Heftige Kritik der Arbeitgeber – Gewerkschaften verteidigen sich: „Wir übertreiben nicht“
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Zwei Reisegäste warten an einem Bahnhof am Gleis.
© Quelle: Arne Dedert/dpa/Symbolbild
Berlin. Vor dem für Montag geplanten großen Verkehrs-Warnstreik hat der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, den zusammen mit Verdi geplanten Ausstand verteidigt und um Verständnis geworben. „Nein, wir übertreiben nicht“, sagte Burkert am Freitag im Deutschlandfunk auf eine entsprechende Frage.
„Es ist sicherlich historisch, dass wir zeitgleich das Momentum haben, dass wir in schwierigen Tarifverhandlungen stehen“, sagte der EVG-Chef mit Blick auf den gemeinsamen Warnstreik zusammen mit Verdi in den jeweiligen Tarifkonflikten, der den Verkehr weitgehend lahmlegen wird. Beide Gewerkschaften seien für Mobilität zuständig.
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Millionen Reisende und Pendler in ganz Deutschland werden am Montag von einem wohl beispiellosen Warnstreik im Verkehr betroffen sein.
© Quelle: dpa
Burkert bat die Menschen um Verständnis: „Wir wissen, dass wir sehr, sehr viele Reisende natürlich damit auch beeinträchtigen und treffen“. Aber es bleibe in dem Moment keine andere Wahl. „Die Gewerkschaften hofften, „dass die Arbeitgeber daraus lernen und jetzt ernsthaft ein Angebot ... auf den Tisch legen“.
Der Deutschen Bahn warf Burkert vor, ein „Scheinangebot“ vorgelegt zu haben. „Wir erwarten in der nächsten Woche ein verhandlungsfähiges Angebot“, sagte er. Und dann werde wie geplant am 24./25. April verhandelt. Die EVG hoffe, dann zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Die Deutsche Bahn AG habe bereits zweimal die Chance vertan, ein verhandlungsfähiges Angebot überhaupt auf den Tisch zu legen.
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Mit Blick auf die Debatte über das Streikrecht sagte der EVG-Chef, „es ist ein scharfes Schwert, mit dem wir auch sehr verantwortungsvoll umgehen“. In Deutschland gebe es im Vergleich zu anderen Ländern wenige Streiktage. In Frankreich gehe es aktuell um politische Streiks mit politischen Forderungen, was es in Deutschland nicht gebe. Es gehe im Tarifkonflikt von EVG und Verdi um Forderungen für Bezahlung und Tarifverträge.
Arbeitgeberverbände kritisieren Gewerkschaften
Deutschlands Arbeitgeber haben den Gewerkschaften zuvor überzogenes Handeln vorgeworfen. „Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Mit einem großangelegten bundesweiten Warnstreik wollen die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sowie Verdi am kommenden Montag weite Teile des öffentlichen Verkehrs lahmlegen. Betroffen sind der Fern- und Regionalverkehr auf der Schiene, nahezu sämtliche deutsche Flughäfen, Wasserstraßen und Häfen sowie Autobahnen.
Die EVG fordert mindestens 650 Euro mehr Lohn. Bei den höheren Entgelten strebt sie eine Steigerung um zwölf Prozent an bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Verdi fordert gemeinsam mit dem Beamtenbund dbb für den öffentlichen Dienst 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro mehr Lohn.
Auch der Mittelstand zeigte sich besorgt über den groß angelegten Verkehrs-Warnstreik. „Unternehmen und Bevölkerung dürfen nicht in Geiselhaft genommen werden für Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht zielführend sind“, sagte der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Erzwungene hohe Lohnabschlüsse, die die Unternehmen an den Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit bringen, rauben jede Motivation, sich zusätzliche Kosten für die eigene Transformation aufzubürden.“
Die Tarifforderungen von Verdi und EVG dürften keinesfalls eine Signalwirkung für die mittelständische Wirtschaft haben, betonte Jerger. Das wäre aus seiner Sicht gerade für viele kleine und mittelständische Unternehmen existenzbedrohend. „Der BVMW als Vertreter der mittelständischen Unternehmen lässt die Verhältnismäßigkeit von Streiks in dieser Größenordnung prüfen“, erklärte Jerger.
