Zweifel am Wood Wide Web

Reden Bäume wirklich miteinander?

Winterwald im Nebel in der Nähe von Hohenfelden.

Winterwald im Nebel in der Nähe von Hohenfelden.

Edmonton. In den vergangenen Jahren hat das sogenannte Wood Wide Web immer wieder für Schlagzeilen gesorgt: Dahinter steckt die Vorstellung, dass Bäume im Wald über ein Netz aus feinen unterirdischen Pilzfäden miteinander kommunizieren, ihre Sämlinge mit Nährstoffen versorgen und diese sogar beschützen können. Tatsächlich aber seien die wissenschaftlichen Belege für derartige Behauptungen dürftig oder sie würden in der Öffentlichkeit falsch dargestellt, schreiben drei Expertinnen nun im Fachblatt „Nature Ecology & Evolution“.

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Wispernde Laubkronen, ächzende Äste, flüsternde Blätter: In der Poesie können Bäume schon lange sprechen. Doch auch jenseits der Dichtung ist seit einiger Zeit viel über erstaunliche Kommunikationsfähigkeiten der Waldbewohner zu lesen. Dafür sollen die sogenannten „Common Mykorrhiza Networks“ (CMNs) eine zentrale Rolle spielen.

Versenden Bäume Warnsignale?

Als Mykorrhiza wird die Symbiose zwischen hauchfeinen Pilzfäden und den Wurzelspitzen fast aller Landpflanzen bezeichnet: Während die Pflanzen ihren Pilzpartnern durch Photosynthese gewonnenen, leicht verwertbaren Zucker geben, erhalten sie im Gegenzug von den Pilzen Wasser und Salze wie Phosphat und Nitrat.

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Über diese Symbiose hinaus werden den Netzwerken jedoch noch weitere Fähigkeiten zugeschrieben: Bäume könnten über CMNs miteinander kommunizieren, indem sie beispielsweise Warnsignale an andere, jüngere Bäume senden, wenn sie durch Insektenbefall oder andere Gefahren beschädigt werden. Darüber hinaus würden sie die Pilzbahnen nutzen, um ihre noch schwachen Sämlinge mit Ressourcen zu versorgen.

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Existenz ist belegt – aber nicht die Funktion

Diese populären Behauptungen prüfte nun ein Team um die Pilzexpertin Justine Karst von der kanadischen Universität von Alberta. Das Trio kam durch die Analyse Hunderter Fachartikel und einflussreicher Studien zu einem ernüchternden Ergebnis: Es müsse wissenschaftlich erst noch nachgewiesen werden, dass derartige Netzwerke in Wäldern weit verbreitet oder ökologisch bedeutsam seien.

In ihrer Evaluation der gängigsten Behauptungen stellen die Biologinnen fest, dass die Ergebnisse solcher Feldstudien variieren, auch andere Erklärungen zulassen oder zu begrenzt sind, um pauschalisierende Aussagen zu stützen. Dass die Netzwerke existieren, sei zwar wissenschaftlich belegt. Über ihre Struktur und Funktionen sei indes noch nicht genug bekannt, so das Fazit der Forscherinnen.

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Überinterpretation von Forschungsergebnissen

Als fragwürdig stufen sie etwa die Behauptung ein, erwachsene Bäume nutzten die Netzwerke, um Nährstoffe an ihre Nachkommen weiterzugeben und so deren Wachstum zu fördern: Eine Überprüfung von 26 Studien ergab, dass zwar Ressourcen von Bäumen unterirdisch übertragen werden können, dass CMNs diesen Prozess aber nicht unbedingt bewirken und dass Sämlinge in der Regel nicht vom Zugang zu diesen Netzwerken profitieren. Tatsächlich berichteten die meisten Studien von neutralen – also weder positiven noch negativen – Effekten.

Doch woher kommen dann die Behauptungen zum Wood Wide Web? Karst und ihre Mitautorinnen beobachten zum einen eine Voreingenommenheit der Forschungsgemeinschaft, wenn es um die Nennung positiver Effekte geht – obwohl die funktionelle Rolle von CMNs in Ökosystemen schon seit Jahrzehnten umstritten sei. Hinzu komme eine Welle populärwissenschaftlicher Darstellungen, welche derartige Ungewissheiten zugunsten eines spektakulären Narrativs ignorieren, einzelne Forschungsergebnisse überinterpretieren oder ungenau zitieren.

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Trend zur Vermenschlichung

„Als Mykorrhiza-Forscherinnen, die die Funktion von CMNs erforscht haben, sind wir begeistert, dass die Öffentlichkeit genauso angetan ist wie wir von den vielen Rollen, die Pilze in Wäldern spielen“, schreiben sie. Dennoch sei es für die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Community wichtig, Art und Umfang der Belege für die Rolle der Mykorrhiza-Netzwerke in Wäldern zu verstehen.

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Zudem beobachten die Biologinnen einen Trend zur Vermenschlichung in wissenschaftlichen Mitteilungen zu den Funktionen von CMNs. Um jene Funktionen und Strukturen wissenschaftlich zu untersuchen, schlagen sie eine Reihe unterschiedlicher Versuche vor. Sie schließen: „Lassen Sie uns neue Experimente entwickeln, bessere Beweise fordern, kritisch über alternative Erklärungen für die Ergebnisse nachdenken und selektiver mit den Behauptungen umgehen, die wir verbreiten. Andernfalls riskieren wir, dass das Wood Wide Web zu einem Fantasiegebilde unter unseren Füßen wird.“

RND/dpa

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