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Kraftwerk hängt am ukrainischen Netz

Warum Putin beim Betrieb des AKW Saporischschja von der Ukraine abhängig ist

Ein russischer Soldat steht vor dem Kernkraftwerk Saporischschja. (Archivbild)

Ein russischer Soldat steht vor dem Kernkraftwerk Saporischschja. (Archivbild)

Enerhodar. Mit der Übernahme des ukrainischen AKW Saporischschja hat Wladimir Putin das größte Kernkraftwerk Europas zu russischem Eigentum erklärt. Die Geschäfte soll eine neu gegründete Aktiengesellschaft übernehmen, wie eine Recherche des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) vom Mittwoch zeigt. Haupteigentümer sind demnach der russische Staatskonzern und Atomgigant Rosatom. Die Verstaatlichung hatte Putin per Dekret angekündigt, der von Russland eingesetzte neue Chef soll bereits vor Ort sein. Allerdings ist das AKW nach wie vor an das ukrainische Stromnetz angeschlossen. Um das zu ändern, wäre eine riskante Umstellung nötig.

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„Alle vier Hauptstromleitungen des AKW Saporischschja kommen aus dem ukrainischen Landesnetz“, erklärte der Ingenieur für Kernenergie, Sebastian Stransky von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, gegenüber dem RND. „Und die Hauptstromleitung, die das aktuell abgeschaltete Kraftwerk versorgt, führt direkt nach Norden in das von der Ukraine kontrollierte Territorium.“

Auch die drei Reservestromleitungen kämen demnach von einer Umspannstation, die ebenfalls aus dem ukrainischen Landesnetz versorgt wird. „Das ist eine völlig skurrile Situation. Die Russen sagen: ‚Das ist unser Kraftwerk‘, aber gleichzeitig brauchen sie die externe Stromversorgung aus der Ukraine, so Stransky.

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Alle sechs Reaktoren wurden heruntergefahren

Das AKW Saporischschja liegt auf dem Territorium der ukrainischen Stadt Enerhodar in der Region Saporischschja. Damit befindet es sich auf einem der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Gebiete. Von den sechs Reaktoren des Kernkraftwerkes wurde der letzte im September heruntergefahren. Somit befinden sich derzeit alle Reaktoren im Nachkühlbetrieb. Um diese Kühlung weiterhin zu gewährleisten, benötigt Russland den Strom aus der Ukraine. Gleichzeitig fließt aktuell in keines der beiden Länder Strom aus dem AKW Saporischschja. Wäre das Kernkraftwerk in Betrieb, hätte es eine Leistung von 6000 Megawatt.

04.10.2022, Sachsen-Anhalt, Leuna: Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen sind vor dem Abendhimmel bei Leuna zu sehen. Foto: Jan Woitas/dpa/ZB - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes ZB-Funkregio Ost +++ ZB-FUNKREGIO OST +++

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„Russland hat ein Interesse daran, dass die sechs Blöcke Strom produzieren, um die Versorgung der annektierten Gebiete sicherzustellen“, meint Stransky. Doch die drei Hauptleitungen, die in die annektierten Gebiete führen, sind nach Informationen des Kernenergieingenieurs nicht funktionsfähig. „Und wir haben zumindest Stand heute noch nicht gehört, dass diese Leitungen wieder instand gesetzt wurden.“

Eine komplette Umstellung auf das russische Netz sei ohnehin aktuell technisch nicht möglich, wie der Experte verdeutlicht. „Das Kraftwerk ist, so lange es am ukrainischen Landesnetz hängt, mit dem europäischen Stromnetz synchronisiert. Das heißt, es hat eine andere Frequenzlage als das russische Netz“, sagt er. Um das Kraftwerk an das russische Stromnetz anzuschließen, müsste es zuvor komplett vom ukrainischen Netz getrennt werden. „Das ist eine Angelegenheit, die ist nicht trivial“, schätzt Stransky die Lage ein.

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Stranksy: Umstellung des AKW Saporischschja auf russisches Netz würde zu Notstromfall führen

Denn dies sei schon in Friedenszeiten ein aufwendiges Unterfangen. „Würde man das AKW jetzt vom ukrainisches Netz trennen, würde das einen sogenannten Notstromfall herbeiführen“, erläutert der Kernenergieingenieur. Dann müssten die Reaktoren durch Notstromdiesel versorgt werden. „Das ist machbar, aber jeder Fachmann würde davon abraten“, sagt Stransky.

Aktuell sei die Situation aus seiner Sicht aber nicht angespannter als ohnehin in den vergangenen Monaten. „Solange die Stromversorgung des Kraftwerkes sichergestellt ist, die Betriebsmannschaften in Ruhe arbeiten können und solange gewährleistet ist, dass an allen Reaktoren die Nachkühlkette funktioniert, besteht keine unmittelbare Gefahr“, sagt Stransky.

Die Ukraine erklärte trotz der russischen Ankündigung, dass der Chef des ukrainischen Atomenergieunternehmens Enerhoatom, Petro Kotin, die Leitung des AKW Saporischschja übernehmen wird. Kotin erklärte, die Geschäfte aus Kiew zu leiten. Auch die ukrainische Belegschaft arbeitet weiterhin in dem Kernkraftwerk. Denn die Angestellten vor Ort lassen sich laut Stransky nicht so leicht austauschen. Für den Betrieb sei eine spezielle Ausbildung und Zulassung erforderlich.

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Stransky: Stromangebot der Ukraine an die EU weiterhin realistisch

Das Angebot der Ukraine aus dem Sommer, der EU mehr Strom zu liefern, hält der Ingenieur für Kernenergie trotz der neuen Entwicklungen für realistisch. Das ukrainische Angebot an die EU sei immer auf die anderen Kraftwerke in dem Land und nicht auf das AKW Saporischschja bezogen gewesen. „Die Kraftwerke haben die ganzen letzten Monaten immer nur wenig Strom geliefert, da der Bedarf in der Ukraine sehr gering war“, sagt Stranksy. Aber die anderen Kernkraftwerke und auch andere Stromlieferanten wie Kohlekraftwerke liefen ja weiter. „Insofern gehe ich davon aus, dass sie genügend Energie haben, die sie dann auch exportieren können“, so der Experte.

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Allerdings müsste die Ukraine nach seiner Einschätzung dann neue Sicherheitsvorkehrungen treffen. „Damit das ukrainische Netz abgesichert ist, für den Fall, dass es aus irgendwelchen Gründen von dem europäischen Netz getrennt wird.“

Wie es mit dem AKW Saporischschja weitergeht, ist laut dem Experten aktuell schwer vorherzusagen. Aber eines sei deutlich: „Nur zu sagen, da sitzt jetzt ein russischer Direktor in dem Kraftwerk und das ist jetzt ein russisches Unternehmen und versorgt die russischen Gebiete – so einfach ist es nicht.“

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