Wendelstein 7-X: Auf dem Weg zur Fusionsenergie
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Blick auf einen Computermonitor im Kontrollraum des Fusionsexperiments Wendelstein 7-X. Der Monitor zeigt ein Bild eines Wasserstoffplasma.
© Quelle: Stefan Sauer/dpa
Greifswald. Die Anspannung im Kontrollraum des Fusionsexperiments Wendelstein 7-X ist deutlich zu spüren. Rund 60 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus mehreren Ländern schauen konzentriert auf unzählige Bildschirme mit Computercodes und Diagrammen. Ein Murmeln aus Deutsch und Englisch füllt den Großraum. Experimentphasen wie die derzeit laufende seien „wahnsinnig anstrengend“, sagt Thomas Klinger, Leiter der Großforschungsanlage in Greifswald. Danach „gehen alle am Stock“.
Er trägt die Verantwortung über ein Projekt dessen Aufbau und Betrieb schon deutlich mehr als eine Milliarde Euro gekostet hat und das die Verheißung nahezu unbegrenzter Energie dank Kernfusion ein Stück näher bringen soll. Nach einem umfangreichen Umbau der Anlage wird seit September wieder experimentiert. Der Druck auf allen Beteiligten, für ein Gelingen der Tests zu sorgen, ist hoch.
Durchbruch in den USA
Bei der Kernfusion werden Atomkerne anders als in Reaktoren von herkömmlichen Atomkraftwerken verschmolzen statt gespalten. Dazu wird bei extrem hohen Temperaturen sogenanntes Plasma erzeugt – eine Art vierter Aggregatszustand, bei dem sich Atome in ihre Bestandteile trennen. Theoretisch ließen sich damit sehr große Energiemengen erzeugen – und das wesentlich ungefährlicher als bei der Kernspaltung und klimaneutral.
Mitte Dezember hatten Forschungsergebnisse aus den USA Aufsehen erregt. Laut dortiger Regierung hatten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beim Verschmelzen von Atomkernen erstmals mehr Energie erzeugt als sie direkt hineingesteckt hatten. „Einfach ausgedrückt ist dies eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts“, hatte US-Energieministerin Jennifer Granholm bei der Verkündung gesagt. Seitdem haben Politiker hierzulande das Thema für sich entdeckt und fordern etwa eine stärkere Förderung.
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Ist die Kernfusion zu teuer?
Bis zu einem möglichen Fusionskraftwerk ist es allerdings noch ein weiter Weg. Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wäre möglich, sagt Klinger, „wenn man jetzt nicht noch Zeit verliert“. An dieser Einschätzung habe sich auch durch den Erfolg der US-Kollegen nichts geändert. Klinger spricht dennoch von einem wissenschaftlichen Durchbruch. In den USA wurden Atomkerne mittels Lasern verschmolzen. In Greifswald kommt ein gänzlich anderes Verfahren mit Magneten zur Anwendung. Klinger könne sich vorstellen, dass es irgendwann einmal Kraftwerke sowohl mit Laser- als auch Magnettechnik gibt. Nach derzeitigem Stand zeichne sich für Magnetfusion aber eine schnellere Umsetzung ab.
Kritiker und Kritikerinnen monieren, dass die Kernfusion zu teuer sei, Prognosen zur möglichen Nutzung ständig nach hinten verschoben würden und die Technik für die Energiewende zu spät komme. Befürworterinnen und Befürworter wie Klinger verweisen hingegen auf den erwartungsgemäß steigenden Energieverbrauch in der Zukunft, zu dessen Deckung auch die Kernfusion beitragen könnte.
Herantasten an den Dauerbetrieb
Zur tatsächlichen Kernverschmelzung kommt es in Greifswald nicht. Vielmehr werden hier etwa Erzeugung und Eigenschaften von Plasma erforscht. In den kommenden Jahren wollen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Vorarbeit für ein Kraftwerk an einen Dauerbetrieb herantasten. Statt wie bisher für Sekunden, soll für 30 Minuten ein ausreichend heißes und dichtes Plasma erzeugt werden. Von da wäre es nach Klingers Aussage nicht mehr weit zum tatsächlichen Dauerbetrieb.
Für die bis Ende März geplante Experimentphase hätten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt etwa 400 Vorschläge eingereicht, erklärt Klinger. Davon seien etwa 150 priorisiert und im Rahmen eines Programms gebündelt worden, „so dass man die Maschinen nicht andauernd konfigurieren muss“. Zwei bis drei Tage die Woche arbeiten die Forschenden von morgens bis abends den Experimentplan ab. Dabei entstehen Massen an Rohdaten, die anschließend monatelang analysiert werden und in spätere Experimente einfließen. „Es ist nur dann interpretierbar, wenn alle liefern. Entsprechend hoch ist da auch die Anspannung im Kontrollraum“, so Klinger.
„Der Fusionsprozess an sich ist bestens erforscht“, sagt der Wissenschaftler. Aber: „Der Witz ist nicht, etwas Fusion, sondern viel Fusion zu machen.“ Hier bestünden gewaltige technische Hürden. Es sei schwer vorherzusagen, wie schnell man diese bewältige.
„Das machen, was technologisch gerade eben geht“
Die Greifswalder Anlage befinde sich nach vier Jahren des Umbaus auf ihrer endgültigen Ausbaustufe. „Wir haben eine Wasserkühlung eingebaut. Das hört sich superlangweilig an.“ Doch die Kühlung, die den Langzeitbetrieb ermöglichen soll, habe es in sich. Klinger spricht von einer der vermutlich komplexesten derartigen Kühlungen, die je gebaut wurden. 657 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe führen die Wärme ab. Insgesamt 6,8 Kilometer individuelle Kühlrohre mussten gefertigt, isoliert, eingepasst und verschweißt werden. Dabei geht es um höchste Präzision. Nichts kommt von der Stange.
„Dieser Mühsal wollte sich bisher fast noch keiner unterziehen. Und wir haben es jetzt einfach mal gemacht“, sagt Klinger. Denn genau darum gehe es auf dem schwierigen Weg zum Kernfusionskraftwerk: um Fortschritte in der Physik, aber auch der Technik. „Und die kann man nur vorantreiben, indem man es einfach macht. Indem man das macht, was technologisch gerade eben geht. Und das ist genau das, was wir getan haben.“
RND/dpa