Bundesregierung unter Zugzwang: Was hinter dem Hilferuf nach Staatsanleihen des Gasimporteurs VNG steckt
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/65Y22WRZOJGU5PVQPMG4CFIIGM.jpeg)
Der Untergrund-Gasspeicher der VNG AG in Sachsen-Anhalt.
© Quelle: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Berlin/Frankfurt am Main. Jetzt muss auch der Erdgasimporteur VNG vom Staat gestützt werden. Das Leipziger Unternehmen und die Muttergesellschaft EnBW beantragten am Freitag sogenannte Stabilisierungsmaßnahmen. VNG ist nur ein Beispiel für die extrem kritische Lage vieler Energieunternehmen in der EU. Es drohen Versorgungsengpässe, weil vielen Firmen das Geld zum Abschließen neuer Lieferverträge fehlt.
Im Bundeswirtschaftsministerium zeigte man sich ob des VNG-Antrags überrascht. Offenbar ging der schriftliche Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen erst nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Meldung durch EnBW ein. Der Antrag liege vor, sagte eine Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir werden diesen jetzt umfassend prüfen.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte am Freitag: „VNG hat heute ja offiziell gesagt, dass sie staatliche Unterstützung brauchen, und die werden wir auch hinbekommen.“ Man sei auf einem „sehr, sehr guten Weg, und das wird zeitnah geklärt werden“.
Bundesnetzagentur warnt: Zahlungen für Gas werden sich verdreifachen
Mit Blick auf das kommende Jahr hat die Bundesnetzagentur erwartungsgemäß keine guten Nachrichten für Verbraucherinnen und Verbraucher.
© Quelle: dpa
Ursache für die Schieflage sind ausbleibende Lieferungen von russischem Erdgas, für die nun zu extrem hohen Preisen Ersatz beschafft werden muss. Zugleich haben die Leipziger ihre Kunden, das sind vor allem Stadtwerke, zu den vorher vereinbarten Konditionen, die auf einem deutlich niedrigeren Preisniveau liegen, weiter beliefert. Das Resultat sind Verluste.
Bundesregierung unter Zugzwang
Details, etwa die beantragten Summen, teilte das Ministerium von Robert Habeck (Grüne) nicht mit. Es kann sein, dass VNG diese auch noch gar nicht näher beziffert hat. Nach RND-Informationen ist es in solchen Fällen üblich, dass Unternehmen die Bundesregierung in einem ersten Schritt über ihre Schieflage informieren und erst danach ergänzende Unterlagen einreichen. VNG beruft sich bei seinem Antrag auf Paragraph 29 des Energiesicherungsgesetzes, der die Möglichkeit von staatlichen Hilfen für Unternehmen der kritischen Energieinfrastruktur regelt. Ein Antrag muss beim Wirtschaftsministerium gestellt werden, das zusammen mit dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt darüber entscheidet.
Zwar gibt es keinem Rechtsanspruch auf Staatshilfen, da VNG aber als drittgrößter Gasversorger des Landes rund 400 Stadtwerke und Industriekunden beliefert und außerdem der zweitgrößte Betreiber von Fernleitungen sowie der drittgrößte von Gasspeichern ist, gilt es als unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung das Unternehmen fallen lassen wird.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VHGC2EUDVZDBDBSV5XOUNP24L4.jpeg)
„Machen es uns zu einfach, wenn wir alles Putin in die Schuhe schieben“
Entlastungspakete? Tankrabatte? Nach Ansicht des Ökonomen Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ist der Inflation damit nicht beizukommen. Die aktuelle Geldentwertung werde von vielen Faktoren angeschoben, nicht nur vom Gaspreis. Die gesamte Euro-Zone brauche dringend eine geldpolitische Zeitenwende.
Die Verhandlungen über eine staatliche Rettung könnten gleichwohl schwierig werden, da VNG mit der Konzernmutter EnBW über einen finanziell potenten Mehrheitsgesellschafter verfügt. In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung bei ähnlich gelagerten Fällen einen deutlichen Rettungsbeitrag der Aktionäre gefordert. Im Fall VNG allerdings wäre auch davon ebenfalls die öffentliche Hand betroffen. An dem Unternehmen sind neben der EnBW vor allem ostdeutsche Kommunen beteiligt, EnBW wiederum gehört dem Land Baden-Württemberg sowie Städten und Gebietskörperschaften im Südwesten.
EnBW teilte mit, es gehe insbesondere um zwei Lieferverträge über 100 Terawattstunden für russisches Erdgas – damit können gut drei Millionen Haushalte versorgt werden. Ein Kontrakt mit dem Staatsmonopolisten Gazprom habe ein Volumen von 35 Terawattstunden jährlich. Diese Vereinbarung, die Ende des Jahres auslaufe, werde „absehbar nicht mehr bedient“.
