das Gesetz gekippt werden, könnten sich natürlich vermehrt selbsternannte Sterbehelfer hervortun. Es wird meiner Meinung nach eine Tür in diese Richtung aufgehen. Das sorgt uns schon“, sagt Melching. Denn oft werde den Menschen dann zügiger geholfen zu sterben, wobei manche Menschen mit einem Suizidwunsch in dem Moment nur ihre aktuelle Lebenssituation und nicht gleich ihr Leben beenden wollten. Einzelfälle, in denen Sterbehelfer eine hohe Geldsumme verlangt und den Patienten zur Wahrnehmung des Angebots gedrängt hätten, seien mit Paragraph 217 besser verhindert worden. „Sollte das nun komplett gekippt werden, könnten Organisationen Aufwind bekommen, von denen ich die Sorge habe, dass nicht alle seriös sind.“

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Einige Palliativmediziner widersprechen jedoch ihrem eigenen Verband. So beklagt zum Beispiel der Wittener Arzt Matthias Thöns, der ebenfalls zu den Beschwerdeführern in Karlsruhe gehört, seine „ganz normale palliativmedizinische Tätigkeit wird kriminalisiert“. Laut einer Umfrage der DGP sind knapp drei Viertel der Ärzte schon mal um einen begleiteten Suizid gebeten worden. Schon in einem einzigen Fall jedoch mache er sich strafbar, fürchtet Thöns. Auch der Berliner Mediziner Michael de Ridder kämpft in Karlsruhe gegen das Gesetz. In extremen Einzelfällen, argumentiert er, könne die ärztliche Hilfe zum Suizid sogar geboten sein.

Wie sieht es in Deutschlands Nachbarländern aus?

  • Die Niederlande sind das erste Land weltweit, in dem aktive Sterbehilfe legalisiert worden ist. Seit dem 1. April 2002 ist sie dort unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Um Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, muss ein Patient aussichtslos krank sein und unerträglich leiden. Zudem muss er mehrfach darum gebeten und einen zweiten Arzt zurate gezogen haben. 2018 gab es rund 6585 Fälle von aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden. In mehr als 90 Prozent der Fälle handelte es sich nach Angaben von Behörden um Krebspatienten im letzten Stadium ihrer Krankheit.
  • Durch eine Gesetzesänderung ist aktive Sterbehilfe auch in Belgien seit dem 28. Mai 2002 unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Voraussetzung ist, dass sich der Patient in einer medizinisch ausweglosen Situation befindet, in der ein anhaltendes, unerträgliches physisches oder psychisches Leid besteht. Die Niederlande und Belgien sind die bislang einzigen EU-Staaten, die auch Kindern und Jugendlichen das Recht auf aktive Sterbehilfe einräumen.
  • In Luxemburg gibt es seit dem 16. März 2009 ein Gesetz für aktive Sterbehilfe. Die Voraussetzungen ähneln denen in Belgien. In Luxemburg aber können Jugendliche erst ab 16 Jahren unter Zustimmung ihrer Eltern die Sterbehilfe in Anspruch nehmen.
  • In der Schweiz ist aktive Sterbehilfe nicht ausdrücklich erlaubt, aber auch nicht ausdrücklich verboten. Im Strafgesetzbuch steht als Bedingung nur: Wenn jemand einen Selbstmord durch „selbstsüchtige Beweggründe“ unterstützt, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Ein Gesetz, das die Bedingungen regelt, gibt es in der Schweiz nicht.

Kann ich als Deutscher Sterbehilfe im Ausland wahrnehmen?

Ja, bisher ist das aber nur in der Schweiz möglich. Im Gegensatz zu den anderen Ländern sind dort bestimmte Formen der Sterbehilfe auch für Ausländer erlaubt. Unterstützung gibt es von der Organisation Dignitas, die legale Suizidhilfe gemäß der Schweizer Gesetzeslage anbietet. Seit 2005 hat der Verein auch eine Zweigestelle in Deutschland. Dignitas berät sowohl Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder zu allen Fragen rund um das Lebensende und in schwierigen Lebenssituationen. Der begleitete Freitod ist Mitgliedern vorbehalten.

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Damit der begleitende Freitod in Anspruch genommen werden kann, muss der Patient urteilsfähig sein und über eine minimale körperliche Aktionsfähigkeit verfügen. Zudem muss er an einer tödlichen Krankheit und/oder einer unzumutbaren Behinderung und/oder nicht beherrschbaren Schmerzen leiden.

Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern:

Telefon-Hotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste:

0800 - 111 0 111 (ev.)

0800 - 111 0 222 (rk.)

0800 - 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche)

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Email: unter www.telefonseelsorge.de

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