Branche fehlen 250.000 Fachkräfte

Mit Tiktok-Videos gegen das Nachwuchsproblem: wenn Handwerker zu Influencern werden

Luis Bauer ist Bestatter und Influencer.

Luis Bauer ist Bestatter und Influencer.

München. Luis Bauer liegt im offenen Sarg. „Irgendwann landen wir alle mal hier drin, denn der Tod ist Realität“, sagt der Jugendliche im Plauderton. Dann steigt er im Internetvideo aus der letzten Ruhestätte und erklärt sich. „Ich bin 17 Jahre alt und arbeite im Bestattungsunternehmen meines Vaters als Einbalsamierer.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der junge Fürther ist aber mehr als das. In sozialen Netzwerken tritt er als Influencer auf. Seinen ersten Toten habe er als Grundschüler gesehen, erklärt der Jungbestatter die Anfänge seiner beruflichen Laufbahn. Sobald er im Gespräch erwähne, was er arbeite, müsse er immer erzählen. „Da habe ich mir gedacht, das muss doch auf sozialen Medien auch funktionieren.“ Tut es. 1,2 Millionen Menschen folgen Luis Bauer auf Tiktok, weitere gut 100.000 Follower sind es auf Instagram.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von TikTok, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Er ist mit dieser Zweitkarriere neben dem Handwerksberuf nicht allein. tschulique folgen über eine halbe Million Fans auf Instagram. Mit richtigem Namen heißt die 29-jährige Maurermeisterin Julia Schäfer. „Das ist meine Passion“, sagt sie zur Berufswahl. Es gebe wenig Schöneres, als über einer Baustelle die Sonne aufgehen zu sehen, findet die Kraichgauerin und versucht, speziell Mädchen für Bauberufe zu begeistern.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Instagram, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Dem deutschen Handwerk fehlt der Nachwuchs

Als Influencer mit vielen Followern könne man schon auch Geld verdienen, räumen Schäfer und Bauer ein. Aber Ausgangspunkt oder Hauptgrund sei das in ihrem Fall nicht, betonen beide. Man könnte sagen, dass Sendungsbewusstsein der eigentliche Antrieb ist. „Früher musste ich mich oft rechtfertigen, dass ich auf der Baustelle schaffe“, erklärt die mauernde Influencerin. „Du bekommst doch nicht einmal einen Stein hoch“, habe sie sich anhören müssen. Mit ihren Videos auf sozialen Netzwerken zeige sie jetzt, dass auch Mädels auf dem Bau arbeiten können. „Ich will Nachwuchs generieren, und das geht am schnellsten über soziale Medien“, sagt sie.

Im deutschen Handwerk tut das bitter not. Mehr als 250.000 Beschäftigte fehlen bundesweit über alle Gewerke hinweg. Zehntausende Lehrstellen bleiben jedes Jahr unbesetzt. Handwerksbetriebe schließen, weil es an Nachfolgern fehlt. Das Handwerk braucht Fürsprecher. Die bekommt es in Bauer, Schäfer und Co. Die 29-Jährige weiß von einer Handvoll junger Frauen, die wegen ihrer Kanäle auf sozialen Medien am Bau eine Ausbildung begonnen haben. Baufluencer haben aber auch andere Beweggründe.

Was treibt die Influencer an?

„Das ist Anerkennung für unsere Kollegen“, sagt Felix Schröder alias gipserfelix. Er arbeitet als Gipser und Stuckateur im elterlichen Baubetrieb und hat das dortige Schaffen erst auf dessen Website in Form von Videos festgehalten, um eine neue Art von Mitarbeiterbindung zu schaffen. Heute folgen ihm bei Instagram 40.000 Menschen. Das seien überwiegend andere Handwerker, weiß er. Etwa ein Zehntel seien Bauherren. Hin und wieder erhalte man aus dem Kreis auch einen neuen Auftrag. Aber ernsthaft werblich angelegt sei sein Internetauftritt nicht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Eine Mischung aus Selbstdarstellung und die etwas andere Art von Kundenbetreuung ist es bei Malermeisterin Jessica Jörges. Ihr Instagram-Name lautet buntezukunft und beschreibt die Seite damit recht gut. „Meine Kunden freuen sich, wenn ihr Wohnzimmer viele Klicks bekommt“, sagt sie über dort abgelichtete Malerarbeiten. Auch die Malermeisterin zielt auf Nachwuchsakquise. „Ausbildung liegt mir am Herzen“, sagt sie. Daneben gibt es Sanierungs- und Pflegetipps.

