Melden statt ignorieren: Sexuelle Belästigung im Job nicht einfach hinnehmen

Wer auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht direkt reagieren kann, hat auch später noch das Recht, sich bei der zuständigen Stelle im Unternehmen zu beschweren.

Wer auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht direkt reagieren kann, hat auch später noch das Recht, sich bei der zuständigen Stelle im Unternehmen zu beschweren.

Berlin. Frau Müller hat ihren ersten Tag im neuen Job. Schon das erste Teammeeting läuft anders als geplant. Ihr neuer Kollege Herr Meier hilft ihr aus dem Mantel und sagt grinsend: "Frauen auszuziehen war schon immer mein Hobby." Die Kollegen lachen, Frau Müller fühlt sich unwohl und sagt nichts.

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Von Fällen wie diesen hört Anette Diehl vom Frauennotruf Mainz immer wieder. Sie ist auf Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz spezialisiert und berät Betroffene, Betriebsräte oder Führungskräfte.

Betroffene möchten die Situation oft nicht ansprechen

"Den Frauen ist Unterschiedliches passiert. Manche berichten von aufdringlichen Blicken und Anstarren bis hin zu sexistischen Sprüchen oder sogar körperlichen Übergriffen", sagt Diehl. Für Betroffene sei es schwer, die Situation anzusprechen. Oft verharmlosten Kollegen und Vorgesetzte die Vorfälle. ""Herr Meier ist ein ganz Lieber, der meint das nicht so" ist eine Reaktion, die viele hören", so Diehl.

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Dabei ist das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) in seiner Definition von sexueller Belästigung eindeutig: Darunter fallen alle unerwünschten Verhaltensweisen, die einen sexualisierten oder geschlechtsbezogenen Hintergrund haben.

"Es kommt also nicht darauf an, wie Herr Meier den Spruch gemeint hat. Wenn Frau Müller diesen als Entwürdigung erlebt, ist es qua Definition AGG eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz", so Diehl.

Belästigung als Form der Machtdemonstration

Auch wenn der Begriff es suggeriert, muss hinter sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nicht unbedingt individuelles sexuelles Interesse stehen. "Es geht meist um Machtausübung und die Herabwürdigung der anderen Person in ihrer Autorität", sagt Dunja Langer vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

In der Regel geht sexuelle Belästigung von Männern aus und trifft Frauen. Laut einer Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2019 hatten in den vergangenen Jahren 13 Prozent der Frauen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Bei den Männern lag der Anteil bei 5 Prozent.

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Täter sind oft die eigenen Kollegen

Anette Diehl berät oft Angestellte oder Auszubildende, die von ihren Chefs oder Vorgesetzten belästigt werden. "Studien zeigen jedoch, dass die Übergriffe in der Regel von Männern der gleichen Hierarchieebene ausgehen", sagt sie.

Betroffene müssen sich das verletzende Verhalten nicht gefallen lassen. Arbeitnehmer haben laut Paragraf 13 AGG das Recht, bei der zuständigen Stelle ihres Betriebes Beschwerde einzulegen und müssen von dieser ernstgenommen werden.

Da jeder Vorfall einzigartig ist, gibt es laut einem Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle keine Verhaltenstipps, die immer anwendbar sind. Auch Diehl vom Frauennotruf analysiert mit den Ratsuchenden deren individuelle Situation. Gemeinsam überlegen sie, wie diese vorgehen können.

Belästigungen am besten sofort ansprechen

In der akuten Situation bietet es sich an, die Belästigung sofort anzusprechen. "Man sollte das nicht ignorieren oder auf die lange Bank schieben, sondern gleich deutlich machen: "Ich möchte das nicht!"", sagt Langer vom DGB.

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Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) empfiehlt in einem Ratgeber, eine klare Ansage in drei Schritten zu machen: Zunächst sollten Opfer aussprechen, was gerade passiert ist und dann erklären, was das mit ihnen macht. In einem letzten Schritt sollten sie das Gegenüber auffordern, das Verhalten künftig zu unterlassen. Konkret kann das laut BGW zum Beispiel so aussehen: „Sie haben gerade eine sexuelle Anspielung gemacht. – Das verletzt mich. – Unterlassen Sie das!“

Auch hinterher darf die Belästigung noch gemeldet werden

Spontan zu reagieren, fällt jedoch nicht allen Betroffenen leicht, weiß Diehl aus Erfahrung. Sie würden von den Belästigungen kalt erwischt und fühlten sich zunächst oft wie gelähmt.

Wer in der akuten Situation nicht reagieren kann, hat auch hinterher das Recht, eine Belästigung anzusprechen oder zu melden. Mögliche Kontaktpersonen im Unternehmen sind etwa Gleichstellungsbeauftragte, Betriebs- und Personalräte oder vertrauenswürdige Kollegen.

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Arbeitgeber in die Pflicht nehmen

Insbesondere direkte Vorgesetzte sollten sich laut Diehl um Vorkommnisse kümmern. Viele seien jedoch überfordert und wüssten nicht, wie sie vorgehen sollen. Problematisch sei es auch, wenn Chefs selbst Täter sind.

Wer das erlebt, kann sich etwa an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder regionale Beratungsstellen wenden. Auch das bundesweite "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen" bietet Beratung an. Letzteres ist rund um die Uhr unter der Rufnummer 08000 116 016 zu erreichen.

Wer sich unwohl fühlt, darf zu Hause bleiben

Kommt es immer wieder zu Belästigungen, sollten Betroffene die Vorfälle einzeln und genau protokollieren. Wenn sie mit ihren Beschwerden im Unternehmen nichts erreichen, haben sie nach Paragraf 14 AGG ein Leistungsverweigerungsrecht.

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Demnach dürfen sie “als letztes Mittel“ der Arbeit fernbleiben und weiterhin das volle Gehalt verlangen, um der Belästigung zu entgehen. Im Zweifelsfall müssen sie aber nachweisen, dass die Leistungsverweigerung gerechtfertigt war und ihr Arbeitgeber nicht angemessen gegen die Belästigung vorgegangen ist. Eine rechtliche Absicherung und Beratung etwa durch die Rechtsabteilung einer Gewerkschaft oder bei einem Anwalt ist also in jedem Fall wichtig.

Daneben kann der Umgang des Unternehmens mit sexueller Belästigung entscheidend sein: Neben einer klaren Betriebsvereinbarung müssten Schlüsselfiguren im Betrieb für das Thema sensibilisiert sein und Verantwortung übernehmen, sagt Diehl. "Es braucht außerdem eine klare Haltung in der Führungsspitze: Bei uns ist sexuelle Belästigung nicht erlaubt. Wir akzeptieren so ein Verhalten nicht."

RND/dpa

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