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In einer nächtlichen Marathonsitzung konnte ein unbefristeter Streik der Belegschaft der Deutschen Post zunächst abgewendet werden.
© Quelle: dpa
Kleine und mittelständische Unternehmen litten bereits unter Lieferkettenproblemen, steigenden Energie- und Rohstoffpreisen und mangelnder Verfügbarkeit von Arbeits- und Fachkräften. Jerger appellierte an die Tarifparteien, zeitnah eine Lösung zu erarbeiten, um den Streikschaden für die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung so gering wie möglich zu halten.
Kommunale Arbeitgeberverbände: „Die Gewerkschaften sollten aufpassen, dass sie nicht überziehen“
Auch die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge, findet den massiven Ausstand „nicht ok“, wie sie in Berlin sagte. Sie rief die Gewerkschaften zu konstruktiven Zeichen für die am Montag beginnende dritte Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes auf - neben den Tarifgesprächen bei der Bahn der entscheidende Hintergrund für die Warnstreiks. „Die Gewerkschaften sollten aufpassen, dass sie nicht überziehen“, sagte Welge.
Kampeter mahnte, der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren. „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt.“ In Frankreich wird vergleichsweise häufig gestreikt - zuletzt besonders heftig gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron.
Airline-Verband kritisiert vorgehen der Gewerkschaften
Der Airline-Verband Barig, dem neben internationalen auch die meisten deutschen Anbieter angehören, kritisierte das Vorgehen der Gewerkschaften als „verantwortungslos“. „Die unverhältnismäßig massiv eingeschränkte Mobilität erschwert die nationalen wie auch internationalen Verkehrsströme, den Warentransport, gegebenenfalls wichtige humanitäre Hilfslieferungen und das gesellschaftliche Zusammenleben allgemein“, sagte Barig-Chef Michael Hoppe.
Bahn-Personalvorstand Martin Seiler hatte die EVG bereits am Vortag zur unverzüglichen Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert. Auch Kampeter betonte: „Wir fordern Verdi und die EVG auf, ohne jedes Wenn und Aber an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“
Ungewöhnlich am geplanten Warnstreiktag ist, dass er sich mit den Verhandlungen überschneidet - nämlich der in Potsdam beginnenden dritten Runde für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Rechtlich ist das Vorgehen aber möglich, wie der Tarifexperte Thorsten Schulten vom Institut WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Denn die Friedenspflicht endete mit dem Auslaufen des bisherigen Tarifvertrags. Auch einem großangelegten Warnstreik mitsamt Überschneidung von zwei Tarifbereichen steht nach Einschätzung von Schulten nichts im Weg. Die Arbeitgeber sehen in dem massiven Ausstand die rechtlichen Grenzen zumindest ausgereizt.
Stillstand am Montag im ganzen Land
Kampeter kritisierte: „Großstreiks, die ein Land lahmlegen sollen, sind keine Warnstreiks.“ Der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Unternehmen und Bevölkerung dürfen nicht in Geiselhaft genommen werden für Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht zielführend sind.“
Stillstand soll infolge des umfassenden Warnstreiks am Montag wohl fast überall im öffentlichen Verkehr herrschen. Die Bahn stellt den gesamten Fernverkehr ein. Auch im Regionalverkehr werde „größtenteils kein Zug fahren“. Betroffen sind viele Airports - auch etwa die Flughäfen Frankfurt und München. In sieben Bundesländern soll der Nahverkehr stillstehen. Auch Schleusen auf wichtigen Wasserstraßen und etwa der Hamburger Hafen sollen bestreikt werden.
RND/dpa