„Die nachfolgende Generation ist nicht mehr so bereit, auch samstags zu arbeiten“:  Der Fleischer Harald Knigge – hier in der Filiale in Gehrden – fragt sich, ob er einmal einen Nachfolger für seinen Betrieb finden wird.

Seit zwei Jahren keine Bewerbung: Warum Fleischer wie Harald Knigge um die Zukunft ihrer Branche fürchten

Fast 100 Jahre alt ist die Fleischerei Knigge aus Ronnenberg bei Hannover. Jetzt fragt sich Inhaber Harald Knigge, ob er den Familienbetrieb eines Tages schließen muss, weil kein Nachfolger in Sicht ist. Der Fall steht stellvertretend für die Krise einer ganzen Branche.

Mit der Kamera auf die Baustelle

Bauer indessen sticht durch seine jungen Jahre und den Bestatterberuf aus dem Reigen der Baufluencer heraus. Was er auf seiner Seite leiste, sei teils Trauerhilfe, erzählt der ungewöhnlich reif wirkende 17-Jährige. Mal reagiere er auf Follower-Anfragen wie die, was bei Verstorbenen mit Zahnspangen passiert. „Die bleibt drin und wird nicht mit einer Zange rausgebrochen“, sagt er. Menschen, die trauern, wollten oft genau wissen, was mit Verstorbenen passiert, und fühlten sich besser, wenn sie es erfahren.

„Wenn es jemand nicht so genau wissen will, kann er ja weiterwischen“, sagt Bauer über seine mit einem Lächeln präsentierte Seite. „Ich will es nicht trauriger machen, als es ohnehin schon ist“, erklärt er den launigen Ansatz. Es komme mittlerweile mit weit über einer Million Followern auch vor, dass er aus seiner Branche angesprochen wird, um etwa das neue Modell eines Bestattungswagens zu präsentieren. Auch tschulique hat Partner etwa für Arbeitskleidung. „Aber man hat auch viel Arbeit“, erklärt die Maurermeisterin.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Dem Handwerk fehlen vor allem Frauen

Das Handwerk in Deutschland zählt über eine Million Betriebe mit 5,6 Millionen Beschäftigten und etwa 360.000 Lehrlingen, die zuletzt in der Summe für 668 Milliarden Euro Jahresumsatz verantwortlich waren. Es ist damit ein Rückgrat der heimischen Wirtschaft, das aber seit Jahren unter Nachwuchssorgen leidet. Ein Grund ist, dass akademische Bildung mit Gymnasium und Universität vor allem auch von Eltern für ihre Kinder immer noch bevorzugt wird. Vor allem Frauen sind im Handwerk zudem weiterhin stark unterrepräsentiert. Nur etwa jeder sechste Lehrling war zuletzt weiblich und nur rund jede fünfte Meisterprüfung wird von einer Kandidatin abgelegt. Dabei sorgt moderne Technik dafür, dass auch Frauen die meisten als Männerberufe verschrienen Tätigkeiten mittlerweile problemlos ausüben können, sagen Handwerker und Influencer aus ihrem Kreis. Frauen in Männerberufen werden aber langsam mehr.

Zwischen 5 und 6 Uhr morgens steht sie auf und ist dann bis 17 oder 18 Uhr am Bau. Wenn die junge Frau mauert, läuft am Stativ ihre Handykamera. Danach kämen zwei Stunden Buchhaltung. „Dann geht die Social-Media-Arbeit los“, beschreibt sie den Arbeitstag. Mehrere Stunden Arbeit am Bau schneide sie dann auf ein paar Minuten für Instagram zusammen. Da werde es auch mal 2 Uhr nachts. Für Nachahmer, die ihrerseits Handwerksberufe schmackhaft machen wollen, hat die Baufluencerin noch einen Tipp. „Nicht schauspielern, immer bei sich bleiben“, verrät tschulique.


Mehr aus Wirtschaft

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken