Zeitkapsel in 30 Metern Tiefe
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Das historische Foto zeigt deutsche U-Boote vom Typ UB II aus dem Ersten Weltkrieg. Das auf dem Grund der Nordsee vor Ostende in Belgien gefundene U-Boot ist vermutlich vom selben Typ.
© Quelle: dpa
Rostock/Ostende. Seit einem Jahrhundert liegt der stählerne Sarg unberührt auf dem Grund der Nordsee. Nun versuchen Experten, sein Geheimnis ans Licht zu bringen. Der Taucher Tomas Termote entdeckte im Sommer an der Küste des belgischen Badeorts Ostende ein gesunkenes deutsches U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg. Jetzt machten die Behörden in Flandern den Fund öffentlich. Das Besondere ist der ungewöhnlich gute Zustand des Wracks. Die Luken sind geschlossen, die Außenhülle ist intakt. Im Inneren befinden sich wahrscheinlich noch die sterblichen Überreste der mutmaßlich 23-köpfigen Besatzung.
Experten sind von der Entdeckung wie elektrisiert. „So etwas gibt es sehr selten“, sagt Florian Huber, Taucher und Archäologe aus Kiel. Meist würden die Schiffskörper im Laufe der Jahre von Schleppnetzen in Stücke gerissen und von skrupellosen „Raubtauchern“ leergeplündert. „Ein derart abgeschlossenes Wrack ist wie eine Zeitkapsel“, erklärt Huber. Kleidung, Ausrüstung, sogar Papier könne erhalten bleiben. „Vorausgesetzt, der Deckel bleibt zu“, meint der Fachmann, der mehrere gesunkene Weltkriegs-U-Boote untersucht hat. In ähnlichen Fällen wurden sogar noch lesbare Tagebücher gefunden. Huber berichtet von einem Wrack, in dem zwei Schädel mit Einschusslöchern lagen – die eingeschlossenen Seeleute setzten ihrem Leben offenbar selbst ein Ende, um einem qualvollen Erstickungstod zu entgehen. „Wasser konserviert sehr gut“, sagt Archäologe Huber. Das Fehlen von Wasseraustausch und eindringenden Sedimenten bremse den Zerfall. Dass das Wrack von Ostende geflutet ist, gilt als sehr wahrscheinlich. Der dick mit Algen und Muscheln bewachsene Stahlkoloss liegt auf der Steuerbordseite. In 30 Meter Tiefe, laut belgischen Medien in der Nähe des Hafen von Ostende. Die genaue Lage ist geheim.
Laut Entdecker Termote handelt es sich wahrscheinlich um ein Boot vom Typ UB II. Das kleine Einhüllen-Boot wurde ab 1915 gebaut und konnte 50 Meter tief tauchen. Holländischen und belgischen Zeitungen zufolge ist das Wrack angeblich sogar schon so gut wie identifiziert: Es soll demnach entweder „UB 27“, „UB 29“ oder „UB 32“ sein. Alle drei gehörten zur Flämischen Flotille der kaiserlichen Marine, die vor der belgischen Küste vor allem Handelsschiffe versenkte. Von den 19 U-Booten der Flottille ereilte 15 das gleiche Schicksal.
Noch sind jede Menge Fragen offen. UB 27, 29 und 32 wurden von britischen Kriegsschiffen und Flugzeugen versenkt. Das Ostender Wrack weist dagegen Schäden am Bug auf, die auf eine durch Kabel ferngezündete Seemine deuten, heißt es bei den Entdeckern. Auch zur Länge des Wracks gibt es verschiedene Angaben. Mal sind es 27 Meter, mal 36.
„Es wird nicht lange dauern, bis wir wissen, welches Schiff es ist“, glaubt Jürgen Weber, Geschäftsführer beim Verband Deutscher U-Bootfahrer. Bis Jahresende sind weitere Tauchgänge geplant, die deutsche Botschaft hat bereits Besatzungslisten angefordert. Trotz der langen Zeit, die seit den Seeschlachten des Ersten Weltkriegs verstrichen ist, gibt es fast immer noch Bezüge in die Gegenwart.
Vor einem Jahr fanden Taucher vor der dänischen Nordseeküste ein U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg. Wie sich herausstellte, kam dessen Kommandant aus Stralsund (die OZ berichtete)
„Es wird noch viele solcher Funde geben“, ist Fregattenkapitän a. D. Weber überzeugt. Auf dem Grund der deutschen Ostsee, in der die tauchenden Kriegsschiffe seltener kreuzten, vermutet er „vier bis fünf“ bislang unentdeckte U-Boot-Wracks aus dem Ersten Weltkrieg. In der Wismarer Bucht vor Boltenhagen stieß ein Taucher Anfang der 1990er-Jahre auf ein gesunkenes Kleinst-U-Boot der „Seehund“-Klasse, mitsamt der toten, zweiköpfigen Besatzung. Das Wrack und Seegrab wurde immer wieder von Souvenirjägern geplündert. „Wir haben es zwischenzeitlich zuschweißen lassen. Aber es gab Versuche, es trotzdem aufzubrechen“, berichtet Landesarchivar Detlef Jantzen. Nach seinen Angaben gibt es an der Küste von MV rund 50 bekannte Schiffswracks, die in den beiden Weltkriegen gesunken sind.
Was mit dem U-Boot aus Ostende passiert, ist noch offen. Eine Bergung dürfte zu teuer sein. Das Wrack soll vor Räubern geschützt werden. Florian Huber könnte sich vorstellen, dass es zu Forschungszwecken für Taucher geöffnet wird. Experten könnten so das Schicksal des Boots aufklären. „Aber das müssen die zuständigen Stellen entscheiden“, sagt er.
Gerald Kleine Wördemann
OZ