Entscheidet die Debatte über Benzinpreise die Wahl?
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Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock gerät in die Defensive.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Der Schutz des Klimas und die Folgen, die verstärkte Anstrengungen in diese Richtung für Geldbeutel, Arbeitsplätze und Lebensstil der Menschen haben, rücken immer stärker in den Fokus des Wahlkampfes. Die Grünen und ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock geraten dabei zunehmend in die Defensive. Baerbock hatte sich in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung der Forderung ihres Co-Vorsitzenden Robert Habeck nach einer schrittweisen Benzinpreiserhöhung um 16 Cent je Liter angeschlossen.
Für die politische Konkurrenz und auch für manche Medien war das eine Steilvorlage, zumal sich die Ölpreise derzeit auf dem höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren befinden, und teures Tanken im Autoland Deutschland noch immer zum Aufregerthema taugt.
„Unerträgliche Arroganz“ warf die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, der Grünen-Chefin vor. Baerbock betreibe Klimaschutzpolitik auf dem Rücken der kleinen Leute. „Es geht nicht, dass die Preise immer weiter nach oben gehen“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Und FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae forderte gar eine Benzinpreisbremse.
SPD-Chefin Saskia Esken warf Baerbock vor, mit ihrer Äußerung dem Klimaschutz zu schaden. „Wer jetzt wie Annalena Baerbock oder auch Andreas Jung von der CDU an der Spritpreis-Schraube drehen will, jagt gerade denen einen Schrecken ein, die auf ihr Auto angewiesen sind und die mit einem schmalen Budget haushalten müssen“, sagte Esken dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Solche Manöver führen womöglich dazu, dass sich die Bürgerinnen und Bürger vom gemeinsamen Engagement für unser Klima abwenden“, so die SPD-Chefin weiter. „Das wäre ein Bärendienst für unsere Umwelt.“
Grüne verteidigen Baerbock
Die Grünen weisen die Attacken zurück. Baerbock habe mitnichten eine Erhöhung um 16 Cent je Liter Kraftstoff gefordert, sondern in dem Interview darauf hingewiesen, dass eine Preiserhöhung um 6 Cent bereits zu Beginn des Jahres mit der Einführung eines CO₂-Preises auf Kraftstoffe erfolgt sei, heißt es aus der Partei. Somit habe die Parteichefin lediglich eine Anhebung um weitere 10 Cent je Liter gefordert, die durch den vom Bundestag beschlossenen Anstieg des CO₂-Preises ohnehin erfolgen würde.
Tatsächlich steigt der CO₂-Preis in Deutschland nach dem aktuell gültigen Klimaschutzgesetz bis 2025 von derzeit 25 Euro auf 55 Euro je Tonne. Nach Berechnungen des ADAC wird Benzin dadurch bis 2025 rund 15 Cent je Liter teurer sein, Diesel rund 17 Cent. Die Erhöhung befindet sich also exakt in dem von Baerbock beschriebenen Rahmen.
Allerdings wollen die Grünen und ihre Chefin den CO₂-Preis schneller erhöhen. Er soll bereits 2023 bei 60 Euro pro Tonne liegen und danach weiter ansteigen, heißt es im Entwurf ihres Wahlprogramms. Demnach wäre bis 2025 auch ein Preiszuschlag von mehr als 16 Cent drin.
Wahlkämpfer reiben sich die Hände
Doch solche Feinheiten gehen im Wahlkampf unter. Zumal die Erzählung zu gut in das bereits bestehende Narrativ der Grünen als Verbots- und Verteuerungspartei passt.
Und es ist wahr, dass vielen Basismitgliedern der Grünen das aktuelle Wahlprogramm zu zahm ist. Rund 3500 Änderungsanträge gibt es für den Parteitag Mitte Juni. Längst nicht alle dürfte die Parteispitze vorher entschärfen können.
Vor allem beim Klimaschutz fordern Teile der Basis mehr Ehrgeiz. Es gibt Anträge, die einen CO₂-Preis von 90 oder gar 120 Euro je Tonne bis 2023 fordern. Sprit, Heizöl, oder Erdgas würden damit in kürzester Zeit deutlich teurer – was auch Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft hätte.
Die Wahlkämpfer in den Parteizentralen reiben sich angesichts dieser Aussichten bereits die Hände. „Die Bewältigung des Klimawandels ist eine Menschheitsaufgabe, die kann man nicht im politischen Elfenbeinturm erreichen“, sagt SPD-Chefin Saskia Esken. Der CO2-Preis sei ein Steuerungsinstrument, das nicht für sich alleine stehen dürfe. „Es braucht massive Investitionen in klimafreundliche Alternativen und es braucht den sozialen Ausgleich, damit niemand überfordert wird“, forderte die SPD-Chefin.
Das die Grünen diesen Ausgleich sehr wohl mitgedacht haben, dass sie alle Einnahmen aus dem CO2-Preis als „Energiegeld“ an die Menschen zurückgeben wollen, dass auch die CDU nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal an der Preisschraube drehen will - geschenkt. Es ist eben Wahlkampf.