Was ein Ölembargo für Deutschland bedeuten könnte
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Bei der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kommt Rohöl aus Russland an.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Berlin/Brüssel. Brüssel macht es spannend. Seit Tagen wird erwartet, dass die EU-Kommission Vorschläge für ihre sechstes Sanktionspaket gegen Russland vorlegt, dessen zentraler Bestandteil – nach allem, was man weiß – ein Embargo für russisches Öl sein soll. Doch noch ist das das nicht geschehen.
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Es sind vor allem Ungarn und die Slowakei, die noch Widerstand leisten. Beide Länder sind in hohem Maße abhängig von Öllieferungen aus Russland. Sanktionen müssen in der EU einstimmig getroffen werden, im Zweifel könnte jede Regierung das Paket im Alleingang aufhalten. Hinter den Kulissen laufen intensive Verhandlungen, um eine einheitliche europäische Linie zu finden. Erwogen wird Insidern zufolge, Budapest und Bratislava mit längeren Übergangsfristen zu überzeugen.
Dem Vernehmen nach wird die EU auch die größte russische Bank, die Sberbank, mit Sanktionen belegen. Es hieß, die Sberbank werde vom internationalen Bankenkommunikationssystem Swift abgeschnitten. Die Gazprombank, über deren Konten die Europäer ihre Gasgeschäfte mit Russland abwickeln, bleibt dagegen offenbar weiter von Sanktionen befreit.
Im Visier der EU sind zudem weitere Einzelpersonen in Russland. Deren Vermögenswerte in Europa sollen eingefroren werden. Auch Lobbyisten, die Unternehmen in Russland beraten, sollen auf die Sanktionsliste, hieß es in Brüssel.
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Unabhängig davon laufen in Deutschland die Vorbereitungen für ein Ende der Lieferungen aus Russland. Von 35 auf zwölf Prozent hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) laut eigenen Angaben den Anteil Russlands an der deutschen Erdölversorgung seit Kriegsausbruch gedrückt.
Eine Stadt ist besonders betroffen
Habecks Problem: Die zwölf Prozent entfallen nahezu vollständig auf die PCK-Raffinerie in Schwedt, die über die aus Russland kommende Pipeline „Druschba“ (deutsch: Freundschaft) mit Rohöl versorgt wird und deren Mehrheitsgesellschafter der staatliche russische Ölkonzern Rosneft ist. Das ist in mehrerlei Hinsicht ein Problem, denn weder will Rosneft von russischem Öl lassen, noch ist das Unternehmen sonderlich gesprächsbereit, was die mittel- und langfristige Perspektive des Industriebetriebs angeht.
Habeck hält Öl-Embargo der EU gegen Russland für „sehr wahrscheinlich“
Am Dienstag werde die EU-Kommission Vorschläge für ein sechstes Sanktionspaket vorlegen, sagte Habeck. Dort werde sicherlich einiges zu Öl drin stehen.
© Quelle: Reuters
In der Stadt an der Oder ist die Unsicherheit derzeit mit Händen greifbar. 1200 Menschen arbeiten bei der Raffinerie, deren gewaltiges Gelände sich vor den Toren erstreckt. Zwar entspricht die Belegschaft nur noch einem Bruchteil jener 8000 Werktätigen, die zu DDR-Zeiten beim damaligen Petrochemischen Kombinat in Lohn und Brot standen, doch der wichtigste Arbeitgeber in der Region ist die Raffinerie auch heute noch.
Politiker aus Bund und Land bemühen sich derzeit nach Kräften, den Menschen in Schwedt, die bereits einen Strukturbruch hinter sich haben, zu beruhigen. Zum Beispiel am Montag, als Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) die Stadt und das Werksgelände besucht. „Die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass PCK eine Zukunft hat“, verspricht Kellner. Es sei nun das wichtigste Ziel, die Versorgungslage sicherzustellen.
Dabei geht es nicht nur um die Arbeitsplätze in Schwedt, sondern auch um die Versorgung weiter Teile Ostdeutschlands sowie der Metropolregion Berlin mit Diesel, Super, Heizöl und Kerosin. „Im Osten wird es rumpelig werden“, hatte Wirtschaftsminister Habeck Anfang der Woche für den Fall angekündigt, dass ein Embargo unmittelbar in Kraft treten werde. Man müsse sich dann auf Preissprünge beim Sprit einstellen und womöglich auch auf temporäre Lieferengpässe.
„Wenn Sanktionen zu Preisanstiegen und Brüchen in den Lieferketten führen, erschwert dies auch die Leistungsfähigkeit beim Umstieg auf Erneuerbare Energien. Das wäre kontraproduktiv“, warnt die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer. Ein Embargo, das von Seiten der Europäischen Union erst zu einem späteren Zeitpunkt oder gar zeitlich noch nicht absehbar leistbar sind, sollte nicht schon heute angekündigt werden“, so die SPD-Politikerin weiter. „Letzteres bedeutet Preissteigerungseffekte und legt Abhängigkeiten offen. Beides würde im Zweifel nur dem eigentlichen Adressaten der Sanktionen nutzen, was es zu vermeiden gilt“, argumentiert sie.
Um die Auswirkungen zu begrenzen, arbeitet das Wirtschaftsministerium seit Wochen daran, an alternativen Bezugsquellen für Schwedt zu finden. 55 bis 60 Prozent des benötigen Öls könnten per Schiff über den Hafen Rostock kommen. Mehr geht nicht, da die bestehende Pipeline von Schwedt zur Ostsee über einen vergleichsweise geringen Durchmesser verfügt.
Die übrigen 40 bis 45 Prozent könnten in Danzig angelandet und über die Druschba nach Schwedt geleitet werden. Das Problem: Die polnische Regierung hat signalisiert, zu einem solchen Schritt nicht bereit zu sein, solange sich die Raffinerie mehrheitlich in russischer Hand befindet. Völlig unklar ist auch, ob Rosneft bei einem solchen Deal mitmachen würde.
Um im Falle eines Falles durchgreifen zu können, hat der Deutsche Bundestag in der vergangenen Woche eine Neufassung des Energieversorgungsgesetzes beschlossen, die es der Bundesregierung erlaubt, kritische Infrastruktur unter Treuhandverwaltung zu stellen und notfalls sogar zu enteignen. Die Regelung ziele ausdrücklich auf die Raffinerie in Schwedt, heißt es in Berliner Koalitionskreisen.
Ob sie zur Anwendung kommt, kann derzeit niemand vorhersagen. Der Ölkonzern Shell, neben Rosneft zweiter wichtigster Anteilseigner der Raffinerie, hat der Bundesregierung zugesagt, sich im Fall eines Embargos um den Öleinkauf in Rostock kümmern zu wollen. Alles andere ist derzeit ungewiss.