Die Mutter EnBW hat bereits viele Millionen lockergemacht
Der zweite Vertrag umfasst 65 Terawattstunden bei einem „inländischen Vorlieferanten“ – nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters soll es sich dabei um die Firma Sefe (früher: Gazprom Germania) handeln, die von der Bundesnetzagentur – also vom Staat – treuhänderisch geführt wird. Seit Mitte Mai werde dieser Vertrag nicht mehr durchgängig bedient. VNG habe die Ersatzbeschaffungen im August bei historisch hohen Gaspreisen anders als zuvor erwartet zu erheblichen Teilen tragen müssen. Mit der Bundesregierung scheint es da einige Friktionen zu geben. Man habe versucht, eine Einigung zu finden. „Diese erscheint jedoch kurzfristig und für VNG wirtschaftlich tragfähig nicht erreichbar“, so EnBW.
Als Folge der erfolglosen Gespräche habe EnBW seine Tochter bereits mit Bürgschaften und Kreditlinien „in hoher dreistelliger Millionenhöhe“ unterstützt. Der Konzern nennt Belastungen für seine Halbjahresbilanz in Höhe von 550 Millionen Euro.
Eigentlich soll die neue Gasumlage, die zum 1. Oktober eingeführt werden soll, den Importeuren aus der Klemme helfen. Sie wird laut EnBW die Einbußen aber bei Weitem nicht ausgleichen. Die gesamten Auswirkungen der VNG-Verluste für den EnBW-Konzern könnten noch nicht zuverlässig geschätzt werden. Kürzlich hieß es, der potenzielle Gesamtschaden durch die beiden Verträge liege im einstelligen Milliarden-Euro-Bereich.
Unter den großen deutschen Energieunternehmen wird bereits Uniper mit einem staatlichen Rettungspaket gestützt, das mittlerweile 19 Milliarden Euro umfasst. Auch in anderen Ländern müssen die Regierungen der Branche kräftig unter die Arme greifen. Reuters listet aktuell Hilfspakete in knapp einem Dutzend europäischer Staaten auf.
Extrem hohe Anzahlungen für Lieferverträge
Laut Helge Haugane vom norwegischen Energiekonzern Equinor benötigen Strom- und Gasunternehmen in Europa (ohne Großbritannien) insgesamt mindestens 1500 Milliarden Euro, um die finanziellen Risiken wegen der steigenden Gaspreise stemmen zu können, die auch die Strompreise in astronomische Höhen katapultiert haben.
Denn für Energieverträge gibt es massenweise sogenannte Margin Calls: Wer Strom beispielsweise zur Lieferung im nächsten Jahr bei Zwischenhändlern kauft, muss eine Anzahlung überweisen. Da sowohl die Gas- als auch die davon abhängigen Strompreise außer Kontrolle sind, werden die Sicherheitsleistungen massiv heraufgesetzt.
Der Grund: Die Notierungen an den Energiebörsen schwanken extrem – kürzlich ging der Gaspreis an einem Tag um rund 35 Prozent in die Höhe. Die Volatilität macht die Geschäfte unsicherer, deshalb setzen die Verkäufer die Anzahlungen erheblich herauf, um sich selbst abzusichern.
Diese Entwicklung mache es für eine „zunehmende Zahl von Unternehmen fast unmöglich, ihre Absicherungspositionen offen zu halten, was ihren Rückzug aus den Terminmärkten auslöst“, zitiert Reuters aus einem EU-Dokument. Im Klartext: Energieversorger könnten demnächst ohne Verträge dastehen und nicht mehr liefern. Der belgische Premierminister Alexander De Croo hat bereits vor Deindustrialisierung und sozialen Unruhen gewarnt.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Am Freitag berieten die EU-Energieminister gemeinsam mit der Kommission über Schritte gegen die exorbitant teure Energie. Preisobergrenzen in verschiedenen Varianten für Strom und Gas wurden diskutiert, verbindliche Beschlüsse wurden aber nicht erwartet. Laut Diplomaten bestand aber zumindest bei weiteren Hilfen für Energieunternehmen weitgehend Konsens. Haugane sieht indes als einzigen Weg aus der Klemme, den Gasverbrauch um mindestens 15 Prozent zu stutzen.
Der für Europa maßgebliche Börsenpreis für Erdgas sank am Freitag bis zum Nachmittag um knapp 6 Prozent auf 208 Euro pro Megawattstunde, Ende August waren es fast 350 Euro, vor einem Jahr nur 31 Euro gewesen. Strom zur Lieferung am nächsten Tag für Deutschland kostete zur gleichen Zeit rund 340 Euro pro Megawattstunde – achtmal mehr als vor einem Jahr.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter.